Betet! Aber leise.



Predigt am 17.05.2020 zu Matthäus 6, 5-15


Ihr Lieben,

unsere Inselbevölkerung hat ja so ihre eigenen Gewohnheiten. Zum Beispiel, dass wir uns hier nie die Hand geben. Das war auch schon vor Corona so. Mir hatte man kurz nach meinem Umzug auf die Insel erklärt, dass es dafür zwei Gründe gäbe. Der eine Grund ist, dass man sich auf so einer kleinen Insel ständig über den Weg läuft und dann käme man aus dem Händeschütteln ja gar nicht mehr raus. Also wird nur bei An- und Abreise die Hand gegeben. Ich habe mich schnell an diese Eigenehit gewöhnt, mit dem Ergebnis, dass ich durchaus schief angeguckt wurde, wenn ich zum Pastorenkonvent auf dem Festland war und meine Hände in den Hosentaschen steckenblieben, wenn ich einen Raum betrat. Ich kam gar nicht auf die Idee, jemandem die Hand zu schütteln. Und daran ist nicht nur das Leben auf Helgoland schuld. Ich habe noch nie gerne anderen Menschen die Hand gegeben.
Der zweite Grund für das Nicht-Hände-Schütteln sei, dass früher ja die hygienischen Verhältnisse nicht so klasse waren und man einfach vermeiden wollte, sich mit irgendwelchen Krankheiten anzustecken. Was auf so einer kleinen Insel ja sehr schnell gehen kann. Na, das kommt uns doch bekannt vor, oder? 

Eine weitere Eigenheit der Helgoländerinnen und Helgoländer ist eine, mit der ich mich deutlich schwerer tue. Sie sprechen das Vaterunser nicht mit. Das ist hier tatsächlich so. und das war schon immer so. 😉
In einem Sonntagsgottesdienstbfällt das nicht unbedingt auf, weil da ja auch Feriengäste teilnehmen, die das Vaterunser natürlich laut mitsprechen, wenn es dran ist. Bei den Beerdigungen habe ich es aber deutlich gemerkt. 
Draußen am Grab bin ich immer die einzige, die das Vaterunser spricht. Für mich fühlt sich das auch nach acht Jahren Dasein als Inselpastorin ziemlich komisch an.

Das keiner das Vaterunser laut mitsprich heißt jetzt allerdings nicht, dass die Anwesenden es überhaupt nicht sprechen. Das tun sie durchaus. Nur eben still für sich und in Gedanken.
Was ja völlig in Ordnung ist, wenn wir dem Text aus dem Matthäusevangelium glauben dürfen. Und: Eigentlich ist es nicht nur in Ordnung, sondern sogar erwünscht.

Jetzt hat die Aufforderung, still für sich zu beten, allerdings einen bestimmten Hintergrund. Jesus hat erlebt, dass Menschen das Gebet zur Selbstdarstellung nutzen. So nach dem Motto: Guckt mal, wie toll ich bin! Ich bin ja so fromm. Ich bin ja so ein guter Jude oder so eine gute Jüdin! Jesus lässt uns wissen, dass diese Art von Gebet gar nichts bringt, weil es nicht ernst gemeint ist. Und Gott durchschaut das sowieso. Also: Lasst es. Jesus möchte den Menschen deutlich machen, worum es eigentlich beim Gebet geht: Ehrliche Kommunikation mit Gott. 

Und die kann an ganz unterschiedlichen Orten und auf ganz unterschiedliche Arten stattfinden: In einer Synagoge, in einer Kirche, am Strand, auf einem Spaziergang, beim Joggen, im Auto zuhause – morgens nach dem Auftshen oder abends im Bett oder auch im Internet. Außerdem muss diese Kommunikation mit Gott nicht immer nur verbal, also mit Worten stattfinden, egal ob es gesprochene, gesungene oder gedachte Worte sind. 

Ich bin ja der Meinung, dass unser ganzes Leben Kommunikation mit Gott ist. Oder es jedenfalls sein sollte. Wenn ich es schaffe, mein Leben ganz bewusst mit Gott als Teil dieses Lebens zu führen, dann ist mein Leben ein Gebet.

