Auf dem Weg der Gerechtigkeit



(Predigt vom 17.02.2019 zu Prediger 7, 15-17)

Ihr Lieben,
am 19. Januar 1919 durften Frauen hier in Deutschland das erste Mal wählen und auch selbst gewählt werden. Wir feiern gerade 100 Jahre Frauenwahlrecht.
Davor sah die Welt für Frauen noch anders aus. 
Ungerechter: 

1848

Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt unter dem Wort ‚alle’ nur die Männer zu verstehen.

Diese Worte schrieb die Frauenrechtlerin Louise Dittmer anlässlich der Wahl zur Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848, bei der keine Frauen, sondern nur besitzende Männer  ab 25 Jahren vertreten waren. Vor mehr als 150 Jahren hatten Frauen in Deutschland kein Wahlrecht, kein Recht auf Erwerbstätigkeit oder persönlichen Besitz, sie waren als Ehefrauen sozial und ökonomisch von ihren Ehemännern oder wenn sie unverheiratet waren von ihren Vätern abhängig.“ 


Damals, im Jahr 1848, waren viele Menschen, Männer wie auch Frauen, der Ansicht dass es gar kein Unrecht war, dass Frauen nicht wählen und keinen Besitz haben durften. Frauen hatten ihren Platz in der Gesellschaft und der sah nunmal kein Wahlrecht vor. Oder persönlichen Besitz. Oder Erwerbstätigkeit. Viele waren sogar der Überzeugung, das sei gottgewollt.

Aber es waren nicht alle Menschen dieser Auffassung. Viele Frauen waren der Ansicht, dieser Zustand sei ungerecht.
Wären die Frauen dem Rat des Verfassers unseres Bibeltextes gefolgt, dann hätten sie die Ungerechtigkeit zum großen Teil einfach hingenommen.

Kleine Anmerkung am Rande zu besagtem Verfasser:
Kohelet heißt das Buch auf Hebräisch, was „Versammlungsleiter“ bedeutet, und von Martin Luther als Prediger übersetzt wurde. Oft wird es König Salomo zugeschrieben, allerdings gibt es außer der Formulierung „Sohn Davids“ aus dem 1. Kapitel keinen Hinweis, dass König Salomo tatsächlich der Verfasser dieser Schriften war.
Der Einfachheit halber schließe ich mich hier Martin Luther an und bleibe bei „Prediger“.

Wären die Frauen also dem Ratschlag des Predigers gefolgt, den wir vorhin gehört haben, dann hätten sie sich an die gesunde Mitte gehalten. Und wir Frauen dürften heute immer noch nicht wählen. Sie hätten vielleicht geäußert, dass die Gesellschaft ungerecht mit den Frauen umging, hätten sich aber nicht so radikal für die Belange der Frauen eingesetzt. So stelle ich mir jedenfalls vor, wie die „gesunde Mitte“ aussehen könnte.

Meine Gedanken dazu:

Einerseits empfinde ich das, was der Prediger uns rät, schon als sehr entlastend, weil er uns Menschen zugesteht, nicht perfekt sein zu müssen. Es bringt nichts zu 100 Prozent gut zu sein. Wir haben dadurch nicht automatisch ein langes und glückliches Leben. Und diejenigen, die Unrecht tun haben nicht automatisch negative Konsequenzen zu fürchten. Es bringt also nichts, zum Übermenschen zu werden, was sowieso nicht klappt, sondern es ist schon ganz okay, ab und zu beim Gutsein zu versagen. Ein bisschen Einsatz ist schon von uns vefordert, aber eben nicht zu viel. Und das ist die perfekte Strategie gegen Burnout, wenn ihr mich fragt.
Aber das rechtfertigt es meines Erachtens nicht, Ungerechtigkeiten einfach hinzunehmen und diese einfach auf sich beruhen zu lassen. Da müssen wir besser sein als gut.

Ich glaube auch nicht, dass der Prediger das gemeint hat. Schließlich schreibt er: Wenn du Gott ernst nimmst, findest du immer den rechten Weg.

Wenn wir also Gott ernst nehmen, dann treten wir für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und diversen Menschen ein, denn das ist der rechte Weg.

Es gibt allerdings auch einen rechten Weg, wenn es darum geht, WIE wir uns für die Gleichberechtigung einsetzen.

Die Sufragetten, die Frauenrechtlerinnen in England, warfen nicht nur Fensterscheiben ein sondern sie warfen auch Bomben und legten Brände. Sie waren nicht hundertprozentig gut. Mit der Rechtschaffenheit haben sie es wirklich nicht übertrieben. Man kann sich jetzt natürlich fragen, ob es auch eine gewaltfreie Möglichkeit gegeben hätte, das Wahlrecht für Frauen Wirklichkeit werden zu lassen.

Hier haben wir ein Dilemma: Ich bezweifle, dass wir als Gesellschaft dieses Maß an Gleichberechtigung erreicht hätten, was wir heute haben, wenn es damals nicht Menschen gegeben hätte, die sich, auch mit drastischen Maßnahmen, dafür einstezten. Der rechte Weg war das allerdings nicht. Der rechte Weg ist der gewaltfreie.

Aber der gewaltfreie Weg hätte vermutlich tatsächlich nicht unsere Gesellschaft verändert.

Ich habe einen sehr interessanten Artikel aus der Frankfurter Rundschau gelesen, in dem es unter anderem darum geht, wie Ungerechtigkeit eigentlich entsteht. In einem Interview sagt der Hirnforscher Joachim Bauer, dass ungerechtes Verhalten durch Ressourcenknappheit ausgelöst wird. Die Ressourcen sind knapp und wenn ich überleben will, dann sorg ich nur für mich und es ist mir egal, ob ich andere dadurch ungerecht behandle. Obwohl der Mensch im Grunde ein soziales Wesen ist danach strebt zu kooperieren.

Wenn ich nun aber diejenige bin, die sich ungerecht behandelt fühlt, dann löst das bei mir Agression aus. Diese Agression ist interessanterweise sinnvoll. Das sagt zumindest Joachim Bauer.

Aggression ist sinnvoll, „wenn sie ihre Rolle als soziales Regulativ erfüllt. Aggression hat – von krankhafter, psychopathischer Aggression einmal abgesehen, immer einen Kontext, in dem sie entstand, und sie hat daher immer auch eine kommunikative Botschaft.

Wenn ich also aggressiv auf eine Ungerechtigkeit reagiere, dann kommuniziere ich, dass für mich die Situation nicht aushaltbar ist und geändert werden muss.
Die Aggression, die die Frauenrechtlerinnen gezeigt haben, war also ebenfalls eine Form der Kommunikation, die laut und deutlich sagte: So geht es nicht weiter!

Ein Hirnforscher sagt also im Grunde das, was auch unser Prediger sagt: Es ist okay, nicht immer hundertfünfzigprozentig gut zu sein. Und Hirnforscher und Prediger sagen im Grunde das, was Gott uns auch schon immer sagt: Mensch, es ist okay, wenn du auch mal scheiterst bei deinem Vorhaben, gut zu sein.

Das ist das Eine. Das Andere ist, dass ich mich trotzdem bemühen muss, auf dem rechten Weg zu bleiben. Was mir auch gelingen wird, wenn ich Gott ernst nehme, sagt der Prediger.

Das bedeutet für uns Christinnen und Christen heute:
Wenn ich Gott ernst nehme, dann höre ich nicht auf, gegen die Ungerechtigkeiten anzugehen, die mir begegnen. 

Zum Beispiel muss mich weiter einzusetzen für Gleichberechtigung. Denn die haben wir noch lange nicht:

„Eine Untersuchung von Forschern an fünf Universitäten – darunter die amerikanische Princeton University – hat Deutschland soeben ein katastrophales Zeugnis ausgestellt: In keinem anderen der sechs untersuchten Länder erleben Mütter nach der Geburt ihres ersten Kindes einen derart steilen Karriereknick wie hierzulande. Schlimmer noch: Sie holen diesen Rückstand später meist nicht mehr auf. Auch zehn Jahre nach der Geburt verdienen sie im Schnitt 61 Prozent weniger als im Jahr vor der Geburt. Dänische und schwedische Mütter büßen »nur« 21 beziehungsweise 27 Prozent ihres Gehalts ein. In Großbritannien kostet das Muttersein im Schnitt 31 Prozent des Einkommens, in den USA 44 Prozent. Nur die österreichischen Mütter verdienen langfristig vergleichbar schlecht wie die deutschen (minus 51 Prozent).“ Das schreibt „Die Zeit“ im Wirtschaftsteil ihrer vorletzten Ausgabe (06/2019 vom 31.01.2019, S.22).

Das ist nur ein Beispiel, wo unsere Intitative gefragt ist. Es gibt natürlich noch viel mehr Ungerechtigkeiten, die ganz unterschiedliche Formen annehmen können: Zum Beispiel die Tatsache, dass viele Menschen Essen und sauberes Wasser verschwenden während andere gar keine Chance haben, an ausreichend Nahrung und sauberes Wasser zu kommen. Oder dass einige stehlen, morden und vergewaltigen während andere lieber friedlich leben möchten, sich aber gegen Gewalt, Terror und Krieg nicht zur Wehr setzen können.

Aus meiner Sicht hat der Prediger da schon ein paar gute Ratschläge für uns parat: Einerseits sagt er, dass wir uns nicht übernehmen sollen mit dem Gutsein und gerne Menschen mit menschlichen Schwächen bleiben dürfen. Wir dürfen mittelmäßig sein. Andererseits rät er uns aber auch, Gott ernst zu nehmen, damit wir in der Lage sind, den rechten Weg zu gehen, der unter Anderem zu einem gerechten Miteinander führt.

Mein Fazit: Folge dem Rat des Predigers und die Welt wird ein besserer Ort.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Team Welt

Whistleblower

Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen