Das Ziel



Predigt am 12.07.2020 zu Lukas 5, 1-11



Ihr Lieben,

 

noch bevor ich meinen Dienst als Pastorin einer amerikanischen Gemeinde antrat, wurde ich mit dem sogenannten „Vision and Mission Statement“ dieser Gemeinde konfrontiert: „Disciples of Jesus Christ, gathered for worship, sent to serve“. Das heißt übersetzt: „Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu Christi, zum Gottesdienst versammelt und ausgesandt, um zu dienen.“ Bei uns wird übrigens für so etwas der Begriff „Leitbild“ verwendet. In meiner Gemeinde in den USA trugen sie es auf T-Shirts, es war auf Kaffeebechern zu lesen oder prangte auf einem Banner draußen an der Kirche. Und dieses Leitbild sagte den Menschen in der Gemeinde, wo es mit der kirchlichen Arbeit und dem kirchlichen Leben langgehen sollte.

 

Ich denke: Jede Kirchengemeinde braucht ein Leitbild. Und die Kirche ganz allgemein braucht sowieso ein Leitbild.

 

Auch unsere Kirchengemeinde hat einen Prozess durchlaufen, in dem wir ein Leitbild entwickelt haben. Irgendwann sagte mal jemand, es käme ja gar nicht so sehr auf das Leitbild selbst an, sondern der Weg dorthin sei das eigentlich Wichtige. Ich sehe das anders. Ich denke, das Leitbild selbst ist sogar sehr wichtig, weil es uns deutlich macht, auf welches Ziel wir hinarbeiten und hinleben. Denn: Handeln ist sinnloses Handeln, wenn es kein zielgerichtetes Handeln ist. Ein Handeln, das nicht zielgerichtet ist, bewirkt nichts. Oder umgekehrt: Wenn wir etwas bewirken wollen, brauchen wir ein Ziel vor Augen.

Was ist jetzt aber das Ziel der Kirche?

 

Dazu können wir erstmal sehr gut auf den Text im Lukasevangelium gucken, der davon erzählt, dass Petrus von einem Fische-Fischer zu einem Menschenfischer wurde. Die Kirche hat, genauso wie Petrus damals, den Auftrag, Menschen zu fischen. 

 

Aber irgendwie scheint uns das immer weniger zu gelingen. Genauso wie Petrus müssen wir sagen: "Meister, wir haben die ganze Nacht hart gearbeitet und nichts gefangen.“ Und die Kirche hat ja nicht nur eine ganz Nacht lang gearbeitet, sondern über zweitausend Jahre. 

Und das Schlimmste: Das, was wir gefangen haben, ist uns wieder aus dem Netz geschlüpft. In 2019 sind mehr als eine halbe Million Menschen aus der evangelischen und der katholischen Kirche ausgetreten. 

Es werden noch wohl mehr werden, denn bei vielen ist im Moment das Geld knapp und jeder Cent, den man sparen kann, zählt. Und was haben wir uns nicht angestrengt, um nicht nur die Menschen bei der Stange zu halten, sondern auch neue dazu zu gewinnen?! Ja, ich weiß, die Kirche ist in vielen Bereichen sehr hinterher. Sie macht auch viele Dinge falsch. Aber die Anstrengung ist da. Der Wille ist da, das Netz voll zu bekommen. Es klappt nur nicht.

 

Natürlich brauchen auch wir, wie Petrus damals, einen Christus, der uns einen reichen Fang beschert. Vielleicht sollten nicht wir uns über die Menge Gedanken machen, sondern das lieber Gott überlassen und uns stattdessen auf was anderes konzentrieren. Das Ziel nämlich.

 

Es kommt nicht nämlich darauf an, DASS  wir uns anstrengen. Es kommt darauf an WOFÜR wir uns anstrengen. Und dazu müssen wir natürlich rausfinden, was das ist. Was es nicht ist: Allen Menschen alles recht zu machen. 

Nicht die Menschen sagen uns, was wir tun sollen, wo unsere Aufgaben liegen, und was unser Ziel sein muss. Gott sagt uns, was wir tun sollen und was unser Ziel zu sein hat.

 

Die Herausforderung ist, herauszufinden, was genau Gott von uns, von der Kirche will. Und da ist ja schon wieder das Problem: Wer kann denn ernsthaft von sich behaupten den Willen Gottes in seinem ganzen Ausmaß zu kennen? Also ich kann das nicht.

