Bereit, Opfer zu bringen?!




Predigt am 26.04.2020 zu 1. Petrus 2, 21b-25


Ihr Lieben,

ich möchte euch heute ein bisschen davon erzählen, was in einem Krankenhaus an der Westküste so los ist. Ein paar Pastorinnen und Pastoren waren dort, um sich nach der Lage zu erkundigen und um zu sehen, wie es Patienten, Ärztinnen, Pflegern, Schwestern und Angestellten so geht. Es sind noch Kapazitäten vorhanden und das Krankenhauspersonal arbeitet zum Glück noch nicht am Limit. Aber die angebotene Seelsorge wurde trotzdem sehr dankbar angenommen, weil die Situation ganz allgemein belastend ist. 

Kleiner Hinweis: Natürlich waren die Seelsorgerinnen und Seelsorger in Schutzanzügen unterwegs und haben sich genauestens an die Hygienevorschriften und sonstigen Regeln gehalten, während sie im Krankenhaus unterwegs waren.

Dieses Krankenhaus hat, wie so viele andere auch, inzwischen eine Corona Station. Und auf dieser Corona Station sterben Menschen. Das Schlimme ist: Diese Menschen sterben da ganz allein! Es darf ja niemand zu ihnen. Besuche von Angehörigen sind nicht erlaubt und auch das Klinikpersonal darf sich nicht länger als nötig bei diesen Menschen aufhalten. Die Patientinnen und Patienten sind schwer krank, kämpfen um ihr Leben und sind dabei völlig isoliert. Sie sterben und es darf niemand dabei sein, der sie begleitet.

Ja, das klingt dramatisch. Das ist es auch und das soll es auch! Es soll dramatisch klingen, weil ich hier etwas deutlich machen möchte.
Es ist übrigens schon spannend, wie solche Geschehnisse manchmal ganz zufällig mit einem Bibeltext zusammenfallen, der wie gemacht ist für die Situation, in der wir uns gerade befinden. Ich schiebe die Schuld dafür immer gerne dem Heiligen Geist zu. Ich glaube schon, dass es kein Zufall war, dass gerade an diesem Sonntag dieser Text dran ist und dass mir in dieser Woche ein Bericht über einen Krankenhausbesuch untergekommen ist, der mich tief bewegt und sehr nachdenklich macht.

Die Zeilen im ersten Petrusbrief reden von Opferbereitschaft. Zunächst richten sich diese Worte an die frühen Christinnen und Christen in Kleinasien. Sie werden zwar noch nicht wegen ihres Glaubens verfolgt, leben aber durchaus in einer feindlichen Umwelt. Es ist gar nicht gerne gesehen, dass sie sich von den alten Göttern abgekehrt und einen neuen Lebensstil gewählt haben. Die Menschen um sie herum sind misstrauisch; es kommt zu Verdächtigungen und Übergriffen. Kein leichtes Leben also. Der Verfasser dieses Briefes, ob es wirklich Petrus war, wissen wir nicht, ermutigt die Christinnen und Christen dazu, so zu leben, dass sie ihrer Umwelt möglichst wenig Anlass zu übler Nachrede geben. Wenn sie aber trotzdem aufgrund ihres christlichen Glaubens und Lebens leiden müssen, dann sollen sie das bereitwillig ertragen, denn die endgültige Rettung durch Gott kommt ja irgendwann. In dem Vers, der unserem Predigttext direkt vorausgeht, heißt es: „Aber wenn ihr Gutes tut
und deswegen Leiden ertragt – das ist wirklich eine Gnade von Gott.“ (1. Petrus 2, 20).

Großes Leid bereitwillig zu erdulden finde ich grundsätzlich erstmal hochproblematisch. Aber wenn es um Opferbereitschaft in bestimmten Situationen geht, dann finde ich eine solche Ansage nicht mehr so problematisch.

Es geht also um Opferbereitschaft in den Zeilen aus dem ersten Petrusbrief.

Was dazu passt ist, dass auch unsere Opferbereitschaft heute gefragt ist, damit wir die Menschen um uns herum gerade nicht diesem unsäglichen Leid aussetzen, von dem ich eingangs erzählt habe. Unsere Opferbereitschaft ist gefragt, damit Menschen möglichst NICHT völlig isoliert auf einer Corona Station liegen, dort um ihr Leben kämpfen und womöglich auch noch ganz einsam sterben.

Das Schöne an der Opferbereitschaft ist, dass sie im Grunde gar nicht so schwer ist. Jedenfalls nicht, wenn man diese Art von Opferbereitschaft mit der von einem Jesus von Nazareth vergleicht. Denn darum geht es ja ganz besonders in unserem Predigttext. Im eigentlichen Predigttext ist ja gar nicht von uns Menschen die Rede, sondern von Jesus.

Jesus hat sich immerhin foltern lassen und ist am Ende ganz qualvoll gestorben, damit wir leben können! Jesus hat damit die Strafe auf sich genommen, die die Menschheit für ihr ganzes Fehlverhalten verdient hätte. Jesus hat die Strafe auf sich genommen, die wir verdient hätten, wenn wir mal wieder total selbstsüchtig sind und nur an unsere eignen Privilegien und Freiheiten denken, anstatt an das Wohlergehen unserer Nächsten.
Ohne dieses Opfer von Jesus wären wir zum ewigen Tod verdammt, anstatt ein ewiges Leben geschenkt zu bekommen. Jesus hat ein großes Opfer gebracht, damit wir leben können. Aber ein solch großes Opfer müssen wir ja gar nicht bringen. Wir müssen uns ja nicht gleich ans Kreuz nageln lassen.

Dem Beispiel eines Jesus von Nazareth zu folgen, wenn es um Nächstenliebe geht, können wir trotzdem locker. Sollen wir auch!

Na gut, ganz so locker geht das dann auch wieder nicht. Die Opfer, die uns gerade abverlangt werden, sind schon ziemlich heftig. Aber diese Opfer bewahren Menschen vor dem Tod! Diese Opfer retten Leben!

Auch mir fällt es nicht leicht, mit dem Hintern zu Hause zu bleiben und soziale Kontakte auf Teufel komm raus zu meiden. Auch mich belastet es, in meinen Freiheiten so dermaßen eingeschränkt zu sein. Und andere Menschen leiden noch viel mehr als ich es derzeit tue. 
Da sind die Kinder, die nicht wissen wohin mit ihrem Bewegungsdrang, die nicht verstehen, warum sie ihre Freundinnen und Freunde nicht mehr sehen dürfen und die mit großer Wahrscheinlichkeit psychischen Schaden nehmen, wenn sie zu lange eingepfercht sind. 
Da sind auch diejenigen, die seelische und körperliche Schläge einstecken müssen, weil mit der Enge auch die Aggression kommt. Und das betrifft nicht nur Frauen und Kinder. Unter häuslicher Gewalt leiden auch Männer. Das ist übrigens eine Situation in der ich gar nicht dafür bin, das Leiden einfach zu ertragen. Im Gegenteil. So etwas kann und darf nicht hingenommen werden!

ABER: 
Wenn ich mir einen Ruck geben kann, und beim Einkaufen und eine Maske überziehen, dann sorge ich unter Umständen dafür, dass ein Mensch weniger auf einer Intensivstation einsam und alleine um sein Leben kämpfen muss. 
Wenn ich es aushalten kann, die Kirche zuzulassen und keine Gottesdienste zu feiern, dann sorge ich unter Umständen dafür, dass ein Mensch weniger mit schweren Lungenschäden weiterleben muss.
Das sind natürlich verhältnismäßig kleine Opfer, die ich da gerade erwähnt habe.

Es gibt natürlich auch größere Opfer, die richtig schwerfallen, aber die wir ebenfalls bringen müssen, wie ich finde. Ja, ich weiß: Die Wirtschaft, die den Bach runtergeht! Ja, ich weiß: Die Existenzen, die auf dem Spiel stehen! Aber was ist mit der Existenz der Menschen, die da auf den Corona Stationen liegen? Was ist mit der Existenz der Menschen, die einen geliebten Menschen in seinen letzten Tagen und Stunden nicht einmal mehr begleiten können, geschweige denn Abschied nehmen? Zählen die nicht? Zählen die weniger als diejenigen, die aufgrund der Coronakrise ihre Arbeit verloren haben? Zählen die weniger als unsere Freiheiten und unsere Privilegien?

Ja, ich weiß: Der Lockdown dauert gefühlt schon viel zu lange und zermürbt. 
ABER: Wenn ich es irgendwie schaffe, mein Geschäft, mein Hotel, mein Restaurant, mein Museum, mein Kino, mein Fitnesscenter oder mein Schwimmbad noch ein bisschen länger geschlossen zu lassen, dann rette ich damit Menschenleben!

Und eigentlich ist es doch ganz schön, dass wir gerade jetzt die Möglichkeit haben, dem Beispiel eines Jesus von Nazareth so gründlich zu folgen. Jesus hat durch sein Opfer Leben gerettet. Wir können durch unsere Opfer auch Leben retten. Lasst uns das einfach im Hinterkopf haben, wenn wir uns mal wieder fragen, ob es denn wirklich sein muss, dass wir nicht nebeneinander auf der Parkbank sitzen dürfen. Oder ob es wirklich sein muss, dass ich beim Einkaufen ein en Mund-Nasen-Schutz trage. Ja, es muss sein. Denn diese Opfer retten Leben!

Amen

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