Steck das Schwert wieder ein!



Predigt am 05.07.2020 zu Römer 12, 17-21



Ihr Lieben,

ich erinnere mich an eine Szene aus der Schulzeit, die sich vor dem Biologieraum abspielte. Wir warteten vor dem abgeschlossenen Raum auf unsere Biolehrerin und ich unterhielt mich mit einer Klassenkameradin. Irgendwann sagte sie etwas, das mich sehr ärgerte. Ich antworte darauf, dass ich das nicht in Ordnung fand, woraufhin sie mir herablassend die Wange tätschelte und mir sagte, ich solle mich nicht so anstellen. Das ärgerte mich nur noch mehr. Ich sagte: „Lass das!“ und tätschelte nun meinerseits ihre Wange, allerdings etwas fester als sie es vorher getan hatte. Ich muss jetzt nicht auf das ganze Hin und Her eingehen, das darauf folgte. Es reicht wohl zu sagen, dass unsere Auseinandersetzung mit handfesten Ohrfeigen endete. 

Das, ihr Lieben, ist ein wunderbares Beispiel für eine Spirale der Gewalt. Und diese Spirale der Gewalt konnte nur die Biolehrerin durchbrechen, indem sie dazwischenging und uns voneinander trennte.

 

Vielleicht hätte ich damals schon auf Paulus hören sollen, der uns ja sagt: Vergeltet Böses nicht mit Bösem. Habt den anderen Menschen gegenüber stets nur Gutes im Sinn. Lebt mit allen Menschen in Frieden. Nehmt nicht selbst Rache. 

 

Eigentlich muss man zu Paulus‘ Worten keine Predigt predigen, denn die verstehen sich von selbst. Da muss eigentlich nichts erklärt, interpretiert oder verständlich gemacht werden. Wir wissen alle, dass Situationen eskalieren, in denen Böses mit Bösem beantwortet wird, in denen wir Vergeltung üben. Die Spirale der Gewalt können wir nur dann durchbrechen, wenn eine oder einer bereit ist, sich zurückzunehmen. 

 

Und wir wissen auch, wie schwer das ist. Ich jedenfalls habe es damals nicht geschafft, mich zurückzunehmen. Ich war einfach viel zu wütend. Und ich habe es auch in vielen Situationen danach nicht geschafft, mich zurückzunehmen, wenn ich mit jemandem aneinandergeraten bin.

 

Wir wissen, glaube ich, alle, wie es ist, wenn uns jemand verletzt hat. Wie weh das tut. Und dann zählt und diesem Moment nur eins: Dem / der anderen auch wehtun. Die andere Person spüren lassen, was ich selbst spüre: Demütigung, Hilflosigkeit oder Ablehnung vielleicht. Und manchmal sind es nichtmal seelische oder körperliche Verletzungen, die uns Böses mit Bösem beantworten lassen. Manchmal geht es auch einfach nur ums Recht behalten. Manchmal geht es nur darum, die Macht zu behalten oder darum, dass wir uns selber nicht klein fühlen.

 

Das Sich-Zurücknehmen fällt uns, glaube ich auch deshalb so schwer, weil wir ein Stück Kontrolle abgeben müssen. Mit dem Sich-Zurücknehmen ist ja auch immer das Risiko verbunden, dass ich es nicht schaffe, die Situation zu entschärfen. Da ist das Risiko, dass mein Gegenüber uneinsichtig ist und nicht aufhört, mich zu verletzen. Meine Klassenkameradin hätte damals vielleicht nicht aufgehört, mich zu ärgern, auch wenn ich nicht zurückgeschlagen hätte - egal ob verbal oder körperlich.

 

Ich denke, das Sich-Zurücknehmen müssen wir einfach üben. Es gibt diesen schönen Satz: „Schlaf doch erstmal ’ne Nacht drüber.“ Oft geht es dabei um Entscheidungen, von denen wir nicht wissen, wie wir sie treffen sollen. Aber es funktioniert auch, wenn es um Deeskalation geht. Und im Grunde ist das ja auch eine Entscheidung. Ich lasse mir Zeit mit der Entscheidung, wie ich reagiere. Das schöne ist, dass es wirklich funktioniert. Ich habe das gerade erst selbst erlebt. Ich hatte eine E-mail bekommen, über die ich mich richtig geärgert hatte. 

Eigentlich wollte ich sofort darauf antworten und natürlich zurückfeuern. Mir hat dann aber jemand geraten: Ich würde das jetzt nicht tun. Warte doch einfach noch ein oder zwei Tage. Dann kannst du immer noch antworten. Genau das habe ich getan. Ich „habe eine Nacht drüber geschlafen“ und das war sehr gut so. Meine Antwort fiel im Leben nicht so scharf aus, wie ich es am Tag vorher noch beabsichtigt hatte. Ich hatte sozusagen mein inneres Schwert wieder eingesteckt und dann erst auf die E-mail reagiert. Natürlich habe ich der betreffenden Person mitgeteilt, dass ich das, was sie da geschrieben hatte, überhaupt nicht in Ordnung finde. Ich habe auch zugegeben, dass ich verletzt war. Aber ich habe nicht zurückgeschlagen. Ich habe nicht versucht, meinerseits zu verletzen.

