Mercy is falling


(Predigt vom 28.10.2018 zu Römer 7, 14-25a)


Ihr Lieben,
ich habe folgende kleine Geschichte für euch:

Ein Nachbar hatte über Herrn Künzelmann schlecht geredet und die Gerüchte waren bis zu Herrn Künzelmann vorgedrungen.

Künzelmann stellte seinen Nachbarn zur Rede. „Ich werde es bestimmt nicht wieder tun“, versprach der Nachbar. „Ich nehme alles zurück, was ich über dich erzählt habe!“ Künzelmann sah ihn ernst an. „Ich werde dir verzeihen“, erwiderte er. „Doch jede schlimme Tat verlangt ihre Sühne.“ „Ich bin gerne zu allem bereit“, antwortete der Nachbar reumütig.

Künzelmann ging in sein Schlafzimmer und kam mit einem großen Kopfkissen zurück. „Trag dieses Kissen in dein Haus”, sagte er. „Dann schneide ein Loch in das Kissen und komm wieder zurück, indem du unterwegs immer einige Federn nach rechts, einige nach links verstreust. Das ist der erste Teil der Sühne!“

Nichts leichter als das, dachte der Nachbar und machte, wie ihm aufgetragen wurde. Als er wieder vor Künzelmann stand und ihm die leere Kissenhülle überreichte, fragte er: „Und der zweite Teil meiner Buße?”

„Gehe jetzt wieder den Weg zu deinem Haus zurück und sammle alle Federn wieder ein!” Der Nachbar stammelte verwirrt: „Ich kann doch unmöglich all die Federn wieder einsammeln! Ich streute sie wahllos aus, warf einige hierhin und einige dorthin. Inzwischen hat der Wind sie in alle Himmelsrichtungen getragen. Wie kann ich sie alle wieder einfangen, das ist unmöglich?!”

Künzelmann nickte ernst: „Genau so ist es mit der üblen Nachrede und den Verleumdungen. Einmal ausgestreut, laufen sie in alle Richtungen – wir wissen nicht wohin. Wie willst du also wieder alle über mich verbreiteten Gerüchte zurücknehmen?“ (Autor unbekannt)

Spätestens jetzt, nach dieser kleinen Geschichte, haben alle von uns begriffen, dass es nicht gut ist, schlecht über andere zu reden. Es ist schlecht zu lästern und über andere Menschen herzuziehen, besonders, wenn das, was über sie gesagt wird nicht stimmt. 

Ich bin mir sicher, dass wir es trotzdem irgendwann selbst schon getan haben, und dass wir es wieder tun werden. Obwohl wir wissen, dass es falsch ist, und obwohl wir es im Grunde gar nicht wollen. 

Ich kann natürlich nicht für euch alle sprechen, nur für mich selbst. Aber ich erliege durchaus immer wieder der Versuchung, über einen anderen Menschen herzuziehen. Ich weiß, dass es falsch ist, ich will es eigentlich gar nicht, und ich tue es trotzdem. Damit füge ich diesem Menschen Schaden zu - zum Einen weil ich ihn oder sie vor anderen schlecht mache, zum Anderen weil ich ihn oder sie verletze. Ja, es tut weh, wenn man zu hören bekommt, was andere alles Böses über einen zu sagen haben!

Ich finde übrigens, dass diese Geschichte mit den Federn nicht nur ein schönes Beispiel für üble Nachrede ist. Ich finde, sie kann sehr gut für alles stehen, was wir falsch machen - absichtlich falsch machen. All das, was ich an schlechten Dingen tue hat Konsequenzen, vor allem für diejenigen, die unter dem Mist zu leiden haben, den ich baue. Das lässt sich genauso wenig zurückholen, wie die Federn, die der Wind verweht hat.

Ich weiß, dass Legehennen unter schlimmsten Bedingungen gehalten werden und trotzdem kaufe ich die Eier, weil sie billiger sind oder weil gerade keine Eier aus Freilandhaltung im Regal stehen. Die Legehennen haben ihren Leidensweg schon hinter sich. Das kann ich nicht mehr rückgängig machen. Die männlichen Küken sind schon längst geschreddert. Auch das kann ich nicht mehr ungeschehen machen.

Ich bestelle ganz fröhlich bei einem Internetversand, obwohl ich weiß, dass die Arbeitsbedingungen dort menschenverachtend sind. Eine Vielzahl von Mitarbeitenden hat bereits eine angeschlagene Gesundheit. Die Zeit kann ich nicht zurückdrehen und die Erkrankung verhindern. Ich kann nur versuchen, in Zukunft das Richtige zu tun.

Ich lade E-Books aus dem Internet herunter, obwohl ich weiß, dass das auf Dauer die Buchläden kaputtmacht. Wenn solch ein Laden schließen musste, kann ich diese Feder nicht wieder einsammeln.
Ich kaufe Kleidung, weil sie kostengünstig ist, obwohl ich weiß, dass Menschen diese für Kleinst-Löhne herstellen müssen und das auch noch an Arbeitsplätzen, die ein hohes Sicherheitsrisiko darstellen. Wenn Näherinnen in einem Feuer in ihrem Betrieb umkommen oder schwer verletzt werden, weil es keine Notausgänge gibt, dann kann ich diese Feder nicht wieder einsammeln.

