Raus aus der Wohlfühlzone!


(Predigt vom 01.07.2018 zu 1. Mose 12, 1-4a)

 

Ihr Lieben,

wir haben gerade in den Lesungen zwei Berufungsgeschichten gehört, die von Abraham und die von Petrus. Ich will euch eine dritte erzählen: meine.


Das Wort des Herrn erging an Pamela Hansen im Jahr 2004. Da sagte der Herr zu Pamela: „Verlass deine Heimat, deine Sippe und die Familie deines Vaters und zieh in das Land, das ich dir zeigen werde!“ 

 

Es läuft allerdings in der Realität selten so ab, dass ein Mensch eine Stimme aus dem Off hört, die ihr einen Auftrag erteilt, und dass dieser Mensch dann alles stehen und liegen lässt, um diesen Auftrag zu erfüllen - um Gottes Auftrag zu erfüllen.

 

Ich jedenfalls habe keine Stimme aus dem Off gehört, sondern bekam ein Brief aus den USA, der über das Landeskirchenamt an alle Theologinnen und Theologen weitergeleitet wurde, die keine Pfarrstelle bekommen hatten. In diesem Brief wurde uns mitgeteilt, dass die Southeast Michigan Synod der Evangelisch Lutherischen Kirche in Amerika dringend Pastorinnen und Pastoren braucht. Wer Interesse hätte, sollte sich doch bei dem angegebenen Kontakt melden.

 

Ich war zu dem Zeitpunkt schon zwei Jahre arbeitslos. Ja, ich war eine von denen, die keine Pfarrstelle bekommen hatten, weil es zu dem Zeitpunkt zu viele Pastor*innen und zu wenig Pfarrstellen gab. Da ich mich aber wirklich berufen fühlte, Pastorin zu sein, tat ich, was in dem Brief vorgeschlagen wurde: Ich meldete mich. Bei meiner Mutter!

Und sagte: „Mama, ich habe da diesen Brief bekommen. Die suchen händeringend Pastoren und Pastorinnen in den USA. Was soll ich machen???

Soll ich mich da mal melden? Interesse habe ich ja. Aber ich kann doch hier nicht alles stehen und liegenlassen und einfach nach Amerika auswandern?!“ 

 

Und dann war da ja auch noch die Frage, was mein Mann von der ganzen Aktion halten würde? Würde er mitkommen? Was, wenn nicht?

 

Nach dem Beratungsgespräch mit meiner Mutter traute ich mich jedenfalls, den Pastor in Amerika anzurufen, der diesen Brief verfasst hatte, und mein Interesse zu bekunden. Alles Weitere würde sich dann irgendwie ergeben.

 

Und es ergab sich auch. Mein damaliger Mann und ich sind dann tatsächlich im Jahr 2006 mit Sack und Pack nach Amerika umgezogen, in die Nähe von Detroit, wo ich eine Pfarrstelle in einer Kleinstadtgemeinde bekommen hatte.

 

Aber bis wir da ankamen, hatten wir noch so einige Hindernisse zu überwinden. Ich erinnere mich noch lebhaft, dass ich bei einem Telefonat mit einem ADAC Mitarbeiter in Tränen ausbrach, weil man mich partout nicht aus meiner Mitgliedschaft entlassen wollte. Ich könnte die Angebote des ADAC ja auch im Ausland nutzen, hieß es. Ich fragte: „Wenn ich also in Michigan eine Autopanne habe, dann kommt der Pannendienst des ADAC und hilft?“ Nein, natürlich nicht. Aber ein Umzug in die USA sei trotzdem kein Grund, die Mitgliedschaft vorzeitig zu beenden.

 

Ganz ähnlich ging es mir übrigens mit der GEZ, der Telekom, dem Sportverein und diversen anderen Gruppierungen, die Geld von mir bekamen. Da hätten mir die Worte gut getan, die Abraham zu hören bekam, bevor der sich ans Auswandern machte:

Alle, die dir und deinen Nachkommen Gutes wünschen, haben auch von mir Gutes zu erwarten. Aber wenn jemand euch Böses wünscht, bringe ich Unglück über ihn.

