KIRCHE




Predigt am 31.05.2020 zu Apostelgeschichte 2, 1-13


Ihr Lieben,

es ist Pfingsten und an Pfingsten feiern wir den Geburtstag der Kirche. 

Jetzt stellt euch aber mal vor, ihr hätte keine Ahnung, wer oder was die Kirche überhaupt ist. Ihr seht dieses Wort mit den Buchstaben K-I-R-C-H-E und wollt jetzt aber wissen, was es damit auf sich hat. Wer ihn noch zu Hause im Regal stehen hat kann in den Volks-Brockhaus schauen (Ein Lexikon). Leider kann ich euch nicht sagen, was der Volks-Brockhaus zu Kirche sagt, denn ich habe keinen im Regal stehen. Aber es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten. Wir könnten zum Beispiel das Internet befragen. Ich habe mal das Wort in eine Suchmaschine eingegeben, also gegoogelt, und raus kamen als erstes Schlagzeilen wie diese hier: „Kirchen in München: Corona-Regeln im Gottesdienst“. Gleich darunter wurde mir ein Wikipedia-Artikel angeboten. Wikipedia ist ja sozusagen der Volks-Brockhaus des Internets. Wikipedia liefert mir zwei Arten von Kirche: Einmal sei es eine Organisation, zum anderen ein Bauwerk.

Die Kirche selbst definiert sich allerdings noch wieder anders und zwar als Gemeinschaft der Glaubenden. Das deckt sich mit dem, was in der Bibel steht. Im Griechischen, der Originalsprache, in der das Neue Testament geschrieben wurde, taucht die „Ekklesia“ auf, die mit Kirche übersetzt werden kann, aber eigentlich ist damit eine Volksversammlung gemeint. Was ja wieder zu der Gemeinschaft der Glaubenden passt, denn diese Gemeinschaft versammelt sich: um gemeinsam Gottes Wort zu hören, um gemeinsam zu essen, um gemeinsam zu beten, um gemeinsam den Armen und Schwachen und denen in Not zu helfen. Und um gemeinsam zu bekennen: „Wir glauben an den Gott, der die Liebe ist“.

Ja, die Kirche kann auch ein Gebäude sein, aber in erster Linie ist sie das nicht. Oder nicht nur. Sie ist nicht nur das Haus der Glaubenden. Sie ist auch nicht nur der Gottesdienst der Glaubenden. Die Kirche ist: die Menschen!

Und dann habe ich mal im Theologiestudium gelernt, dass es eine sichtbare und eine unsichtbare Kirche gibt. Zur sichtbaren Kirche würden die Gebäude gehören, die Gottesdienste, der Seniorenkreis, der Konfirmandenunterricht und die ganzen gute Werke, die wir aus unserem christlichen Glauben heraus tun. Vieles von der sichtbaren Kirche ist leider im Moment gar nicht oder nur mit Beschränkungen möglich. Deshalb wird vermutlich auch überall behauptet, die Kirche habe sich im Homeoffice versteckt. Wo Menschen aber trotz allem noch Kirche sind, wird übersehen:

Wir sind Kirche, wenn wir Nächstenliebe praktizieren, indem wir auf andere Rücksicht nehmen zum Beispiel. Ich sag nur: Abstand! Mundschutz! Wir sind Kirche, wenn wir gemeinsam beten - auch wenn das von zu Hause aus passiert. Wir sind Kirche, wenn wir uns mit Gottes Wort auseinandersetzen, egal, wann wo und wie. Wir sind Kirche, wenn wir uns gegenseitig anrufen und fragen, wie es gerade geht. Wir sind Kirche, wenn wir in Corona-Zeiten den Einkauf für Menschen organisieren, die in Quarantäne sind.

Das unterscheidet sich übrigens gar nicht so sehr von der Kirche der frühen Christinnen und Christen. Auch sie waren Kirche, indem sie füreinander da waren: Indem sie den Witwen und den Armen geholfen oder indem sie die Geschichten von Jesus weitererzählt haben.

Jetzt zum unsichtbaren Teil: 
Das, was an der Kirche unsichtbar ist, beschreibt der Theologe Wilfried Härle als „suchende, fragende, vertrauende Offenheit für Gott, also der Glaube, der die Menschen zur Kirche verbindet.“ [i]
Es gibt also etwas, das wir nicht sehen können, das uns aber trotzdem zu einer Kirche verbindet: Der Glaube.