Das alles sind Federn, die in der Welt rumfliegen. Nicht nur meine. Eure auch. Und die aller anderen. Das alles sind Federn, die wir immer wieder mit voller Absicht aus dem Kissen holen, obwohl wir wissen, dass das schlecht ist und obwohl wir das eigentlich auch gar nicht wollen, WEIL es schlecht ist.

Warum das so ist, weiß ich nicht. 
Paulus versucht es mit dieser Erklärung: „In meinem irdischen Leib wohnt nichts Gutes.“ Womit er im Übrigen nicht nur sich selbst, sondern die Menschheit ganz allgemein meint.

Ich muss ihm da vehement zu widersprechen! Mit der Taufe nehmen wir den Heiligen Geist auf. Damit wohnt in uns ein Stück von Gott. Also wohnt eine Menge Gutes in mir!

Wir Menschen nicht nur Böses zustande! Wir Menschen, so fehlerhaft wir auch sein mögen, tun auch eine Menge Gutes:
- Nehmen wir zum Beispiel Mutter Teresa: Sie hat ihr ganzes Leben Gott gewidmet und den Armen, Obdachlosen, Kranken und Sterbenden geholfen. Über Mutter Teresa könnte ich nicht sagen: In ihrem irdischen Leib wohnte nichts Gutes. Da wohnte sehr viel Gutes: eine mitfühlende und liebende Seele nämlich!
- Mir kommt auch die bekennende Kirche unter der Naziherrschaft in den Sinn, die sich aktiv gegen den Massenmord an allen, die nicht dem arischen Idealbild entsprachen, gewehrt hat. Über einen Dietrich Bonhoeffer könnte ich nicht sagen: In seinem irdischen Leib wohnte nichts Gutes.

Wir müssen den Blick nicht nur nach rückwärts richten. Wenn wir uns im Heute umsehen, dann finden wir sie auch:  Die Menschen, in denen ganz viel Gutes wohnt.
- Da sind Ärzte, Pflegepersonal, Rettungsdienst, Polizei, Feuerwehr, DLRG, THW, Seenotretter, Schulsanitäter, die Johanniter Unfallhilfe, Telefonseelsorger,  oder Menschen, die sich Sachen einfallen lassen wie die Hamburger Tafel, die Bedürftige mit Essen versorgt, Menschen, die dafür sorgen, dass die, die nichts haben, Kleidung bekommen, Menschen, die dafür gesorgt haben, dass es Babyklappen und Frauenhäuser gibt.
- Und dann gibt es die, die einfach nur für andere da sind, in welcher Form auch immer: Menschen, die sich Zeit für andere nehmen, die einfühlsam sind, liebevoll, offen, die zuhören, und, und, und. 

Über sie alle würde ich nicht sagen können: In ihren irdischen Leibern wohnt nichts Gutes. Im Gegenteil: Da steckt so VIEL Gutes in uns!

Was ich ebenfalls an Paulus‘ Haltung kritisiere, ist die Tatsache, dass er sich selbst und die Menschen ganz allgemein zu Opfern des Bösen, zu Opfern der Sünde macht. Paulus sagt ja, wenn ich das tue, was ich eigentlich nicht will, dann bin ich nicht mehr der Handelnde.

Ich aber sage: Doch, bin ich! Ich trage immer noch die Verantwortung für mein Handeln! Und ich kann verdammt nochmal versuchen, das Richtige zu tun. Nicht für den Rest meines Lebens, aber immer wieder in der konkreten Situation.

Ich kann mich entscheiden, wenigstens dieses eine Mal nicht über die Person zu lästern. Ich kann mich bemühen, wenigstens dieses eine Mal nicht neidisch zu sein, auf die Aufmerksamkeit, die jemand bekommt und ich nicht. Ich kann mich bemühen, wenigstens dieses eine Mal auf das Wäscheschild in der Kleidung zu schauen, um herauszufinden, wo sie hergestellt wurde. Nicht immer. Aber dieses eine Mal. 

Das können wir schaffen, denke ich. Deshalb will ich die Verantwortung gar nicht abgeben und einfach ein Opfer der Sünde sein. 

So sehr ich auch mit Paulus über manche seiner Aussagen streiten würde, so sehr bin ich mit ihm allerdings einer Meinung, wenn es um Gottes Gnade geht. 
Denn wenn es mir dieses eine Mal nicht gelingt, das Richtige zu tun, dann wird Gott mir trotzdem vergeben. Und dazu muss ich nicht erst alle Federn wieder einsammeln und ins Kissen zurückstopfen. Ich muss nicht perfekt sein, damit Gott mich liebt. Gott nimmt mich so an, wie ich bin: Billig-Eier kaufend und lästernd. 

Ich stehe am Ende mit einer leeren Kissenhülle vor Gott und sie schickt mich dafür nicht in die ewige Verdammnis, sondern sagt: Ich vergebe dir.

    

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