Gott, wo bist du?



Predigt am 01.09.2019 zu Hiob 23


Ihr Lieben,
die erste Hiobsbotschaft, an die ich mich erinnere, bekam ich mit vier Jahren. Mir wurde mitgeteilt, dass ich die nächsten Tage nicht in den Kindergarten gehen könne, weil ich Mumps hatte. Seitdem gab es noch viele Hiobsbotschaften in meinem Leben: Wenn liebe Menschen gestorben waren, wie meine Großeltern zum Beispiel, oder als mein Freund mir mitteilte, dass er nicht mehr mit mir zusammen sein wollte. Diese Hiobsbotschaften haben mir immer wieder Leid verursacht – mal mehr, mal weniger.

Hiobsbotschaften sind also schlechte Nachrichten. Sie gehen auf den Hiob in der Bibel zurück und zwar deshalb, weil Hiob sehr schlimme Dinge erleben muss. Er verliert alles: Seinen ganzen Besitz und auch noch die Menschen, die er liebhat. Seine ganze Familie stirbt und Hiob ist völlig verzweifelt. Irgendwann stellt er sich dann auch die Frage, warum er denn so viel leiden muss. Eine Strafe Gottes kann es doch eigentlich nicht sein, denn Hiob hat sich immer richtig verhalten, hat nichts falsch gemacht, hat immer das getan, was Gott von ihm erwartet. Hiob will Gott darauf ansprechen, aber Gott scheint gar nicht da zu sein. „Wenn ich doch nur wüsste, wo sich Gott befindet und wie ich zu ihm gelangen könnte!“, sagt Hiob. 

Das Hiobbuch wurde geschrieben, um zu erklären, warum guten Menschen schlimme Dinge passieren, bzw. es wurde geschrieben, um zu erklären, dass unser Verhalten nicht automatisch bestimmte Folgen nach sich zieht. Der Fachbegriff dafür ist „Tun-Ergehen-Zusammenhang“. Die Menschen glaubten: Wenn ich etwas Gutes tue, dann ergeht es mir auch gut. Wenn ich etwas Schlechtes tue, dann ergeht es mir schlecht. Bei Hiob ist das nicht so. Er behauptet von sich: „Wenn er mich prüft, dann bin ich rein wie Gold. Mein Fuß hielt sich genau an seine Spur, ich blieb auf seinem Weg und wich nicht ab.“
Also ich könnte so etwas von mir nicht sagen. Ich bin Gottes Geboten nicht immer 100%ig gefolgt. Aber auf Hiob trifft das tatsächlich zu. Und damit haut der Tun-Ergehen-Zusammenhang nicht mehr hin. Hiobs Freunde versuchen noch zu argumentieren, dass er doch irgendwann, irgendwo etwas schlechtes getan haben muss, denn sonst würde es ihm ja nicht so schlecht ergehen. Aber an Hiobs Beispiel wird deutlich, dass guten Menschen durchaus schlimme Dinge zustoßen.

Hiobs Problem ist nun aber nicht in erster Linie, dass er unfair behandelt wird. Sein Problem ist, dass er Gott nicht findet. Hiob möchte mit Gott verhandeln, möchte ihm Beweise liefern, dass er immer alles richtig gemacht hat. Aber Gott ist unauffindbar.

Ich selber habe das auch schon erlebt. Ich habe ziemlich gelitten und gerade in diesem Leid war Gott für mich nicht sichtbar, fühlbar, hörbar. Ich sage nicht, dass Gott nicht da war. Ich weiß heute, dass Gott sehr wohl da war. Ich wusste im Grunde auch damals in dieser Situation, dass Gott da ist. Ich habe Gott nur nicht wahrgenommen.

Ich hatte nach meiner Ausbildung die Hiobsbotschaft erhalten, dass ich in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren in unserer Landeskirche keine Pfarrstelle bekommen würde. Ich versuchte, beruflich woanders unterzukommen, aber als ausgebildete Pastorin war ich entweder überqualifiziert oder total falsch qualifiziert. Selbst in einem Call-Center wollten sie mich nicht. Ich war jahrelang arbeitslos und sehnte mich nach einer sinnvollen Aufgabe. Mir ging es zwar nicht so schlecht wie Hiob, aber es ging mir schlecht genug, dass Gott in all dem Elend nicht mehr wahrnahm. Auch ich war damals auf der Suche nach Gott und konnte ihn nicht finden. Auch ich habe gesagt: „Wenn ich doch nur wüsste, wo sich Gott befindet und wie ich zu ihm gelangen könnte!“
Ich kenne das auch von anderen Menschen. Viele sind in ihrem Leid schon zu mir gekommen und haben mich gefragt: Wo ist Gott? Warum lässt Gott mich gerade jetzt allein?
Man kann in solchen Situationen natürlich mit dem Gedicht von den Spuren im Sand kommen, das die Menschen wissen lässt, dass Gott immer da ist, auch wenn wir uns ganz alleine fühlen.

Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war,
blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte,
daß an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, daß in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?“

Da antwortete er:
„Mein liebes Kind, ich liebe dich
und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.“

Margaret Fishbek-Powers hat dieses kleine Gedicht übrigens nach einer Lebenskrise verfasst.

Für viele Menschen ist dieser wunderbare Text tatsächlich sehr tröstlich. Auch ich kannte damals schon diesen Text. Das Problem war bloß, dass ich mich überhaupt nicht getragen fühlte. Ich hatte das Gefühl, ganz alleine immer und immer weiter durch den Sand zu stapfen, ohne irgendwo anzukommen, wo meine leidgeplagte Seele wieder heilen konnte.

Ich habe vor kurzem gelesen, dass man den Mut haben soll, auch in dunklen Zeiten auf Gott und seine Nähe zu vertrauen. Das passt natürlich zu dem Text, den Margaret Fishbek-Powers verfasst hat. Aber: Ich kann euch sagen: Das ist verdammt schwer, wenn man das Gefühl hat, Gott ist gar nicht mehr da.

Was ich aus dieser Situation gelernt habe, ist, nicht aufzugeben. Ich habe nicht lockergelassen. Ich habe nicht aufgehört, mit Gott zu kommunizieren. Ich habe nicht aufgehört zu beten. Auch wenn ich nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet habe, habe ich nicht aufgehört, Gott zu sagen: Mach dich endlich bemerkbar! Zeig dich! Lass mich wissen, dass du da bist.

Aus dem „Wenn ich doch nur wüsste, wo sich Gott befindet“ ist ein „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ geworden. Oder in einer etwas glatteren Übersetzung: „Ich lasse dich nicht los, bevor du mich segnest!“ Das hat Jakob zu Gott gesagt, als er mit ihm kämpfte.

Ich wusste zwar nicht, wo Gott gerade war und fühlte mich ziemlich allein in meiner Depression, aber ich wusste, dass Gott irgendwosein musste. Und ich wusste, dass ich nicht lockerlassen durfte. Also habe ich ausgehalten und ich habe durchgehalten. Irgendwie.

Was in so einer Situation wirklich hilft, sind Freunde wie die von Hiob. Klar bringen sie anfangs eine Menge an Kommentaren, die sie sich wirklich hätten schenken können. Aber am Ende tun sie genau das Richtige: Sie setzen sich zu Hiob und schweigen. Sieben Tage lang. Sie nerven nicht mit klugen Ratschlägen. Die heucheln kein Verständnis für etwas, das gar nicht zu verstehen ist. Sie ziehen sich aber auch nicht zurück, weil sie selber total überfordert sind. Sie sind einfach da und halten mit aus.

Wie wir sehen bleiben noch viele Fragen offen:
- Woher kommt das Leid? Keine Ahnung. Ich glaube jedenfalls nicht, dass Gott es verursacht, weil er mal wieder mit dem Teufel eine Wette am Laufen hat, wie es im Hiobbuch beschrieben ist.
- Warum müssen gute Menschen schlimmes durchmachen? Keine Ahnung! 
- Warum nehmen wir Gott oft nicht wahr, wenn wir metertief im Leid stecken? Keine Ahnung!
- Aber eine Frage gibt es, die ich beantworten kann - jedenfalls erstmal für mich selber: Wie finde ich Gott? Indem ich nicht aufhöre, Gott zu nerven. „Ich lasse dich nicht in Ruhe, bis du dich bemerkbar gemacht hast. Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

Wir feiern heute in diesem Gottesdienst auch eine Taufe. Ich wünsche unserem Täufling, dass das Leben ihm möglichst wenige Hiobsbotschaften beschert. Ich wünsche ihm, dass er nie die Erfahrung machen muss, sich von Gott verlassen zu fühlen. Ich wünsche ihm, dass Gott sich immer wieder zu erkennen gibt - besonders dann, wenn es schwer wird. Und sollte Gott doch einmal nicht sichtbar, hörbar oder fühlbar sein, dann wünsche ich unserem Täufling Freunde wie die von Hiob, die einfach nur da sind und das Leid mit aushalten. 


Und ich wünsche uns, dass wir diese Freunde sein können.

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