Lernaufgaben

 

Predigt am 16.08.2020 zu Römer 11, 25-33


 

Ihr Lieben,

 

das Landesarbeitsgericht in Berlin verhandelt die Klage Müjgan Perçins gegen den Deutschen Feuerwehrverband, ihren Arbeitgeber. Die Vorwürfe: Sexismus, Diskriminierung und Rassismus. Müjgan Perçin ist nämlich türkisch-stämmig, sie ist Muslimin und sie ist eine Frau. Man hatte der Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Feuerwehrverbands immer wieder deutlich gemacht, dass man so etwas bei der Feuerwehr nicht will. Für einen süßen Gutenachtkuss und einen Besuch auf dem Hotelzimmer eines Feuerwehr Landeschefs, war sie allerdings immer noch gut genug.

 

Wenn ich solche Dinge mitbekomme, dann werde ich erstmal richtig wütend und dann frage ich mich: Warum tun Menschen so etwas? Warum sind sie sexistisch? Warum sind sie rassistisch? Warum diskriminieren sie? Warum sind sie ungerecht? Warum sind sie machtgierig? Warum zerstören sie? Warum betrügt ein Präsident in Belarus bei den Wahlen? Warum lässt dieser Präsident Demonstranten einsperren, misshandeln und foltern?

 

Wenn wir Paulus diese Frage stellen könnten, würde der vielleicht antworten: Weil Gott sie so gemacht hat. Lukachenka ist so drauf, wie er drauf ist, weil Gott ihn so gemacht hat.

Ich spiele damit auf den Vers von Paulus an, der da lautet: Tatsächlich hat Gott dafür gesorgt, dass sich ein Teil von Israel vor ihm verschließt. Das soll aber nur so lange dauern, bis alle heidnischen Völker sich ihm zugewandt haben. Und auf diese Weise wird schließlich ganz Israel gerettet werden.

 

Das klingt erstmal ziemlich kompliziert.

 

Übersetzt heißt das: Es gehört zu Gottes Heilsplan, dass sich manche Menschen erstmal vor Gott verschließen und sich damit vor der Liebe verschließen - Nächstenliebe und Gottesliebe.

 

Das hat Gott auch früher schon gemacht als das Volk Israel in Ägypten versklavt war: Mose sollte mit den Israelitinnen und Israeliten in die Freiheit aufbrechen, aber Gott hat das Herz des Pharao verstockt, der das Volk Islrael nicht aus der Sklaverei entlassen wollte.

Und ich habe mir schon immer gesagt, dass das eigentlich keinen Sinn macht. Für mich jedenfalls nicht. Denn im Grunde ist Gott damit verantwortlich für das Leid, das da über die Menschen gebracht wird und nicht der Pharao. Wozu macht Gott das?

Wie gesagt: Für mich ergibt das keinen Sinn.

 

Für Gott vermutlich schon, denn Gott hat einen Plan. Laut Paulus sieht der Plan so aus, dass sich am Ende alle heidnischen Völker Gott zuwenden, sich damit der Liebe zuwenden und Israel gerettet wird. Klingt doch klasse, besonders wenn Israel in diesem Fall für die ganze Menschheit steht und nicht nur für den Teil der Menschheit, der in Vorderasien wohnt, am Ostufer des Mittelmeers. Aber: Warum muss Gott dazu erst einen Teil der Menschen unempfänglich für die Liebe machen? Warum gehört es zu Gottes Heilsplan dazu, dass einige Menschen erstmal unsägliches Leid verursachen, wie in Belarus oder wie im Deutschen Feuerwehrverband?

 

Das einzige, was für mich da in irgendeiner Form Sinn ergibt, ist, dass wir Lernaufgaben zu erfüllen haben. Wir sollen lernen, wie es ist, wenn Menschen gottlos leben und handeln, also ohne Liebe und sich damit dem Bösen zuwenden. Wir sollen lernen, umzudenken und es besser zu machen, damit das Heil sich ausreiten kann und am Ende alle Ecken der Welt erreicht. 

