Rück beiseite! Oder auch nicht.




Predigt am 12.01.2020 zu Mätthäus 3, 13-17


Ihr Lieben,

ich möchte euch heute von einem Erlebnis berichten, das mich doch ziemlich herausgefordert hat. (Einige von euch kennen diese kleine Geschichte vielleicht schon, denn ich erzähle sie nicht zum ersten Mal.)

Ich hatte gerade meine Eltern vom Katamaran abgeholt und schlenderte mit ihnen in Richtung Südstrand, als ich plötzlich eine Frau auf einer Bank bemerkte, über deren Oberschenkel eine andere Person hing. Das sah doch komisch aus. Ich ging rüber und fragte, ob alles in Ordnung sei, was die Frau verneinte. Sie sagte, ihre Begleitung sei gerade plötzlich zusammengesackt. 

Zum Glück hatte ich gerade erst einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert und wusste, was zu tun war. Erstmal stabile Seitenlage. Aber als ich die Person in die stabile Seitenlage verfrachten wollte, stellte ich fest, dass er nicht ansprechbar war und Atemaussetzer hatte. Puls war auch keiner da. Also nix stabile Seitenlage, sondern Herz-Lungen-Wiederbelebung. Ich rief um Hilfe, wies jemanden an, 112 anzurufen und legte los. Eine Passantin kam mir zur Hilfe und übernahm das Beatmen während ich mich auf die Herzmassage konzentrierte.

Zwischendurch dachte ich immer wieder: Wo zum Geier bleibt bloß der Rettungsdienst?! Ich kann euch sagen: Wenn man jemanden reanimiert, kommt einem eine Minute vor wie ‘ne Stunde.

Ich drückte und zählte und drückte und zählte weiter. Dann hörte ich hinter mir plötzlich eine Stimme, die sagte: „Rück beiseite, ich übernehme jetzt.“ Ich hatte am Ende gar nicht mitgekriegt, als der Rettungsdienst eintraf. Aber jetzt war er da und ich war noch nie so froh, einem anderen das Feld überlassen zu dürfen!

Ich bin ja nicht die Expertin, wenn es darum geht, ein Herz am Schlagen zu halten und für genug Sauerstoffzufuhr zu sorgen. Die Expertinnen und Experten, das sind Rettungsdienst und Notarzt bzw. Notärztin. Die haben das gelernt. Die können das. Die machen das richtig gut!

Ich habe mich gefragt, ob es Johannes dem Täufer mit wohl ähnlich ging. Er war ja sozusagen nur der Mann mit dem Erste-Hilfe-Kurs, der die Menschen zwar dazu aufrufen konnte, ihr Leben zu ändern und sich taufen zu lassen, aber wirklich retten konnte er sie nicht. Das konnte nur Jesus. 
Ich kann mir vorstellen, dass Johannes ganz froh war, als Jesus endlich öffentlich tätig werden wollte. So nach dem Motto: Rück beiseite, ich übernehme jetzt.

Das Problem war nur, dass Jesus das nicht tat. Er sagte nicht: „Rück beiseite.“ Sondern: „Mach weiter.“
Ich weiß nicht, wie es mir gegangen wäre, wenn der Rettungssanitäter gesagt hätte: „Mach weiter!“ Ich glaube, ich hätte die Krise gekriegt.

Bei Jesus stecken zwei wichtige Dinge hinter seinem Verhalten. Das eine ist die Ansage Johannes gegenüber: „Du wirst noch gebraucht. Auch wenn ich der Profi bin in Sachen Rettung, auch wenn ich der Messias bin, so hast du aber immer noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Du bist immer noch in der Pflicht.“
Jesus ist zwar der Einzige, der uns Menschen retten kann, weil er Gott in Menschengestalt ist und weil er bereit ist, am Kreuz für uns zu sterben. Aber Johannes hat den Erste-Hilfe-Kurs absolviert und weiß, was er tun muss, um die Menschen zur Umkehr zu bewegen. In den Ruhestand gehen darf Johannes deshalb noch nicht.

In der Rolle des Johannes sehe ich auch uns Christinnen und Christen. Auch wir haben den Erste-Hilfe-Kurs in Glaubensdingen absolviert, weshalb auch wir nicht beiseite rücken dürfen. Wir haben immer noch die Verantwortung, auf die Menschen und auf die Gesellschaft positiven Einfluss zu auszuüben mit all den guten christlichen Werten, die wir im Gepäck haben.

Jesus sagt auch zu uns: Macht weiter! Macht den Mund auf, wenn irgendwo furchtbare Ungerechtigkeit passiert. Werdet aktiv, wenn das Leben mit Füßen getreten wird. Wehrt euch gegen Hass und Gewalt! Tretet für die ein, die Hass und Gewalt erfahren müssen. RÜCKT NICHT BEISEITE!

Was nicht heißt, dass wir alles selber machen müssen. Gewisse Dinge können wir in Gottes Hände geben, müssen wir sogar, weil Gott einfach besser damit klarkommt. Aber entspannt zurücklehnen und nur zugucken ist nicht drin.