Aber es gibt trotzdem bestimmte Zeiten, in denen meine Kommunikation mit Gott bewusster und intensiver ist als zu anderen Zeiten. Es mag euch vielleicht überraschen, dass das nicht unbedingt die Gottesdienstzeiten sind. Da bete ich zwar laut und deutlich und öffentlich, aber das tue ich in erster Linie, um euch eine Hilfe zu sein. Viele Menschen tun sich schwer, selbst Worte für das Gebet zu finden. Manchmal erleben wir auch einfach Dinge, die uns sprachlos machen. Für solche Momente haben wir dann das Vaterunser. Oder eine Pastorin, die für euch Worte findet – sei es in der Kirche oder im Internet.

Ich erlebe es im Moment ziemlich häufig, dass ich gebeten werden für bestimmte Menschen in bestimmten Umständen zu beten. Vielleicht, weil das Gegenüber davon ausgeht, dass ich als Pastorin das besser kann. Oder weil vielleicht wirklich einfach die Worte fehlen. Das übernehme ich dann natürlich sehr gerne.

Aber wenn es um meine ganz persönliche und intime Beziehung zu Gott geht, dann bete ich höchstens noch mit einer ganz bestimmten Person zusammen, die mir sehr nahe ist und zu der ich ganz viel Vertrauen habe, oder ich bete, wenn ich ganz allein bin. Im Auto habe ich das schon gemacht, wenn ich lange Strecken fahren musste und einfach keine Lust zum Radiohören hatte. Da habe ich mich dann durchaus lautstark mit Gott auseinandergesetzt. Im Moment entdecke ich eine ganz andere Form von Gebet wieder neu für mich: Yogaübungen.

Ich habe angefangen, meinen morgendlichen Laufrunden an einer Stelle am Klippenrand zu unterbrechen und den Sonnengruß zu machen. Dieser Sonnengruß ist mein Morgengebet. Ihr seht: Man kann auch mit Gesten und Körperhaltungen beten. Am Dienstag hatte ich dann sogar das Gefühl, dass Gott direkt antwortet, denn als ich meine Laufrunde startete, war der Himmel von Wolken bedeckt. Als ich mit dem Sonnengruß anfing brach die Sonne durch die Wolken und schien mir direkt ins Gesicht. Ja: da hatte ich das Gefühl, direkt mit Gott zu kommunizieren.

Womit ich jetzt nicht sagen will, dass solche Erfahrungen nicht auch in einer Synagoge oder Kirche möglich sind. Da ist es dann vielleicht die feste Form, die Halt gibt oder das Erleben von Gemeinschaft, was dann einen solchen göttlichen Moment in einem selbst heraufbeschwört.

Wie gesagt: Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten zu beten. Und am Ende ist unser ganzes Leben und unser ganzes Sein ein Gebet zu Gott.

Und deshalb kann ich auch gut damit leben, wenn die Helgoländerinnen und Helgoländer das Vaterunser nicht laut mitsprechen. Deshalb kann ich auch gut damit leben, wenn die Handlungsempfehlungen für Gottesdienste in Corona Zeiten sagen: Bitte sprecht das Vaterunser nicht laut, sondern still für euch. Bettet! Aber leise.
Singen ist ja auch nicht erlaubt, weil das das Ansteckungsrisiko erhöht und laut und inbrünstig beten kommt gleich nach singen. Und dem kommen wir doch gerne nach, weil wir damit unserer Nächstenliebe Ausdruck verleihen, denn im Moment ist „Liebe deinen Nächsten“ gleichzusetzen mit „Schütze deinen Nächsten“.

Gerade dann tut es gut, von Jesus gesagt zu bekommen: Es ist völlig in Ordnung, auch einfach ganz still für dich selbst zu beten. Dein Gebet ist dadurch nicht weniger wert, weil Gott auch im Verborgenen sieht. Auch wenn du still betest, weiß Gott, was du brauchst und für wen du bittest.

Und wenn dir auch im Stillen die Worte fehlen, dann ist da, zumindest auf Helgoland, immer noch die Vaterunserglocke, die mittags um zwölf das Gebet anstimmt. Und ja: Auch einfach nur dieser Glocke zuzuhören ist ein Gebet.




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