Und diesen Glauben haben wir ja noch, trotz aller Beschränkungen, trotz versammlungsverbot. Die Frage ist jetzt, wie wir den in einer Zeit leben können, in der das mit der sichtbaren Kirche nicht so leicht ist.

Wie können wir Gemeinschaft sein, Gemeinschaft leben, auch wenn wir nicht zusammen in einem Raum Kirchenchoräle singen? Wie können wir Kirche sein, auch wenn wir uns nicht zum Seniorenkreis, im Konfirmandenunterricht oder beim Gemeindefest treffen können?

Meine Antwort darauf: Lasst euch was einfallen! Und zwar nicht: Lasst euch was einfallen, damit wieder alles so wird wie vorher. Das wird nicht möglich sein. Deshalb: Lasst euch was einfallen, wie wir auch auf andere Weise eine Kirche sein können, wie wir auf andere Weise eine Gemeinschaft sein können, die sich auf der Botschaft von Gottes Liebe gründet!

Die Jünger Jesu können uns da ein gutes Vorbild sein. Auch sie mussten sich ständig an neue Situationen, an neue Umstände gewöhnen und ihr Leben danach ausrichten. Erst kommt Jesus und sagt, sie sollen alles stehen- und liegenlassen und ihm nachfolgen. Sie sollen plötzlich ein völlig anderes Leben leben. Und dann stirbt er, wird auferweckt und begibt sich auf direktem Weg zu Gott in den Himmel. Jetzt sollen sie plötzlich ganz allein weitermachen, ohne ihren Lehrer, der doch immer auf alle Fragen eine Antwort hatte. Das Schöne: Sie sind ja nicht allein, denn da kommt mit Pfingsten der Geist Gottes, der sie alle verbindet, der sie zu einer ganz besonderen Glaubensgemeinschaft macht, der sie tröstet, leitet und führt.

Dieser Geist verbindet uns alle noch heute – durch die Generationen hindurch mit den ersten Christinnen und Christen, aber auch im Hier und jetzt. Auch wir sind nicht alleingelassen. Gottes Geist ist immer noch da und tröstet und leitet und führt und hilft uns dabei, Kirche zu sein. Gottes Geist ist immer noch da und verbindet uns. Wir sind ja immer noch eine Familie. Das kann auch eine Pandemie nicht ändern. Das kann auch der härteste Lockdown nicht verhindern. Wir sind durch Gottes Geist immer noch miteinander verbunden - mit allen Christinen und Christen weltweit. 

Die Frage ist jetzt: Wie leben wir diese Gemeinschaft?

Da kann heute die moderne Technik sehr hilfreich sein. Menschen treffen sich derzeit öfter zum virtuellen Kaffeetrinken. Es muss ja aber auch nicht gleich der Videochat sein. Ich erinnere mich da an früher. Ja, früher! Da habe ich mal vier Stunden lang mit meiner Freundin zusammengesessen bis mitten in die Nacht mit ihr über Gott und die Welt geredet und dabei anderthalb Flaschen Rotwein leergemacht. Am Telefon. Wir wohnten einfach zu weit auseinander, als dass wir uns mal eben hätten besuchen können. Also hat jede es sich auf ihrem Sofa gemütlich gemacht und wir haben einen ganz wunderbaren gemeinsamen Abend verbracht. Das ist eine schöne Art, Gemeinschaft zu leben und das geht auch heute noch! 

Das geht auch als Kirche:
Es gibt Pastorinnen und Pastoren, die haben genau das umgesetzt und Telefonandachten gemacht, bevor wieder Gottesdienste in Kirchen gefeiert werden durften. 
Aber das geht nicht nur die „Profischafe“ was an. Wenn ich sage: Lasst euch was einfallen, dann meine ich das genau so. Nicht: Der Pastor muss sich etwas einfallen lassen. Oder: Die Bischöfin muss sich etwas einfallen lassen. Oder: Die EKD muss sich etwas einfallen lassen. Oder der Weltkirchenrat muss sich etwas einfallen lasse. Wir alle sind doch die Kirche! Das heißt: Wir alle haben die Aufgabe, uns etwas einfallen zu lassen, wie wir in Zeiten wie diesen eine lebendige Gemeinschaft der Glaubenden sein können - sichtbar wie unsichtbar.

Also: lassen wir uns was einfallen!



[i] (Wilfired Härle, Dogmatik, Walter de Gruyter, Berlin, New York, 1995, S. 572)

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