Den anderen Aspekt, den ich in dieser Erzählung von der Taufe Jesu im Jordan ausmachen kann, ist seine Taufe selbst.
Natürlich schafft die Taufe einerseits das perfekte Szenario für seine Annahme durch Gott: Der Himmel reißt auf, der Heilige Geist kommt wie eine Taube herab und dann verkündet eine Stimme: "Das ist mein Sohn,
ihn habe ich lieb, an ihm habe ich Freude."
Wow! Wer da noch die Göttlichkeit von Jesus anzweifelt, dem ist nicht mehr zu helfen! Aus diesem Grund schrieb Matthäus auch die Geschichte in sein Evangelium: Damit alle begreifen, dass Jesus göttliche Macht hat.

Spannend finde ich jetzt aber trotzdem die Frage, warum Jesus meint, sich taufen lassen zu müssen, bevor er mit seinem öffentlichen Wirken loslegt.
Antwort: In Jesus ist Gott Mensch geworden und wir Menschen brauchen Riten und Rituale, die bestimmte Punkte in unserem Leben markieren und die uns den Übergang von einem Lebensabschnitt in den Nächsten erleichtern.

Hier noch eine kleine Anmerkung zum Unterschied zwischen einem Ritus und einem Ritual:

Ein Ritus ist ein (heiliger) Brauch, eine Sitte, eine Gewohnheit bei feierlichen Handlungen, oder eine religiöse Zeremonie.
Ein Ritual ist wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung; Zeremoniell. Rituale sind gewissermaßen Riten, die in einem festen Rahmen wiederholt werden.

Wir Menschen haben ganz viele solcher Riten und Rituale: Wir feiern zum Beispiel Geburtstag, Schulentlassung oder den Eintritt in den Ruhestand. In unserem Kindergarten ist es Brauch, dass die Kinder, die in Schule kommen, im Rahmen einer Feier „rausgeschmissen“ werden. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Und dann ist ja auch die Kirche ganz gut darin, die Menschen mit Riten und Ritualen segnend zu begleiten - besonders an den Übergängen zu einem neuen Lebensabschnitt: Da gibt es die Taufe, die Konfirmation, die Trauung, die Beerdigung, die Einführung neuer Kirchengemeinderätinnen oder von neuen Mitarbeitenden, den Einschulungsgottesdienst, die Ordination zum Pfarramt, die Sternsinger am Beginn eines neuen Jahres und noch so einiges mehr. Es wird mancherorts sogar überlegt, ein Ritual für eine Trennung oder Ehescheidung einzuführen. Manche Pastor*innen praktizieren das, glaube ich, auch schon.
Und ich finde es total nachvollziehbar, dass auch Jesus einen Ritus brauchte, bevor er öffentlich in Erscheinung treten würde. Und Johannes sollte diesen Ritus vollziehen. 

Wir erinnern uns: Johannes war „nur“ der mit dem Erste-Hilfe-Kurs. Der taufte „nur“ mit Wasser. Jesus war der eigentliche Fachmann, der sogar mit Heiligem Geist taufen würde. Trotzdem soll Johannes taufen.

Riten vollziehen ist also auch etwas, das nicht nur die Fachleute dürfen. Auf uns bezogen, heißt das: Auch hier müssen wir / müsst ihr nicht beiseite rücken. Im Gegenteil: Wir alle sind Priesterinnen und Priester. Ihr auch! Auch ihr dürft zum Beispiel eure Familie vor dem Zubettgehen segnen. Auch ihr könnt für diejenigen beten, denen es schlecht geht und hier in der Kirche eine Kerze anzünden. Als Christinnen und Christen dürft ihr im Notfall sogar selber taufen oder das Abendmahl einsetzen. Selbst da kommt Pastorin Hansen nicht an und sagt: Rück mal beiseite. Ich übernehme.

Ja, es gibt die Fachleute, aber wir sind damit nicht unsere Verantwortung los. Und ich wünsche mir, dass wir das nicht als Bürde sehen, sondern als Geschenk. Klar passiert es immer wieder, dass ich mich frage: Kann ich das überhaupt? Aber am Ende, wenn wir es uns dann zugetraut haben, dann macht es das Leben heller.

Ja, wenn Gott selber wirkt, macht das das Leben heller. Aber auch wenn wir uns trauen und nicht beiseite zu rücken, sondern dableiben und in Gottes Auftrag handeln, macht es das Leben heller - unser eigenes und das anderer Menschen.

Ich weiß, dass an mancher Stelle das Leben heller geworden ist, einfach dadurch, dass meine Helferin und ich uns zugetraut haben, eine Herz-Lungen-Wiederbelebung zu versuchen. Auch wenn die Person am Ende gestorben ist, so haben wir doch ein Signal gesetzt, dass uns die Not anderer Menschen nicht egal ist. Das bringt Licht ins Dunkel. Und dann kam am Ende trotzdem der Moment, an dem wir beiseite rücken mussten, an dem auch Rettungsdienst und alle Ärzte beiseite rücken mussten, denn Gott hat gesagt „Ich übernehme jetzt!“ Und hat das Dunkel des Todes vertrieben und das Licht des ewigen Lebens gebracht.



Verwendete Materialien: Duden und PONS Lateinlexikon



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Team Welt

Whistleblower

Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen