Flaktürme zu Leuchttürmen


Predigt am 11.08.2019 zu Jesaja 2, 1-5


Ihr Lieben,

heute möchte ich euch eine Geschichte erzählen. 
(Kleine Anmerkung am Rande: Diese Geschichte ist frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.)

Ich sitze morgens in der Küche, frühstücke und lese die Zeitung auf meinem Tablet. Da lese ich dann, dass die Philippinen ein Gesetz erlassen haben, dass jeder Schulabgänger und jede Schulabgängerin zehn Bäume pflanzen muss. Ich lese weiter, dass eine australische Stadt Plastikabfall im Wasser vermeidet und dass bei uns in Deutschland gerade der Rücktransport aller Flüchtlinge in ihre Heimatländer organisiert wird. Krieg, Terror, Verfolgung und Unterdrückung hätten dort endlich ein Ende aufgrund erfolgreicher diplomatischer Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern aus aller Welt. Na, da fängt der Tag doch mit sehr guten Nachrichten an.

Nach dem Frühstück schnappe ich mir meine Kinderbibel und gehe rüber zum Kindergarten, um dort mit den Kindern und Erzieherinnen den Morgenkreis zu gestalten. Als ich in den Kindergarten komme, bin ich ganz erstaunt, wie ruhig es ist. Friedlich spielen die Kinder in den verschiedenen Gruppenräumen. Ein Junge nimmt einem anderen die Bauklötze weg. Der sagt daraufhin: „Aber mit denen wollte ich doch gerade spielen.“ „Dann mache ich einfach etwas anderes“, sagt der eine Junge. Der andere erwidert: „Musst du nicht. Wir können ja zusammen mit den Bauklötzen etwas bauen.“

Nach dem Kindergarten gehe ich über den Friedhof zurück zum Pfarramt. Ich bekomme mit, wie eine Frau unseren Friedhofsgärtner anspricht: „Auf dem Grab meiner Eltern ist so viel Unkraut. Könnten Sie sich darum kümmern.“ Der Friedhofsgärtner weist auf ein großes Loch in der Erde und erwidert: „Das schaffe ich nicht, denn ich muss heute noch dieses Grab zuende ausheben. Wir haben morgen eine Beisetzung.“ „Wissen Sie was“, sagt die Frau, „dann helfe ich Ihnen einfach und jäte das Unkraut. Ich habe heute sowieso nichts besseres vor.“

Für mich ist jetzt Bürozeit angesagt. Ich weise Rechnungen an, erledige Papierkram, beantworte E-mails und führe Telefonate. Unglaublich, wie freundlich die Leute sind. Auch ich. Alle scheinen irgendwie gute Laune zu haben, keiner meckert, keiner beschwert sich. Nichtmal über das Regenwetter.

Nachmittags treffen sich unsere Seniorinnen und Senioren zum Kaffeetrinken im Gemeindehaus. An diesem Tag bekommen wir Besuch: Ein paar Feriengäste haben sich dazugesellt. Das stellt uns vor ein Problem, denn es ist nicht genug Kuchen da. Aber das Problem löst sich ganz von selbst, denn jemand hat die Idee, die Kuchenstücke, die auf den eingedeckten Tellern liegen, kleinzuschneiden und auf großen Platten auf die Tische zu stellen. So können wir uns kleine Happen nehmen und alle bekommen etwas ab.
Ich mache mir währenddessen so meine Gedanken über diesen Tag: Im Grunde ist es ein ganz typischer Freitag. Aber irgendwie ist es auch ein ganz untypischer Freitag. Was ist nur los?
Nach dem Kaffeetrinken beschließen wir, noch ein paar Lieder zu singen. Als wir das zweite Lied anstimmen schiebt sich plötzlich ein seltsamer Ton in die Melodie. 
Mein Wecker!

Ich mache die Augen auf und finde mich nicht im Gemeindehaus sondern in meinem Schlafzimmer wieder. Es war also alles nur ein schöner Traum. Schade. Viel Zeit, um über den Traum nachzusinnen habe ich nicht, denn ich habe an diesem Tag viel vor.

