Alles sehen, was da ist.




Predigt am 02.08.2020 zu Johannes 9, 1-7


 

Ihr Lieben,

 

wenn ihr blind seid, dann seht ihr nicht alles. Ihr nehmt zwar immer noch eine Menge wahr durch das Tasten, Riechen, und Hören. Aber die Gefahr ist groß, dass euch etwas Wichtiges entgeht.

 

Ich möchte euch dazu von der Atemschutzausbildung bei der Feuerwehr erzählen: Wir Atemschutz-Azubis bekamen ab und zu zu Übungszecken unsere Masken abgeklebt, bevor wir in ein Gebäude geschickt wurden, um verrauchte Räume mit schlechter Sicht zu simulieren. Wir sollten lernen, uns blind zurecht zu finden. Bei einer dieser Übungen hatten wir die Aufgabe, Feuerlöscher in einem Gebäude zu finden. Diese Feuerlöscher stellten vermisste Personen dar.

Unser Trupp fühlte sich nach der Übung total klasse, weil wir immerhin zwei Feuerlöscher gefunden hatten. In Wahrheit aber hatten wir einen Feuerlöscher übersehen, der weiter oben an einer Wand hing. Das hätte bei einem echten Wohnungsbrand ein Kind in einem Hochbett sein können.

 

Zum Schluss sind wir die Räumlichkeiten noch einmal abgegangen, mit Licht an und sehend. Das war eine ganz interessante Erfahrung. Ich war vorher noch nie in diesem Gebäude gewesen und wusste deshalb auch nicht, wie es drinnen aussieht. Du machst dir in deinem Kopf ein ganz anderes Bild von deiner Umgebung und bist am Ende ganz überrascht davon, wie es in Wirklichkeit und bei Licht aussieht.

 

Diese Übung hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, dass wir alles wahrnehmen, was es da wahrzunehmen gibt. Und das lässt sich natürlich auch auf ganz andere Bereiche übertragen.

Auf Menschen zum Beispiel. Denn auch da ist es manchmal unglaublich wichtig, dass wir alles sehen, was es zu sehen gibt, damit wir die Wahrheit erkennen.

 

Wenn wir bei einem Mitmenschen nicht genau hinsehen, oder nicht genau sehen können, was diesen Menschen alles ausmacht, dann werden wir Opfer von Vorurteilen. Wir bilden uns ein Urteil über diesen Menschen, ver-urteilen ihn oder sie vielleicht sogar und tun diesem Menschen dadurch großes Unrecht.

 

Ich bin mal in einem Erste-Hilfe-Kurs darauf hingewiesen worden, den Mundgeruch von Diabetikerinnen oder Diabetikern nicht falsch zu interpretieren. Wenn diese stark überzuckert sind, dann riecht der Atem „nach Azeton, ähnlich wie Nagellack oder überreife, faulige Äpfel. Dieser charakteristische Geruch kündigt neben anderen Warnzeichen oft eine beginnende Ketoazidose an.“ *

Ketoazidose ist eine schwerwiegende Stoffwechselentgleisung bei Insulinmangel.

 

Es ist leider schon oft genug vorgekommen, dass man Menschen mit Diabetes einfach für besoffen gehalten und sich deshalb nicht weiter um sie gekümmert hat. Ich bin froh darüber, dass die Ausbilderin, die damals den Erste-Hilfe-Kurs leitete, dafür gesorgt hat, dass wir besser sehen können und im richtigen Moment die Wahrheit erkennen können.

 

Das ist eines der Dinge, die Jesus macht mit der Heilung des Blinden deutlich macht: Seht genau hin! Versucht, nichts zu übersehen. Genau genommen richtet sich diese Aktion gegen die Pharisäer, die Jesus für ziemlich betriebsblind hält, wenn es um ihn selbst, um Gott und um den Glauben geht. Das wird allerdings erst in den Szenen deutlich, die auf die Blindenheilung folgen.

 

Es ist also wichtig, alles zu sehen, was da ist. Und nicht nur das, was auf den ersten Blick zu erkennen ist. Das hat einen positiven Nebeneffekt: Wenn ich nämlich versuche, alles an meinen Mitmenschen zu sehen, und nicht nur das, was an der Oberfläche ist, dann gehe ich auch verständnisvoller, vielleicht sogar liebevoller mit ihnen um. 

 

Ich selber erlebe es immer wieder, dass ich Dinge über Menschen erfahre, die ich vorher nicht wusste, und denke: Aha! Das erklärt so einiges. Ganz oft bringe ich dann tatsächlich mehr Verständnis für diesen Menschen auf.

 

Jetzt lasst uns nochmal zu der Schuldfrage kommen, die da ebenfalls in der Geschichte erwähnt wird: Was den Blinden angeht, macht Jesus ganz deutlich, dass da niemand schuld ist an dessen Erblindung. Die Jünger denken ja, der blinde Mann muss entweder selbst etwas angestellt abheben oder seine Eltern. Und die Blindheit sei demnach Folge irgendeines Fehlverhaltens. Jesus sagt aber: Niemand ist hier schuld. Die Blindheit ist einfach so passiert.

 

Auch bei uns ist das oft so. Wir selbst sind gar nicht schuld daran, dass wir nicht alles sehen, was da ist, dass wir die Wahrheit nicht sehen. Es sind die Umstände. Es ist die Umgebung / die Gesellschaft / die Kultur, in der wir leben und die uns beibringt, was angeblich richtig oder falsch, gut oder schlecht ist. Es hängt immer damit zusammen, welchem Einfluss wir ausgesetzt sind.

Unsere Sicht wird also oft von außen eingeschränkt, so wie bei uns Atemschutz-Azubis die Masken abgeklebt wurden. Aber eigentlich haben wir gar nichts falsch gemacht, was unsere Blindheit erklären könnte.

 

So, bis hierhin haben wir uns damit beschäftigt, wie blind wir doch manchmal sind, wenn es um andere Menschen geht.

Mindestens genauso interessant ist die Frage, wie blind wir sein können, wenn es um Gott geht.

 

Wir sehen wir Gott? Als einen der Regeln aufstellt und diejenigen hart bestraft, die diese Regeln nicht befolgen? Viele Menschen haben Gott lange Zeit genauso gesehen. Und das auch nicht durch eigene Schuld, sondern durch Einfluss von außen.

So gibt es zum Beispiel Leute, die Angst vor Gott haben, weil Gott ihnen immer als strafender Gott nahegebracht wurde. Sie selber können im Grunde gar nichts dafür, dass sie Gott so sehen.

 

Aber zum Glück kam Christus und hat die Blindheit geheilt damit wir die ganze Wahrheit sehen können: Ja, Gott ist ein Gott, der Regeln aufstellt. Und ja: es wird Konsequenzen für uns haben, wenn wir die nicht befolgen. Aber Gott ist auch ein Gott der Gnade und der Vergebung. Durch Jesus Christus hat Gott genau das der Welt gezeigt. Jesus Christus ist derjenige, der uns sehen lässt, dass Gottes Wesen die Liebe ist. Oder zumindest hat Christus dabei geholfen. Ein kleines bisschen Eigeninitiative muss aber auch sein. Wir müssen, wie der Blinde in der Geschichte, noch losgehen und uns den Schmutz aus den Augen waschen, damit wir wieder sehen können.

 

Und das lohnt sich wirklich, denn das ist, was wir alles entdecken können, wenn wir richtig sehen, wenn wir alles sehen: Wir sehen die besonderen Fähigkeiten der Menschen. Wir sehen, wenn sie Hilfe brauchen. Und wir sehen ihre besonderen Qualitäten. Dazu können aber wir auch viele gute Dinge an Gott entdecken: Hilfe, Führung, Vergebung, bedingungslose Annahme und Liebe zum Beispiel.

 

Das können wir aber nur, wenn wir die eigene Sichtweise immer wieder hinterfragen. Wenn wir uns fragen ob das, was wir sehen, auch wirklich alles ist, was es zu sehen gibt. Oder ob sich da nicht doch noch irgendwo ein Feuerlöscher versteckt. Oder ein Mensch, für den es überlebensnotwendig ist, dass wir ihn oder sie sehen.

 

Lasst uns also losgehen und uns den Schmutz aus den Augen waschen!




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* Quelle: https://www.apotheken-umschau.de/Mund/Mundgeruch--Ursachen-Diabetisches-Koma-Nierenversagen-Leberversagen-68925_9.html

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