 

Eigentlich kannte ich diese Schutzworte für gefährliche Wege schon. Ich hatte diese ganze Bibeltextstelle da nämlich schon in meinem Kopf abgespeichert. Allerdings war mir nur der erste Teil während meiner Auswanderungsbemühungen wirklich präsent – 

der Teil, der mich losschicke in ein fremdes Land; 

der Teil, der mir sagte, dass das schon irgendeinen Sinn hätte und dass Gott irgendwas mit mir vorhatte. 

Hätte ich die Schutzworte ebenfalls im Kopf gehabt, dann wäre ich bei dem Gespräch mit dem ADAC Mitarbeiter wohl nicht in Tränen ausgebrochen, sondern hätte ihn stattdessen durchs Telefon gezogen.

 

Aber egal. Ich habe ja alle Widrigkeiten gemeistert, und bin am Ende in dem Land gelandet, das Gott mir zeigen wollte.

 

Ich habe es geschafft, meinen ganzen Hausstand auf das zu reduzieren, was in 50 Umzugskartons passt. Ich habe den ganzen Papierkrieg überlebt und es geschafft, ein Visum samt Arbeitserlaubnis für die USA zu bekommen. Dazu musste ich tatsächlich noch nach Berlin reisen und in der amerikanischen Botschaft antreten. Ich habe es geschafft, meine ADAC Mitgliedschaft vorzeitig zu kündigen!!! Yeah! Ich habe es geschafft, Familie und Freunde zurückzulassen und darüber nicht vor Kummer umzukommen. Und ich habe es sogar durch das amerikanische Einreiseprozedere geschafft, nachdem ich da noch getestet wurde, ob ich auch tatsächlich Pastorin bin. Ich sollte Fragen zur Theologie der vier Evangelien beantworten. Woraufhin ich den Einreisevogel angepampt habe, dass ich schon seit fast 24 Stunden auf den Beinen, um den halben Erdball gereist und einfach zu platt sei, um jetzt noch Bibelquiz zu spielen. Nach diesem Ausbruch durften wir trotzdem in die USA einreisen.

 

Ich erzähle euch das alles, um euch zu zeigen, wie Berufung geht. Ich erzähle euch das alles, um euch zu zeigen, dass Gott auch im 21. Jahrhundert noch Menschen beruft. Ich erzähle euch das alles, um euch zu zeigen, was Berufung eigentlich ist: Gottes Versuch uns rauszuzerren aus unserer Wohlfühlzone, um uns in die Welt zu schmeißen, wo wir als seine Hände tätig werden sollen. Hände, die sich ausstrecken, um zu helfen oder die sich ausstrecken zur Versöhnung.

 

Die Gefahr bei solchen Geschichten wie der über Abraham ist, die, dass wir uns nicht angesprochen fühlen, weil das einfach viel zu weit weg ist. Abraham hat vor sehr sehr langer Zeit gelebt. Die Verhältnisse damals waren so anders, dass wir heute u.U. nicht mehr viel damit anfangen können. Abraham hatte vor seiner Auswanderung andere Probleme, als ich sie hatte. Abraham musste keine ADAC Mitgliedschaft kündigen. Er musste auch kein Umzugsunternehmen beauftragen. Telefon und Fernsehen abmelden musste er auch nicht. Auslandskrankenversicherung gab’s nicht. Dafür hatte er eine ganze Familie, Sklaven, Arbeiter, Vieh, Zelte, Vorräte und was weiß ich in das Land zu bugsieren, das Gott ihm zeigen wollte. Wie gesagt: für uns heute schwer nachvollziehbar.

 

Wir sind aber trotzdem angesprochen. Berufung ist ein Thema, das auch uns heute noch angeht. Uns alle. Also auch euch.  Nicht nur mich als Pastorin.

 

Keine Angst, ihr müsst jetzt nicht alle auswandern in ein fremdes Land. Aber ihr solltet schon bereit sein, euch von Gott aus eurer Wohlfühlzone locken zu lassen. Denn das ist die Konsequenz, wenn wir Gottes Ruf nicht nur hören, sondern ihm auch folgen. 