 

Also hat Gott vielleicht das Herz des Pharao verstockt als Lernaufgabe für Mose. Damit der lernt, wie man ein Volk NICHT führen sollte: diktatorisch, ausbeutend und mit Gewalt. Vielleicht sollte Mose sich dadurch der guten Eigenschaften bewusst werden, die er braucht, um das Volk Israel zum gelobten Land führen zu können.

 

Und was bedeutet das für mich? Wenn mir also ein Mensch begegnet, der „verstockt“ ist, sich von Gott, Gottes Geboten und damit von der Liebe abgewendet hat, dann soll ich vielleicht etwas daraus lernen.

Macht irgendwie Sinn, denn ich merke ja ganz deutlich, wie ich selber nicht behandelt werden möchte. Goldene Regel: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu. Dadurch kann ich lernen, andere Menschen besser zu behandeln, liebevoller, wertschätzender. Wenn ich Ungerechtigkeit erlebe oder diskriminiert werde, weil ich eine Frau bin, und zu spüren bekomme, wie schmerzhaft das ist, dann wird mich das hoffentlich dazu bringen, andere Menschen nicht so zu behandeln.

 

Allerdings glaube ich nicht, dass Gott die Herzen der Menschen mit Absicht verstockt wie damals das Herz des Pharao. Gott hat nicht einige von uns als Rassisten und Sexisten in die Welt gesetzt, damit andere etwas daraus lernen. Gott hat auch nicht die Nazis im Hitlerdeutschland geschaffen, die rund 6 Millionen Jüdinnen und Juden ermordet haben, nur damit die Menschheit etwas daraus lernt. Böses zu tun, dafür entscheiden sich die Menschen ganz alleine, ohne Zutun von Gott. Dafür sind wir nämlich von Gott mit einem freien Willen ausgestattet, der es uns ermöglicht uns entweder für das Gute oder für das Böse zu entscheiden. Ich kann selbst entscheiden, ob ich einen Menschen ablehne, weil er oder sie türkischer Abstammung ist, weil er oder sie dem Islam oder Judentum angehört, oder ob ich diesen Menschen vorbehaltlos annehme. Die Verantwortung dafür liegt nicht bei Gott. Die liegt ganz allein bei mir.

 

Gott macht die Menschen nicht böse, denn Gott ist die Liebe. Und wir sind nach Gottes Ebenbild geschaffen und damit zur Liebe bestimmt. Aber ich denke schon, dass Gott das nutzt, was wir Menschen an schlimmen Dingen tun, um uns etwas beizubringen und um am Ende etwas Gutes draus entstehen zu lassen.

Ich hatte letzten Sonntag gesagt, dass Gott Propheten und Prophetinnen beruft, um uns einen Spiegel vorzuhalten. Und wenn wir darin etwas „gottloses“ sehen, dann haben wir die Chance das zu ändern. Wir können lernen, Böses nicht einfach nur hinzunehmen, sondern es in etwas Gutes zu verwandeln.

 

So hoffe ich, dass Gott es schafft, in Belarus aus Bösem Gutes entstehen zu lassen mit Hilfe der Menschen dort. Ich hoffe, dass sich Freiheit und Demokratie nicht nur dort im Land verbreiten, sondern in der ganzen Welt.

 

Und ich hoffe genauso, dass die Feuerwehr auch auf Bundesebene das lernt, was in vielen Ortswehren schon längst selbstverständlich ist: Dass Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und unterschiedlichen Geschlechts nicht automatisch auch unterschiedlich gute Feuerwehrleute sind. Wenn Feuer gelöscht und Menschen gerettet werden müssen, dann braucht die Feuerwehr alle Feuerwehrmänner und -frauen, die sie kriegen kann.

 

Und genauso braucht Gottes Reich ALLE Menschen.

 

Gottes Liebe und Gottes Heil sind für alle da. Nicht nur für das Volk Israel, nicht nur für die Christinnen und Christen, die vorher dem jüdischen Glauben angehört haben, bevor sie sich taufen ließen, nicht nur für Menschen mit weißer Hautfarbe, nicht nur für Menschen, die in einem bestimmten Land geboren wurden, nicht nur für Menschen, die Gottes Gebote besser befolgen können als andere.

 

Gottes Liebe ist vorbehaltlos. Unsere sollte es auch sein.

 

Und das müssen wir lernen.


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