Sehnsuchtsort



(Predigt vom 09.09.2018 zum Gedenken der Seebestatteten zu Offenbarung 21, 1-7)


Ihr Lieben,

 

Hans Christian Andersen hat das Märchen „Die kleine Seejungfrau“ geschrieben. In dieser Geschichte beschreibt er das Meer auf ganz wunderbare Weise:

 

Weit draußen im Meere ist das Wasser so blau, wie die Blätter der schönsten Kornblume, und so klar, wie das reinste Glas. Aber es ist sehr tief, tiefer, als irgend ein Ankertau reicht; viele Kirchtürme müßten auf einander gestellt werden, um vom Boden bis über das Wasser zu reichen. Dort unten wohnt das Meervolk.

Nun muß man aber nicht glauben, daß da nur der nackte weiße Sandboden sei; nein, da wachsen die sonderbarsten Bäume und Pflanzen, die so geschmeidig im Stiel und in den Blättern sind, daß sie sich bei der geringsten Bewegung des Wassers rühren, gerade als ob sie lebten. Alle Fische, kleine und große, schlüpfen zwischen den Zweigen hindurch, ebenso wie hier oben die Vögel durch die Bäume. An der allertiefsten Stelle liegt des Meerkönigs Schloß; die Mauern sind von Korallen und die langen spitzen Fenster vom allerklarsten Bernstein; aber das Dach bilden Muschelschalen, die sich öffnen und schließen, jenachdem das Wasser strömt. Es sieht herrlich aus, denn in jeder liegen strahlende Perlen; eine einzige davon würde großen Wert in der Krone einer Königin haben.

 

Was Hans Christian Andersen hier beschreibt, ist ein Sehnsuchtsort.

 

Als Kind war das Meer für mich ebenfalls ein Sehnsuchtsort: Ich habe mir vorgestellt, dass ich unter Wasser dahinschweben kann, dass es fast so ist wie fliegen. Alles ist leicht und unbeschwert und einfach eine ganz andere Welt. Ich erinnere mich noch, dass ich das Märchen von der kleinen Meerjungfrau gelesen hatte und überhaupt nicht verstand, warum die Meerjungfrau unbedingt ein Mensch werden wollte. Sie hatte es doch so schön da unten im Meer. Ich hätte es damals am liebsten umgekehrt gemacht und wäre Meerjungfrau geworden, nur um im Meer leben zu können.

 

Das Meer ist ja auch wirklich ein faszinierender Ort: 

 

Ozeane bedecken mehr als 70% der Erdoberfläche.

Das Meer ist das größte zusammenhängende Ökosystem der Welt.

Es gibt bis zu 400.000 Algenarten, und Algen sind Lebensspender, denn sie produzieren einen großen Teil der Sauerstoffmoleküle, die wir atmen.

 

Der tiefste Punkt unserer Erde befindet sich im Marianengraben im Westpazifik und ist 10.994 Meter tief. Man vermutet sogar, dass es noch tiefere Stellen gibt.

 

Der höchste Berg der Welt befindet sich IM MEER! Es ist nicht der Mount Everest sondern der Manua Kea auf Hawai, der er ragt über 10.000 Meter in die Tiefe, nur 4200 m sind über Wasser sichtbar.

 

Das Meer ist zu über 90% unerforscht. Das macht es für uns Menschen so geheimnisvoll.

 

Das Meer ist für viele Menschen ein Sehnsuchtsort, so wie für mich als Kind. Vielleicht, weil es für uns so geheimnisvoll ist. Vielleicht, weil man es einfach nicht so zubauen kann wie das Land - von ein paar Offshore-Windparks einmal abgesehen. Vielleicht, weil es mit seiner Weite einen kleinen Eindruck von der Ewigkeit vermittelt. Vielleicht weil das Rauschen der Wellen uns beruhigt. Vielleicht weil der Blick auf das weite Meer uns entspannt. Vielleicht weil das Meer eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlt. Es gibt sogar Wissenschaftler, die behaupten: Das Meer mache glücklich!

 

Von einem anderen Sehnsuchtsort wird in der Bibel erzählt.

Das neue Jerusalem, wie es in der Johannesoffenbarung beschrieben wird, war für die frühen Christinnen und Christen ein Sehnsuchtsort. So haben sie sich den Himmel vorgestellt: als eine prächtige Stadt, in der es keine Tränen mehr geben wird, keinen Tod, keine Trauer, kein Klagegeschrei, keinen Schmerz, keine Nacht. In dieser Stadt leuchtet die Herrlichkeit Gottes. So beschreibt es der Verfasser der Johannesoffenbarung. Er beschreibt diese Stadt als einen Sehnsuchtsort, an dem die Menschen gerne ihr ewiges Leben verbringen wollen.

 

Und hier bin ich an einem entscheidenden Punkt.

 

Ich hatte doch vorhin Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Seejungfrau erwähnt. Da gibt es etwas, das mir damals als Kind gar nicht so bewusst war. Ich möchte euch an dieser Stelle einen weiteren Abschnitt aus dem Märchen vorlesen:

 

Wenn die Menschen nicht ertrinken," fragte die kleine Seejungfrau, "können sie dann ewig leben? Sterben sie nicht, wie wir hier unten im Meere?"