 

Jemand hatte neulich auf Twitter die Theologen und Theologinnen unter uns gefragt, was denn wohl das Ziel von Kirche sei. Ich habe diverse Antworten gelesen, die teilweise Gegenfragen waren, oder die ganz wunderbar um den heißen Brei herumredeten. Was zeigt, dass sich auch andere Menschen schwertun, wenn es darum geht, was Gott wollen könnte.

 

Ich selbst hatte mich mit dieser Antwort versucht: Liebe in die Welt bringen. Und zwar so viel wie möglich davon. 💕💕💕 Dann stellte ich fest, dass auch ich damit die Frage nicht beantwortet hatte, denn was ich da formuliert hatte, war eine Aufgabe, kein Ziel.

 

Vielleicht ist genau das das Problem der Kirche: Wir verzetteln uns mit unseren Aufgaben, weil wir kein Ziel vor Augen haben.

 

Ich habe mich in einem zweiten Tweet nochmal an einer Antwort versucht: Eine Welt, die so liebevoll wie möglich ist. Das muss in meinen Augen das Ziel der Kirche sein. Denn soweit ich weiß, ist das Ziel, das Gott hat, sein oder ihr Reich zu vollenden. Da Gott Liebe ist, muss dieses Reich ein Reich der Liebe sein.

Was natürlich ganz unterschiedliche Ausprägungen haben kann, zum Beispiel, dass wir in Frieden und wertschätzend miteinander leben.

 

Hatte Petrus ein Ziel? Auch nicht so wirklich. Jesus hat nur gesagt „Von jetzt an wirst du Menschenfischer sein.“ Das klingt mir auch wieder nach Aufgabe und nicht nach Ziel.

Vielleicht reicht es ja völlig aus, dass Gott ein Ziel hat und uns einfach nur die Aufgaben gibt. Vielleicht ist das aber auch nur eine willkommene Ausrede, weil viele von uns Christinnen und Christen mit ihrem Latein am Ende sind. Da ist keine Vorstellung davon, was das Ziel sein könnte.

 

Ich für mich bin immerhin soweit, dass ich sagen kann: Mein Ziel als Christin ist ein Teilziel vom Ziel, das Gott hat. 

Kommen wir damit zurück zum Reich Gottes. Gott will die Vollendung seines / ihres Reiches. Wenn Gott die Liebe ist, dann kann mein Teilziel eine liebevollere Welt sein, wie ich es ja schon in meinem Tweet formuliert hatte. Gott ist aber auch eine Gerechte Gottheit. Genauso gut könnte mein Teilziel also auch eine gerechtere Welt sein. Oder vielleicht ist das Ziel ganz allgemein einfach eine bessere Welt.

Ich glaube, wenn wir uns so durch die Bibel lesen, dann liegen wir mit diesen Teilzielen gar nicht so falsch.

 

Und weil es nicht nur mich, sondern ganz viele Christinnen und Christen gibt, hätte damit auch die Kirche ein Ziel. Oder sogar mehrere. 

Es wird nur Zeit, dass die Kirche sich das wieder bewusst macht. Es wird nur Zeit, dass wir alle uns das wieder bewusst machen – mit einem Leitbild zum Beispiel.

 

Ich bin übrigens mal auf Zielsuche gegangen und habe nachgeforscht, was für ein Leitbild die EKD haben könnte. Gefunden habe ich nur, dass sie ein neues friedensethisches Leitbild für die Politik fordert. Bei der VELKD konnte ich nur finden, worauf sie sich theologisch gründet. Also wenn da Leitbilder vorhanden sind, dann haben sie sich gut versteckt. Zum Vergleich: Landet man auf der Internetseite der Evangelical Lutheran Church in America, dann sieht man sofort unter der Konfessionsbezeichnung das Leitbild: God‘s work. Our hands. Gottes Arbeit. Unsere Hände. 

 

Das Leitbild der Kirchengemeinde Helgoland lässt sich übrigens auch relativ leicht finden: Auf unserer Internetseite unter dem Menüpunkt „Wir über uns“ steht als erstes der Unterpunkt „Leitbild“.

 

In dem Leitbild findet sich dann auch das Ziel, das wir als Kirchengemeinde hier auf Helgoland haben: Eine gastfreundliche Kirchengemeinde zu sein. 

 

Das Ziel, das wir hier auf Helgoland als Kirchengemeinde haben, ist wiederum Teil des Gesamtziels der weltweiten Kirche, wenn dieses Ziel denn eine bessere, eine liebevollere Welt ist. Macht auch total Sinn, denn wer gastfreundlich ist, nimmt Menschen an und auf. Und das macht, wie ich finde, die Welt in jedem Fall besser und liebevoller.



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