 

Dazu gehört dann zum Beispiel, dass wir alle unseren Blick darauf richten, dass Abraham der Stammvater dreier Religionen ist und nicht nur einer. Das bedeutet, dass wir unseren Blick darauf richten, dass es zwischen Juden, Muslimen und Christen Gemeinsamkeiten gibt, Dinge, die uns verbinden und die Frieden stiften können.

Wir alle sind Abrahams Nachkommen: Juden, Christen und Muslime.

Und das zu akzeptieren, bedeutet für manche schon, dass sie ihre Wohlfühlzone verlassen müssen.

 

Was die Juden betrifft, ist das vielleicht noch nicht so schwer. Schließlich war Jesus selber Jude. Aber bei den Muslimen kann es richtig heftig werden, vor allem, wenn wir sehen, was im Namen dieser Religion alles angerichtet wird. Mit dem Islam verbinden wir die Missachtung der Gleichberechtigung und das Verursachen von Terror und Krieg.

Kleiner Hinweis am Rande: Das Christentum konnte sowas auch sehr gut, über Jahrhunderte hinweg.

 

Ich habe den Islam aber auch von einer ganz anderen Seite kennengelernt. In den USA. Eigentlich war der Besuch der Moschee als Fahrt für die Jugendgruppe unserer Kirchengemeinde gedacht. Wir hatten gerade ein Themenprojekt laufen mit dem Titel “Know your God“ – „Kenne deinen Gott“. Wir fanden es sinnvoll, dazu auch andere Religionen kennenzulernen und hatten den Besuch einer Moschee organisiert. Es gab viel Gegenwind aus unserer eigenen Gemeinde: Wie konnten wir es wagen, die armen Jugendlichen dem „Feind“ auszuliefern. Am Ende fuhren aber nicht nur unsere Jugendlichen mit, sondern auch eine ganze Reihe interessierter Erwachsener.

 

Und es war eines der schönsten und einschneidensten Erlebnisse! Wir wurden so freundlich aufgenommen, durften sogar am Gebet teilnehmen, wurden mit allen möglichen Köstlichkeiten bewirtet und was das Wichtigste ist: Wir wurden als gleichberechtigte Gesprächspartner angesehen. Wir haben einen ganzen Abend lang superinteressante Gespräche geführt und auf beiden Seiten wuchs das Staunen darüber, wieviel wir eigentlich gemeinsam haben! Nicht nur unseren Stammvater Abraham. Da gibt es noch viel mehr.

 

Ja, sicher hat es mich gestört, dass wir Frauen zum Gebet in ein kleines Kabuff in der hintersten Ecke der Moschee abgeschoben wurden, aber dann fiel mir auch gleichzeitig wieder ein, wie über lange Zeit im Christentum mit Frauen umgegangen wurde und auch immer noch umgegangen wird. Da gibt es so einige Baustellen: In der Moschee UND in der Kirche. Und in der Synagoge auch.

 

Viel wichtiger war es allerdings für mich wie auch für alle anderen aus unserer Kirchengemeinde, zu sehen, mit was für wunderbaren Menschen wir es da in dieser Moschee zu tun hatten. Und plötzlich schien ein friedliches, ja ein freundschaftliches Miteinander greifbar nahe zu sein.

 

Vielleicht hat Gott mich damals aus meiner Wohlfühlzone geholt und nach Amerika geschickt, damit ich genau diese Erfahrung mache.

 

Und vielleicht hat Gott mich aus einem bestimmten Grund ein zweites Mal losgeschickt. Ja, Gott hat ein zweites Mal zu mir gesagt: „Verlass deine Heimat, deine Sippe und die Familie deines Vaters und zieh auf die Insel, die ich dir zeigen werde!“

Habe ich gemacht und ich landete ...

... auf Helgoland!

 

Vielleicht hat Gott mich ein zweites Mal losgeschickt, damit ich euch hier von genau diesem Erlebnis in einer amerikanischen Moschee erzählen und in Gottes Auftrag versuchen kann, euch aus eurer Wohlfühlzone zu locken, damit auch ihr euch für Offenheit, Toleranz, Nachbarschaft, Freundschaft und Frieden einsetzt: Zwischen den Religionen, zwischen den Kulturen, zwischen den Ländern, zwischen den Menschen.

 

Denn wir alle sind dazu berufen.

 

 



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