 

Das innere Schwert, das ich habe, ist sowieso nicht dazu da, um andere zu verletzen, auch wenn es das durchaus kann. Ja: Es ist ein Schwert, das ich von Gott bekommen habe, um zu kämpfen. Aber es ist nicht dazu da, um damit Rache zu üben. Das ist Gottes Sache. Dieses Schwert ist eine Waffe der Liebe und ja: Es ist dazu da, um das Böse in der Welt zu bekämpfen. Aber nicht mit Bösem. Wenn ich es schaffe, das zu tun, was, Paulus da fordert, dann setze ich es richtig ein, nämlich wenn ich es dazu benutze, um dem Menschen, der mich verletzt hat, Gutes zu tun. 

 

Wie gesagt: Unsere Strategie muss sein, tief durchzuatmen und unser Schwert erst einmal wieder wegzustecken, wenn uns Böses passiert, wenn wir verletzt werden. Dann mindestens eine Nacht drüber schlafen. Und wenn wir später das Schwert erneut ziehen, dann nur, um damit Dinge zu zerschlagen wie die eigene Überheblichkeit, die eigene Rechthaberei, die eigene Machtgier, meineverletzte Eitelkeit und meine Rachegelüste.

 

Ich kann uns allen nur empfehlen, es einfach immer wieder auszuprobieren mit dem „eine Nacht drüber schlafen.“ Es funktioniert wirklich, denn wenn wir das getan haben, sieht die Welt schon wieder viel entspannter aus. Mir geht es oft so, dass ich mich selber mit meinen Verletzungen dann einfach nicht mehr so wichtig nehme. Ja, das Bedürfnis nach Klärung ist noch da, aber das Bedürfnis, Rache zu üben und die andere Person auch zu verletzen, ist weg. 

Und damit ist die Spirale der Gewalt durchbrochen, weil wir unserem Gegenüber keinen Anlass mehr geben, nun auch wieder zurückzuschlagen.

 

Das ist das eine. Das andere ist, dass Paulus ja aber noch mehr von uns fordert. Es geht nicht nur darum, nicht zurückzuschlagen. Es geht darum, demjenigen, der mir Böses angetan hat, auch noch Gutes zu tun! Und das ist die wahre Herausforderung. Also wenn ich dazu in der Lage sein soll, dann reicht es vermutlich nicht, nur eine Nacht drüber zu schlafen. Das müssen dann mindestens zwei oder drei Nächte sein. Bei mir sogar noch mehr, damit ich innerlich Anlauf nehmen kann für das, was ich da tun soll. Ich muss ja über eine ziemlich große Hürde springen und brauche dazu, wie gesagt, Anlauf.

 

Ich habe mich auch schon in Situationen wiedergefunden, in denen mir jemand genau das geraten hat: dem Menschen, der mir da so zugesetzt hat, etwas Gutes zu tun. Und ich musste eingestehen: Ich kann das nicht. Ich bin zu sehr verletzt. Kriege ich nicht hin.

 

Irgendwann ist es mir doch gelungen. Da bin ich froh drüber und auch ein bisschen stolz drauf. Und ich merke, dass es mir leichter fällt, über meinen Schatten zu springen, je öfter ich das tue. Ob ich mein Gegenüber nun gleich damit beschäme, weiß ich nicht. 

Das ist im Grunde auch nicht das, was ich beabsichtige. Ich möchte einfach, dass wir wieder miteinander zurechtkommen und nicht jemandem „glühende Kohlen auf seinem oder ihrem Kopf aufhäufen“, wie es so schön in der Bibel heißt.

 

Dazu eine kleine Erklärung aus den Kommentaren der Basisbibel: „Durch die eigenen Wohltaten wird der Feind so beschämt, dass er zum Nachdenken kommt und seine feindliche Haltung aufgibt. Im Hintergrund dieses Bildes steht ein altes ägyptisches Ritual, bei dem als Zeichen der Reue ein Becken mit glühenden Kohlen auf dem Kopf getragen wurde.“

 

Und jetzt spielen wir das Ganze mal an einem praktischen Beispiel durch, um zu sehen, wie schwer es ist, Böses mit Gutem zu vergelten: Demnach müssten nämlich die Angehörigen von George Floyd, dem schwarzen Amerikaner, der von einem weißen Polizisten umgebracht wurde, genau diesem Polizisten etwas Gutes tun. Wow! Das scheint kaum umsetzbar zu sein. Soweit ich weiß, hat die Familie keine Rache geübt, aber ob sie in der Lage sein werden, ihm etwas Gutes zu tun, weiß ich nicht. Ich will es nicht ausschließen, denn es gibt solche Fälle. Aber sie sind, glaube ich, sehr sehr selten. Für die, die um George Floyd trauern, wünsche ich mir aber, dass sie in der Lage sind, Böses mit Gutem zu beantworten, denn sie können damit etwas ganz Großes bewirken.

 

Dasselbe wünsche ich mir natürlich auch für uns, denn auch wir können wirklich Großes bewirken, wenn wir es schaffen, Böses mit Gutem zu beantworten. Denn dann können wir wirklich mit allen Menschen in Frieden leben. Was gibt es Schöneres?!

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