Ocean Love
Ihr Lieben,
als ich neulich meine Sporthose anzog, fiel mir das Band auf, das oben durch den Bund gezogen ist, und das verhindert, dass mir die Hose beim Sport runterrutscht. Auf dem Band steht nämlich etwas drauf: „Ocean Love“. Auf Deutsch heißt das „Ozean Liebe“.
Ich habe mich gewundert, denn das passt eigentlich besser zu einem Badeanzug oder zu einer Badehose. Es würde sich auch gut als Aufschrift auf einem Strandlaken machen. Mit einer Sporthose würde ich die Liebe zum Ozean nicht unbedingt in Verbindung bringen. Aber da ich auf einer Insel lebe, passt es irgendwie immer, denn hier kann man ja von fast überall das Meer sehen.
Für mich ist das gut so, denn ich liebe tatsächlich das Meer. Wie sehr ich das Meer liebe, war mir früher gar nicht so bewusst. Das musste mir erst gesagt werden. In Papua-Neuguinea. Ich hatte dort mehrere Monate im Hochland verbracht, reiste dann aber irgendwann auch an die Küste. Ich erinnere mich noch daran, dass ich am Meer stand, auf den Pazifik guckte und erstmal pauschal in Tränen ausbrach. Warum ich weinen musste, wusste ich gar nicht so genau. Ich war einfach nur irgendwie tief berührt und das hatte mir die Tränen in die Augen getrieben. Für meine einheimische Freundin, die dabei war, war das allerdings ganz logisch. Sie sagte zu mir: „Du bist eine ‚meri nambis‘, eine Küstenfrau. („Meri nambis“ ist Pidgin, die Sprache, die in Papua-Neuguinea gesprochen wird.) Du und das Meer, ihr seid verbunden und dann ist es doch normal, dass es dich zu Tränen rührt, das Meer nach langer Zeit wiederzusehen.“
Irgendwie hatte sie recht. Ich war zwar nicht direkt am Meer aufgewachsen, aber dafür hatte ich immer Wasser um mich rum gehabt, in Form von Seen oder Flüssen, und auch das Meer war nie weit weg.
Ja, ich bin auf Helgoland gelandet, weil das Meer und ich irgendwie verbunden sind. Ich bin hier gelandet (und geblieben), weil ich das Meer liebe. Und da bin ich nicht die einzige. Es gibt ja noch viel mehr Menschen, die hier leben, weil sie das Meer lieben. Und viele Menschen besuchen immer wieder diese Insel, weil sie das Meer lieben. Ich kenne sogar Menschen, die lieben das Meer so sehr, dass sie es tagelang ertragen, seekrank zu sein und ständig spucken zu müssen, nur um übers Meer segeln zu können. „Ocean Love“ eben.
Für mich ist das Meer aber nicht nur ein Stück Landschaft, das wunderschön anzusehen ist. Das Meer hat auch eine tiefe symbolische Bedeutung, wie ich finde. Mit seiner Weite erinnert es mich daran, wie groß Gott ist. Und es lässt mich fragen, was da wohl hinter dem Horizont zu finden ist. Da ist etwas, auf das man zusegeln kann, von dem man das Gefühl hat, dass es etwas ganz Wunderbares ist, das wir aber noch nicht sehen können. Trotzdem haben wir eine Ahnung, dass es da ist und dass wir da unbedingt hinmüssen.
Und, wie der Schriftzug auf meiner Sporthose es ausdrückt, steht das Meer in Verbindung mit Liebe.
Wenn wir mit dem Schriftzug ein bisschen spielen und ein Wort zufügen, dann kommt dabei folgendes raus: Ocean of Love - Ozean der Liebe.
Ja, das Meer erinnert mich an ein Meer voller Liebe. Wir haben in unserem Herzen ein Meer voller Liebe für diejenigen, die uns nahestehen und mit denen wir gemeinsam durchs Leben gehen. Und dieses Meer voller Liebe läuft nicht plötzlich aus, wenn diese Menschen sterben. Das Meer voller Liebe bleibt ein Meer voller Liebe.