Nachdem ich mich fertiggemacht habe, gehe ich in die Küche, setze mich an den Küchentisch und frühstücke. Dabei lese ich Zeitung. Was ich da erfahre, verdirbt mir fast den Appetit: Um Waffenexporte nach Saudi-Arabien geht es da, um Erpressung der EU, um Kampf um das Wasser, um Verfolgung von Muslimen in China und darum, dass die Türken plötzlich etwas gegen Syrer haben. Ich lege mein Tablet beiseite, auf dem die aktuelle Zeitungsausgabe gespeichert ist, schnappe mir meine Kinderbibel und gehe rüber in den Kindergarten. Darauf freue ich mich, denn da ist die Stimmung immer gut. Das bessert hoffentlich meine Laune. Als ich im Kindergarten ankomme, sehe ich wie ein Mädchen einem Jungen an den Haaren zieht. Sie sagt, er habe ihr das Spielzeug weggenommen. Eine Erzieherin weist die Kinder darauf hin, dass der Junge das Spielzeug nicht einfach hätte nehmen dürfen, aber dass es auch nicht in Ordnung ist, ihn dafür an den Haaren zu ziehen. Sie bittet die beiden, sich gegenseitig zu entschuldigen. Trotzig starren die beiden auf den Boden und rühren sich nicht. 

Als ich nach dem Morgenkreis im Kindergarten über den Friedhof zurück zum Pfarramt gehe, erwarte ich fast, auf meinen Friedhofsgärtner zu treffen, der sich im Gespräch mit einer Frau befindet. Aber er mäht nur in aller Ruhe den Rasen. Dafür steht später ein älterer Herr in meinem Büro, der sich darüber beschwert, dass der Rasenmäher solch einen Krach macht und der fragt, ob der Friedhofsgärtner den Rasen nicht zu einer anderen Zeit mähen könne.

Ach, warum klingelt jetzt nur nicht mein Wecker und lässt mich aufwachen und erkennen: Zum Glück war alles nur ein blöder Traum.
Aber das ist kein Traum. Das ist die Realität.

Ich frage mich, was da wohl schiefgelaufen ist seit damals, als Jesaja den Menschen versprach, dass Frieden vom Zionsberg ausgehen sollte. Die Menschen würden von Gott lernen, wie sie friedlich zusammenleben, hatte er prophezeit. Der Plan war doch, dass die Menschen durch Gottes Weisung zur Einsicht kommen und die Waffen niederlegen. Schade, dass das nicht funktioniert hat. Schwerter gibt es heute zwar fast nur noch in Museen, aber dafür bringen die Menschen sich mit Maschinengewehren, Bomben und Sprengsätzen gegenseitig um. Rüstungsexporte gibt es statt landwirtschaftlicher Fahrzeuge. Schwerter zu Pflugscharen zu machen, hat leider nicht geklappt.

Ich habe noch etwas Zeit, bevor der Seniorenkaffee anfängt, und ich beschließe, noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Als ich an der Westklippe entlanggehe, fällt mein Blick auf unseren Leuchtturm. Ein Flakturm ist er mal gewesen. Er diente als Standort für Geschütze, die feindliche Flugzeuge abschossen. Von dort aus wurden also Menschen getötet. 

Und jetzt ist dieser Turm ein Leuchtturm. Er vernichtet nicht, sondern er sorgt für Sicherheit, indem er Schiffen den Weg weist. Er sorgt dafür, dass ein Kapitän sich auch bei schlechter Sicht noch orientieren kann. Unter Umständen rettet so ein Leuchtturm sogar Leben.

Schwerter zu Pflugscharen. Flaktürme zu Leuchttürmen. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für uns. 

Lächelnd setze ich meinen Spaziergang fort. Ich freue mich schon auf den Nachmittag mit unseren Seniorinnen und Senioren, denn ich habe in jedem Fall einen Plan B, falls der Kuchen nicht reicht.

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