Wir sind das Gesicht der Hoffnung



Predigt am 19.01.2020 zu Jeremia 14, 1-9

 Ihr Lieben,

die Süddeutsche Zeitung schrieb am 14.November 2018:
„Deutschland erlebt gerade die größte Dürre seit Beginn der Messungen - weil es schon seit Beginn des Jahres zu wenig regnet. (...)

Insgesamt fielen im Sommer 2018 nur 54 Prozent der üblichen Regenmenge. Wenn man zeitliche Dauer, räumliche Ausdehnung und absolute Bodenfeuchte betrachtet, ist die diesjährige Dürre laut Daten des UFZ größer als in allen Jahren seit 1951 - seit diesem Jahr gibt es aussagekräftige Messungen zu Trockenheit und Bodenfeuchte.

Weil die Dürre auch im Herbst kein Ende nimmt, führen nun die tieferen Bodenschichten bis 1,8 Meter Tiefe kaum noch Wasser. "Es fehlen hunderte Liter Wasser auf jedem Quadratmeter" (...). Selbst wenn es demnächst wieder regne: Es werde lange dauern, bis die Feuchtigkeit im Boden wiederaufgefüllt sei. 

Die Folgen werden lange spürbar sein: Schon dieses Jahr fuhren die Landwirte mit 35,6 Millionen Tonnen ein Viertel weniger Getreide ein als sonst. Und die Dürre prägt bereits das nächste Jahr. Raps beispielsweise wird bis Ende September ausgesät, wegen der Trockenheit keimten viele Samen jedoch kaum. Wo nichts wächst, kann natürlich auch nichts geerntet werden.“

Das ist der Situation, die da im Jeremiabuch beschrieben wird, schon ziemlich ähnlich. Und so könnte ich denn auch die Menschen damals im Königreich Juda als gutes Beispiel für uns heranziehen und sagen: Ja, Wassermangel, zu viel Hitze, und Dürre setzen uns zu. Aber: Nicht die Hoffnung verlieren! Die Menschen damals im Königreich Juda haben auch die Hoffnung nicht aufgegeben. Mit Recht, denn Gott hat ihnen zwar anfangs durchaus mit totaler Vernichtung gedroht, weil sie so sauer auf ihre Leute war, aber am Ende hat Gott es nicht durchgezogen. Jesus Christus kam in die Welt und die Liebe hat gesiegt und damit auch das Leben. Ja, es sieht auch jetzt mal wieder nicht gut aus für uns Menschen und für unsere Welt, aber gebt die Hoffnung nicht auf! Haben die Leute damals zu Jeremias Zeit auch nicht getan.

Das funktioniert nur leider nicht. Zumindest bei mir nicht. Denn ich fühle mich bei all dem Leid und Elend, das da im Jeremiabuch beschrieben wird, gar nicht angesprochen.
Ja, ich habe in 2018 einen verhältnismäßig heißen Sommer erlebt, aber das war‘s dann auch schon. (Wobei ich zugeben muss, dass die Temperaturen hier auf Helgoland noch moderat waren im Vergleich zum Festland.) 
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich für meinen Teil hatte sowohl in 2018 und auch in 2019 genug zu essen – trotz der Dürre. Okay, manche Lebensmittel waren aufgrund der schlechten Ernten etwas teurer als sonst, aber wirklich dramatisch war es für mich nicht.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schrieb dazu übrigens im Dezember des vergangenen Jahres auch etwas Interessantes. Deutschland sei zwar mit am stärksten von den Klimaschäden betroffen. Wir belegen weltweit sogar schon den dritten Platz, gleich hinter Japan und den Philippinen. Allerdings würden die Hauptlast nicht wir sondern die Entwicklungsländer tragen. 

Wie gesagt: So wirklich dramatisch ist es für uns nicht.
Deshalb ist es dann auch klar, dass ich nicht wirklich nachvollziehen kann, wie es den Menschen gegangen sein musste, von denen im Buch des Propheten Jeremia die Rede ist. Ich kann im Leben nicht diese Verzweiflung nachempfinden, mit der sie sich an Gott wenden und um Hilfe bitten. Noch nicht. Jedenfalls nicht in Sachen Wasser- und Nahrungsmangel. Ich habe nie wirklich Hunger oder Durst leiden müssen. Was natürlich durchaus noch kommen kann. Wer weiß.
Wenn ich also die Worte lese, die da im Jeremiabuch stehen, dann kann ich mich nur schwer damit identifizieren.

Aber ich kann hier nicht das Maß der Dinge sein. Denn es gibt sie ja: die Menschen, denen es so dreckig geht, wie denen aus unserem Bibeltext. Das hat uns ja unter anderem die FAZ bestätigt. Und für die haben wir Verantwortung. 

Diejenigen, die leiden, können nicht für sich selbst eintreten. Denn sie haben vielleicht die Voraussetzungen gar nicht. Sie haben vielleicht die Macht nicht. Sie haben vielleicht die Kraft nicht. Sie haben vielleicht das Wissen nicht.
Aber wir können das. Wir können für sie eintreten. Wir haben die besseren Voraussetzungen, weil wir die Privilegien haben. Und damit sind wir aufgefordert zu handeln und zu helfen.

In einem Podcast Interview mit Vera Marie Strauch berichtet Amani Abuzahra über eine Erfahrung, die sie auf einer Bahnfahrt gemacht hat. Amani Abuzahra ist Philosophin, Autorin und Pädagogin. Und Muslimin. Erkennbar ist sie durch ihr Kopftuch.