Und dann ist da noch Gott. Gott hat auch ein Meer voller Liebe - für jede und jeden einzelnen von uns. Gottes Liebe ist so groß wie ein Ozean. Gottes Liebe ist so weit wie das Meer. Genauso heißt es ja auch in einem Kirchenlied: Weit wie das Meer ist Gottes große Liebe, wie Wind und Wiesen, ewiges Daheim. Freiheit bekamen wir, uns zu bewegen, und zu Gott ja zu sagen oder nein. Weit wie das Meer ist Gottes große Liebe, wie Wind und Wiesen, ewiges Daheim.
Gottes Liebe zu uns ist grenzenlos, so wie das Meer grenzenlos zu sein scheint, wenn wir uns oben an den Klippenrand stellen und in die Ferne blicken. Wenn wir nicht gerade auf dem Leuchtturm stehen und bei ganz klarer Sicht das Büsumer Hochhaus sehen, dann bekommen wir schon den Eindruck, dass das Meer unendlich weit ist, dass es keine Begrenzung hat.
Und wenn wir so aufs Meer blicken, dann haben wir vielleicht das Gefühl, dass die Liebe zu unseren Verstorben so weit ist wie das Meer. Wenn wir aufs Meer blicken, dann erkennen wir vielleicht, dass Gottes Liebe zu uns so weit ist wie das Meer. Und vielleicht sind genau diese die Gründe, warum wir unsere Verstorbenen so gerne auf See bestatten. Denn die See erinnert uns genau daran: Weit wie das Meer ist Gottes große Liebe. Und: Weit wie das Meer ist auch unsere große Liebe.
Die See erinnert uns aber auch an ein Versprechen, das Gott uns macht: Dass es ein anderes Ufer gibt, das wir zwar noch nicht sehen können, an dem wir aber alle irgendwann ankommen werden, um ein Land zu betreten, in dem Gott auf uns wartet und unsere Tränen abwischt, und in dem es keinen Tod, kein Geschrei, kein Leid, keinen Schmerz mehr geben wird, wie es die Johannesoffenbarung beschreibt. Die See soll uns gerne daran erinnern, dass hinter dem Horizont unseres Lebens noch etwas kommt. Wie die Erde, so ist auch unser Leben keine Scheibe, von der wir runterfallen können. Wenn unser Leben zuende ist, stürzen wir nicht in eine dunkle Tiefe, in der nur der Tod auf uns lauert. Gott verspricht uns, dass wir weitersegeln, auch wenn unsere Lebensreise zuende ist. Wir segeln über den Horizont hinaus und hinein in ein ewiges Leben.
Das Kirchenlied „Weit wie das Meer“ spricht übrigens nicht nur von Gottes großer Liebe sondern auch von der Freiheit, uns zu bewegen.
Freiheit und Bewegung sind auch zwei Dinge, für die das Meer oft steht. Viele Menschen fühlen sich auf dem Meer freier als an Land, weil sie alle Zwänge hinter sich lassen können. Dazu kommt, dass einerseits das Meer selbst ständig in Bewegung ist. Aber die Menschen, die das Meer befahren sind auch in Bewegung. Selbst bei Flaute, selbst wenn kein Wind weht, ist ein Bott in Bewegung, auch wenn es nur vor sich hindümpelt.
Auch die Freiheit und die Bewegung lassen sich auf unser Leben übertragen. Hier in unserem irdischen Dasein haben wir die Freiheit, uns nach vorne zu bewegen und über das Meer unseres Lebens zu segeln. (Hoffentlich ohne seekrank zu werden). Aber wenn unser Leben zuende ist, haben wir diese Freiheit immer noch.
Wir bleiben nicht im Tod stecken, sondern wir bewegen uns weiter, hinein in das ewige Leben. Damit sind wir frei von Vergänglichkeit und Endlichkeit. Uns ist die Freiheit versprochen, die das ewige Leben bringt - und denen, die uns vorausgegangen sind.
Das Meer steht für Liebe, Bewegung und Freiheit. Gott steht für Liebe, Bewegung und Freiheit. Ich wünsche mir, dass wir daran immer wieder erinnert werden, wenn wir aufs Meer blicken.
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