Die Sache mit dem Geduldsfaden



Predigt am 07.07.2019 zu 1.Timotheus 1, 12-17


Ihr Lieben,

ich stricke sehr gerne. Vorzugweise Socken. Mützen und Schals mag ich auch. Mit Pullovern tue ich mich etwas schwer, und das hat seinen Grund: Pullover dauern mir zu lange!

Ich will schnelle Erfolgserlebnisse und deshalb stricke ich so gerne Socken, denn die sind normalerweise nach zwei Fernsehabenden fertig. Wenn immer wieder Maschen runterfallen, oder sich Fehler einschleichen, dann dauert es natürlich länger, bis die Socken fertig sind und meine Geduld wird dabei auf eine harte Probe gestellt. 
Ich habe es nicht so mit dem Stricken der Verse. Für alle Strickprofis unter euch: Ich stricke eine Jojo-Verse und muss mich dabei immer höllisch konzentrieren, damit ich nicht versehentlich Maschen beim Zusammenstricken auslasse. Ich glaube tatsächlich, dass ich noch keinen Socken gestrickt habe, bei dem das mit der Verse auf Anhieb geklappt hat. Ich musste sie immer irgendwann wieder aufmachen und neu anfangen.

Ich habe mich dann im letzten Jahr an ein anderes Projekt gewagt, das mir noch mehr Geduld abverlangt: Eine Decke aus extra dickem Garn. Sie ist noch nicht fertig, denn die Wolle reichte nicht. Ich habe zwar inzwischen Wolle nachbestellt, die unfertige Decke dann trotzdem erstmal beiseitegelegt, weil ich die Geduld verloren habe. Außerdem ist die Decke zu dick und zu schwer geworden, eignet sich nicht wirklich, um darunter zu kuscheln. Da muss man Angst haben, dass einen die Decke erdrückt. Wenn ich es schaffe, das Projekt „Kuscheldecke“ wieder aufzunehmen und fertigzustellen, dann habe ich allerdings eine gute Vorstellung davon, wie es Gott mit mir und meiner Schuld geht. Nur dass Gott an mir nicht mit Rundnadeln aus Bambus sondern mit einer großen Portion Gnade rumstrickt. Und dabei eine unendliche Geduld haben muss. Denn ich bin keine Socke, sondern gehöre eher in die Kategorie „zu schwere Kuscheldecke“. 
Und ich bin auch nicht die Einzige, mit der Gott viel Geduld aufbringen muss. Unser ganzer Planet ist voll von Kuscheldeckenprojekten in Menschengestalt. Das war früher so, das ist heute so, und das wird auch in Zukunft so sein.

Einmal ist Gott ja schon der Geduldsfaden gerissen: Die Menschen waren so weit von dem entfernt, was Gott sich für sie ausgedacht hatte, dass er kurzerhand die ganze Welt überflutete und alles Leben ertrinken ließ - bis auf Noah, seine Familie und von jeder Tierspezies ein Paar. Pflanzen müssen auch dabei gewesen sein, denn sonst hätten wir heute keine. 

Jedenfalls haben die Menschen damals, die diese Geschichte erzählten, das so verstanden. Vielleicht haben sie eine Flutkatastrophe erleben müssen und in Kombination mit der Einsicht, dass sie sich über Generationen hinweg falsch verhalten hatten, war die Auffassung entstanden, dass die Flutkatastrophe Gottes Strafe für das ganze Versagen der Menschheit war. Sie haben sich damals gedacht: Gott ist so sauer auf die Menschen mit ihrem bösen Verhalten, dass er aus seiner Wut heraus fast alles Leben auf der Erde vernichtet hätte. Zum Glück hat er aber dem Leben noch eine Chance gegeben, denn es gab auch Menschen, die in die Kategorie „Socken“ gehörten: Noah und seine Familie. Mit ihnen hatte Gott ein schnelles Erfolgserlebnis und deshalb werden sie gerettet.

Gott sagt anschließend aber auch, dass er nie wieder die alles Leben vernichten will.

Eigentlich sollte man meinen, eine solche Geschichte, sei den Menschen eine Lehre gewesen. Auch wenn sie sich so nie zugetragen hat, zeigt sie schon, dass den Menschen ihr Fehlverhalten bewusst war und sie deshalb Naturkatastrophen als Strafe Gottes ansahen.

