Team Welt

 


Predigt 10 nach Trinitatis zu 2. Mose 19, 1-6

 

Ihr Lieben,

die olympischen Spiele in Tokyo sind gerade vorbei und was mir noch lebhaft in Erinnerung geblieben ist, ist das Verhalten diverser Athletinnen und Athleten. Da sind zum Beispiel die drei Jamaikanerinnen, die im 100 Meter Lauf alle drei Medaillen für Jamaika geholt haben: Bronze, Silber und Gold. Was mich faszinierte, waren die Kälte und die Distanz, mit denen sie sich nach dem Lauf gegenseitig behandelten. Dabei sind doch alle drei für dasselbe Land angetreten. Sie sind doch eine Mannschaft?! Ich konnte das nicht verstehen.

 

Was mir aber genauso lebhaft in Erinnerung geblieben ist, sind die drei Frauen aus Venezuela, Portugal und Spanien im Dreisprung. Die Venezolanerin hat nicht nur Gold gewonnen, sondern auch noch den Weltrekord gebrochen. Am Ende habe sich alle drei so ehrlich herzlich und innig beglückwünscht, dass ich wieder ganz fasziniert war. Eigentlich waren sie doch Konkurrentinnen, aber den jeweils anderen wurden die Erfolge aus vollem Herzen gegönnt. Die Bronzemedaillengewinnerin hat sich total mitgefreut, als die Goldmedaillengewinnerin auch noch den Weltrekord brach.

Man hatte wirklich das Gefühl, dass die drei aus derselben Mannschaft stammen, dass sie für dieselbe Nation angetreten sind. Was aber gar nicht der Fall war.

 

Und dann war da die Mannschaft, bei der der Nationalität sowieso völlig im Hintergrund steht. Ich meine das Refugee Olympic Team. Ich finde es total klasse, dass es schon zum zweiten Mal bei der Olympiade eine Mannschaft von geflüchteten Menschen gab. Sie konnten weder für ihre Heimatländer antreten noch für die Länder, die sie aufgenommen haben, aber so hatten sie die Chance dabei zu sein. Sie hatten die Chance, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

 

Was ich daraus lerne, ist: Wettkämpfe sind wichtig beineiner Olympiade, aber was noch viel wichtiger ist als die einzelne Goldmedaille ist das Wir-Gefühl. Es ist dabei aber nicht das Gefühl, die Goldmedaille für Deutschland geholt zu haben, oder für China, oder für Israel oder für Österreich oder für Jamaica. Es ist das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die weit über Ländergrenzen hinausgeht.

 

Ja, es sind einzelne Menschen, die da unglaublich viel Leistung bringen, und ja, es sind einzelne Nationen, die da gegeneinander antreten, aber die Athletinnen und Athleten betreten das Stadion zu Beginn der olympischen Spiele als Teil eines viel größeren Teams. Und die Tatsache, dass es dieses Refugee Olympic Team gibt, macht das besonders deutlich.

 

Die Israeliten waren damals, als sie aus der Sklaverei in Ägypten flohen, gewissermaßen auch ein Refugee Olympic Team. Sie waren auf der Flucht, sie waren Gottes Champions und sie waren ein Team.

 

Wir sind das heute auch noch.

Wir sind auch auf der Flucht. Zwar müssen wir nicht aus unserem Land fliehen, weil hier Hunger oder Krieg herrschen. Dafür fliehen wir vor anderen Dingen:

Vor seelischer und körperlicher Gewalt zum Beispiel oder vor Arbeitslosigkeit, vor Krankheit, Tod, Verlust, Gleichgültigkeit, zu hohen Anforderungen, oder vor der Realität an sich, weil wir sie nicht aushalten können.

 

Auch wir sind Gottes Champions. Wir sind von Gott unglaublich wertgeschätzt. Und schön wäre es natürlich, wenn wir für Gott die eine oder andere Goldmedaille holen - in der Disziplin Nächstenliebe zum Beispiel.

 

Und ein Team sind wir auch. Ja, jede und jeder einzelne von uns ist Gottes geliebtes Kind, aber wir sollten uns da nicht als Einzelkämpfer sehen.

 

Ich bin vor einiger Zeit über diesen Flyer gestolpert: „12 gute Gründe, in der Kirche zu sein“.

Da steht unter anderem drin, dass Gemeinschaft wichtig ist, weil es Dinge gibt, die ich mir selbst nicht sagen kann, die ich mir nicht selbst zusprechen kann. Zum Beispiel, dass ich geliebt bin, oder dass ich keine Angst haben muss, dass ich in Sicherheit bin, dass ich so angenommen bin, wie ich bin, dass ich gesegnet bin.

Das sind Dinge, die ich nur als Teil des Teams Christliche Kirche erfahren und verstehen kann.

 

Jetzt gibt es da aber draußen aber noch mehr Teams: Team Judentum, Team Islam, Team Buddhismus, Team Hinduismus, Team Geister- und Ahnenglaube, und noch ein paar mehr.

 

Da bin ich wieder bei dem olympischen Gedanken, dass da mehr ist als der Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Nationen. Auch diese Nationen bilden ein Team. Auch unsere Konfessionen, unsere Religionen bilden ein Team.

 

Ich würde mir wünschen, dass Jüdinnen, Muslime, Christinnen, Hindus und Buddhistinnen sich als Teil einer weltweiten Familie sehen und friedlich miteinander existieren können. 

Und ich meine wirklich miteinander, nicht nebeneinander. Denn gemeinsam können wir doch viel mehr erreichen, wenn es um Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geht, wenn es darum geht, die ganze Welt zu einem Ort zu machen, an dem es sich gut leben lässt.

 

Also: Nicht du allein bist ein Priester, der die Welt zu einem besseren Ort machen kann. Nicht ich allein bin eine Priesterin, die für das Gute kämpft. Wir alle sind Teil eines heiligen weltweiten Volkes. Wir sind Teil eines Teams, das für Gott so viele Goldmedaillen einsammelt, wie es nur irgendwie geht.

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