Die Erfahrung, die sie im Zug gemacht hat, ist nicht außergewöhnlich. Leider. Aber wie sie darüber denkt, hat mir ein Aha-Erlebnis beschert.
Hier ihre Geschichte: Während einer Zugfahrt habe ein Mitarbeiter der Bahn Feedbackbögen verteilt. Amani Abuzahra wurde übergangen. Zunächst ging sie davon aus, dass die Fragebögen nach vorher ausgewählten Platznummern verteilt würden. Dann merkte sie jedoch, dass ALLE anderen Fahrgäste um sie herum einen Feedbackbogen bekamen, nur sie nicht. Sie fragte sich, was der Grund sein mochte. Meinte man, sie sei der deutschen Sprache nicht mächtig? 
Sie unterhielt sich mit einem anderen Fahrgast darüber. Seine Reaktion dazu: „Warum haben Sie denn nichts gesagt? Wenn er vorbeikommt, sagen Sie ihm das doch.“ Im ersten Moment hatte ich denselben Gedanken. Ja, warum hatte sie nichts gesagt?
Amani Abuzahra sagt dazu, dass damit dann aber die Verantwortung wieder an das „Opfer“ zurückfällt. Diejenigen, die eine privilegierte Stellung innehaben, hätten es aber doch so viel leichter, gegen Ungerechtigkeit vorzugehen.
(Quelle: Vera Marie Strauch, „Female Leadership“, Podcast, Folge 81 vom 19. November 2019)

Diejenigen, die nicht ungerecht behandelt werden und die einen gewissen Stellenwert und eine gewisse Anerkennung in den Augen anderer haben, haben es doch so viel leichter, für Gerechtigkeit zu sorgen. Ich finde, da hat Amani Abuzahra recht.

Die Menschen mit den Privilegien sind also in der Pflicht, weil sie mehr verändern können. Das bedeutet für uns: Wir sind in der Pflicht, denen zu helfen, die unter Nahrungs- und Wassermangel am meisten leiden, denn wir sind die mit den Privilegien. Wir haben genug zu essen. Wir haben Zugang zu sauberem Wasser. Und wir müssen für die sorgen, die das nicht haben.

Wir mögen uns vielleicht nicht angesprochen fühlen durch Texte wie den im Jeremia Buch, weil es uns gerade gar nicht so schlecht geht. Es gibt aber andere Menschen, die tatsächlich so viel Leid erfahren. Die sind angesprochen, aber wir sind mit angesprochen. Wir sind mit angesprochen, weil wir uns für sie einsetzen können. 
Im Jeremiabuch ist übrigens nicht nur von Menschen die Rede, denen es schlecht geht. Gott kommt auch vor. Mit ihrer Gnade. Da steht auch etwas von der Hoffnung, dass Gott die Menschen retten kann.

Damit bin ich wieder bei uns, denn wir können das Gesicht dieser Hoffnung sein! Wir können die Werkzeuge sein, die Gottes Gnade in dieser Welt umsetzen!
Gnade, auf die die Menschen übrigens auch dann hoffen dürfen, wenn sie selber schuld sind an ihrem Unglück. Die Menschen im Königreich Juda damals hatten sich das Leid selbst zuzuschreiben, denn sie hatten Gott ziemlich verärgert, indem sie sich von ihm (oder ihr) abgewendet haben. Auch wir heute haben uns Dürre und Missernten selber zuzuschreiben. Im Grunde auch, weil wir uns von Gott abgewendet haben. Nämlich dadurch, dass wir uns weigern, fürsorglich mit Gottes Schöpfung umzugehen. Ja, Gott ist ziemlich angefressen. War sie damals und ist sie heute sicherlich auch noch, wenn sie sehen muss, wie wir mit ihrer Welt umgehen. Aber am Ende gewinnt dann doch die Gnade die Oberhand. Gott hat zwar zu Jeremias Zeiten noch ziemlich unversöhnlich reagiert, aber das sollte sich ändern, wie wir ja wissen. Am Ende hat sich Gott dafür entschieden, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Jesus Christus ist Ausdruck dieser Gnade. Wir als Nachfolgerinnen und Nachfolger von Jesus können auch Ausdruck dieser Gnade sein, indem wir denen helfen, denen es schlecht geht.

Jetzt ist es aber nicht so, dass es uns allen immer nur gut geht, dass wir immer nur die Privilegien haben.
Wir mögen zwar genug zu essen und zu trinken haben, aber das heißt ja nicht, dass wir auch von allem anderen Leid verschont sind. Es mag Dinge geben, die uns auf andere Weise übel mitspielen: körperliche und seelische Gewalt zum Beispiel oder schwere Krankheiten. Natürlich können auch wir Erfahrungen machen, die uns in so tiefes Elend stürzen, wie die Menschen in Juda zur Zeit Jeremias. Plötzlich bin ich nicht mehr der Mensch mit den Privilegien. 
Wäre es dann nicht schön, wenn andere für uns eintreten und uns helfen?

Wir sind also immer angesprochen, wenn es um Hoffnung geht. Entweder weil wir Hoffnung habendürfen, wenn wir Not und Elend erfahren. Oder weil Hoffnung geben dürfen, wenn andere Not und Elend erleiden müssen.

Ja, aus den Worten des Bibeltextes höre ich ganz viel Hoffnung heraus. Obwohl es da doch eigentlich um Gericht und um Strafe für vergangene Vergehen geht. Ich höre die Botschaft heraus: 
Wir dürfen Hoffnung haben, dass sich die lebensbedrohliche Dürre abwenden lässt. Weil Gott Menschen schickt, die ihre Gnade in die Tat umsetzen. Und weil wir selber diese Menschen sein können, die Gottes Gnade in die Tat umsetzen.

Lasst uns also die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Dürre irgendwann ein Ende hat – die Dürre da draußen in der Welt und die Dürre in uns drin.

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