"Ja," sagte die Alte; "sie müssen auch sterben, und ihre Lebenszeit ist sogar noch kürzer, als die unsere. Wir können dreihundert Jahr alt werden, aber wenn wir dann aufhören, hier zu sein, so werden wir nur in Schaum auf dem Wasser verwandelt, haben nicht einmal ein Grab hier unter unsern Lieben. Wir haben keine unsterbliche Seele; wir erhalten nie wieder Leben; wir sind gleich dem grünen Schilf; ist das einmal durchschnitten, so kann es nicht wieder grünen! Die Menschen hingegen haben eine Seele, die ewig lebt, die noch lebt, nachdem der Körper zu Erde geworden ist; sie steigt durch die klare Luft empor, hinauf zu allen den glänzenden Sternen! So wie wir aus dem Wasser auftauchen und die Länder der Menschen erblicken, so steigen sie zu unbekannten herrlichen Orten auf, die wir nie zu sehen bekommen."

"Weshalb bekamen wir keine unsterbliche Seele?" fragte die kleine Seejungfrau betrübt. "Ich möchte alle meine Hunderte von Jahren, die ich zu leben habe, dafür geben, um nur einen Tag ein Mensch zu sein und dann hoffen zu können, Anteil an der himmlischen Welt zu haben.

 

Das deckt sich mit dem, was die Bibel uns darüber erzählt, wie es nach unserem Tod mit uns weitergeht. Gut, von Seejungfrauen ist in der Bibel nicht die Rede. Aber davon, dass mit unserem Tod nicht alles zuende ist. Wir werden nicht einfach nur zu Erde, bzw. Asche. Es geht weiter!

 

Die Menschen haben Gottes Versprechen, nach ihrem Tod zu einem neuen Sehnsuchtsort zu reisen, an dem es keine Tränen mehr gibt, keinen Tod, keine Trauer, kein Klagegeschrei, keinen Schmerz und keine Nacht. Wie auch immer dieser Ort letztlich aussieht.

 

Nicht umsonst wird dieser Text oft bei Bestattungen als Auferstehungstext gelesen.

 

Ich wünsche euch, die ihr um einen Verstorbenen oder eine Verstorbene trauert, dass nicht nur das Rauschen der Wellen und der Eindruck von Unendlichkeit beim Blick über das Wasser euch trösten, sondern ganz besonders dieses Versprechen, das Gott uns macht.

 

All die Verstorbenen, derer wir nun mit dem Verlesen der Namen gedenken, sind bei Gott geborgen – vielleicht in einer prächtigen Stadt, vielleicht in einer Welt, die ewig, sanft und leicht ist wie das Meer zu sein scheint, vielleicht in einer Welt inmitten der glänzenden Sterne oder in einer Welt, die noch wieder anders ist, in der wir aber IN LIEBE für alle Ewigkeit aufgenommen sind.

——————

Ich gebe den Verstorbenen bei der Seebetstattung gerne einen Valetsegen mit auf den Weg und habe ihn auch heute im Gedenkgottesdienst in leicht abgewandelter Form gesprochen:


Gott ist es, der die Menschen auf den Weg schickt.
Er ist der Wegegott. Er sendet dich zu neuen Zielen.
Gott ist es, der über jeden Menschen wacht.
Er ist der Wächter. Er blickt aufmerksam  darauf, dass du dich nicht verläufst.

Gott ist es, der sich um jeden Menschen sorgt.
Er ist der gute Hirte. Er achtet darauf,  dass du nicht verloren gehst.
Gott ist es, der die Dunkelheit erhellt.
Er ist das Licht der Welt. Er leuchtet dir in tiefster Nacht,
Gott ist es, der die Menschen über alles liebt.
Er ist die Liebe selbst. Er umarmt dich und schenkt dir ewige Geborgenheit.

 

So sind sie alle in Frieden gegangen,
begleitet durch den Wegegott, beschützt durch den Wächter,
umsorgt durch den Hirten, geleitet durch das Licht,
empfangen in ewiger Liebe.

 

Amen

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Verwendete Matieralien:

- Hans Christian Andersen: „Die kleine Seejungfrau“

- Internetartikel auf https://www.dw.com/de/11-fakten-über-unsere-geheimnisvollen-ozeane/a-19545313

- Internetartikel auf https://www.ndr.de/ratgeber/Faszination-Meer-Sehnsuchtsort-und-Lebensraum,meer418.html

- Internetartikel auf https://www.stern.de/reise/service/psychologie-warum-uns-das-meer-gluecklich-macht-3273222.html

 

 

Kommentare

  1. Ich glaube das ist der Grund warum es mir nicht so schwer fällt auch das positive im sterben zu sehen . Aber ich hab das noch nie so in so schön in Worte gepackt gehört! Danke für diese Mut machende und wirklich berührende Predigt. Ich behaupte zwar nicht das Ich keine Angst vor dem Sterben als Akt habe, aber ich hab das sichere Gefühl was danach kommt ist einfach nur gut: Weil Gott da sein wird.



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    1. Ich habe zu danken für die positive Rückmeldung. Mir geht es übrigens ähnlich: Vor dem Sterben habe ich durchaus ein hisschen Angst, weil ich weiß, dass es durchaus schmerzhaft sein kann oder eine lange Quälerei. Aber hristusbwird mich da durchführen und wenn das durchgestanden ist, dann wartet Gott mit offenen Armen.

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