Haben sie draus gelernt? Nicht wirklich. Wenn wir in der Bibel weiterlesen, dann stellen wir fest, dass auch nach der Sintflut irgendwann wieder Kriege geführt, Menschen getötet, Menschen und Umwelt ausgeplündert werden und Gott wird mit seinen Geboten wieder aufs Abstellgleis verfrachtet.

Gottes Geduldsfaden muss an manchen Stellen ziemlich dünn geworden sein. Gerissen ist er aber nicht wieder. Was gut ist, denn an einem Ende von diesem Geduldsfaden hängt die Gnade!

Mir war bisher nie so bewusst, wie eng die Gnade mit der Geduld verbunden ist. Ich lese diesen Bibeltext aus dem 1. Timotheus Brief nicht zum ersten Mal, und ich höre auch das Wort „Gnade“ nicht zum ersten Mal. Aber den Aspekt der Geduld habe ich bisher immer übersehen. Mir war irgendwie nie so richtig bewusst, wieviel Geduld Gott mit uns haben muss, damit die Gnade nicht abreißt.

Übrigens steht das Wort „Geduld“ nicht nur in der Übersetzung der Basisbibel, die ich hier verwendet habe. Auch Martin Luther bedient sich in seiner Übersetzung dieses Begriffs. Die Elberfelder Bibel, die sich dadurch auszeichnet, dass sie mit ihrer Übersetzung ganz nahe am Originaltext (also in diesem Fall dem Altgriechischen) dran ist, übersetzt das griechische Wort μακροθυμίαmit „Langmut“, was auch sehr passend ist, wie ich finde. θυμός
ist dasHerz, der Mut oder das Gemüt. Μακρο ist groß. 
Man muss also ein sehr großes Herz haben oder einen langen Atem, um etwas durchzuziehen zu können und nach Niederlagen nicht aufzugeben. Der Duden beschreibt das Wort Langmut so: „durch ruhiges, beherrschtes, nachsichtiges Ertragen oder Abwarten von etwas gekennzeichnete Verhaltensweise; große Geduld“. 
Also ist Langmut noch mehr als nur Geduld. Langmut ist sehr, sehr große Geduld. Langmut ist keine Sockengeduld sondern eine Kuscheldeckengeduld.

Diese unendliche Geduld kam interessanterweise mit Christus in die Welt. Jedenfalls liest sich der Text aus dem ersten Timotheus Brief für mich so. Da heißt es ja, Christus sei derjenige gewesen, der mit Paulus als Erstem unglaublich geduldig war. Das Ganze sollte dann als Vorbild dienen für den Rest der Welt. 
Gott hat wohl festgestellt, dass er (oder sie) erst Mensch werden muss, um die notwendige Geduld mit den Menschen aufbringen zu können. Geduld ist eben nicht nur eine göttliche, sondern auch eine zutiefst menschliche Eigenschaft.

Weil Gott nun also solch eine Engelsgeduld mit uns hat, hat es keine zweite Sintflut oder etwas ähnlich Vernichtendes gegeben. Weil Gott so eine Engelsgeduld mit uns hat, bekommen wir eine zweite Chance. Und eine dritte. Auch eine vierte, wenn nötig. Eine fünfte bestimmt auch. ...

Ich finde das unglaublich befreiend und erleichternd, denn ich weiß von mir selber, dass ich immer wieder versage, wenn es darum geht, so zu sein, wie Gott mich vorgesehen hat. Ich weiß schon, dass ich gerne mal hochkarätig versage, wenn es darum geht, liebevoll, verständnisvoll, rücksichtsvoll, annehmend, hilfsbereit und offen zu sein.

Und obwohl das so ist, muss ich nicht befürchten, für den Rest der Ewigkeit in einer Abseite zu verschwinden wie mein Deckenprojekt, denn Gott hat mich nicht aufgegeben.

Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass Gott auch mit mir immer mal wieder total die Lust verliert, weil ich mich weigere, die Form und Beschaffenheit anzunehmen, die Gott für mich vorgesehen hat. Aber Bibeltexte wie der aus dem ersten Timotheusbrief beruhigen mich und versichern mir: Dieser Geduldsfaden reißt nicht, und deshalb reißen auch Gnade und Vergebung nicht ab.

Aber: Wenn ich daran denke, wie anstrengend es für mich manchmal ist, die nötige Geduld für etwas aufzubringen - für andere Menschen oder für‘s Stricken, dann kann ich schon versuchen, es Gott ein bisschen leichter zu machen.

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