Seid barmherzig!

 

Predigt am 31.12.2020 zu Lukas 6, 36

 


Ihr Lieben, 

das haben wir im Jahr 2020 gemacht:

Ungläubig haben wir auf Infektionszahlen gestarrt.

Ungläubig haben wir mit angesehen, wie Aluhutträger, Corona Gegner und Rechtsextreme versuchten, den Reichstag zu stürmen.

Ungläubig haben wir uns gefragt, wie ein amerikanischer Präsident jeden Sinn für Realität verlieren kann.

Ungläubig haben wir Berichte über Wahlbetrug in Belarus zur Kenntnis genommen.

Ungläubig haben wir auf vieles reagiert, was uns dieses Jahr beschert hat.

 

Da bekommt die Jahreslosung für das Jahr 2020 rückblickend nochmal ein ganz besonderes Gewicht: Ich glaube, hilf meinem Unglauben.

 

Wobei dieses vorangehende „Ich glaube“ wohl eher ein Wunsch ist als eine Tatsache. Dieses Jahr war ein Jahr, in dem man den Glauben an so manches verlieren konnte.

 

ABER: Wir waren nicht alleine mit dem ganzen Mist in diesem Jahr. Gott war auch da. Gott hat bestimmt auch ungläubig auf so manches gestarrt, was seine Menschenkinder da verzapft haben.

 

Aber nicht nur das. Gott war auch da, um unserem Glauben wieder auf die Beine zu helfen (,was nur manchmal schwer zu entdecken war unter all dem Müll, mit dem wir es zu tun hatten):

 

Ich persönlich habe ganz viel Einsatz für Umwelt und Klima sehen können. Ja, natürlich kam dieser Einsatz von Menschen, aber oft genug sind diese Menschen durch christliche Werte geprägt. Zum Beispiel dadurch, dass sie die Schöpfung als ein Geschenk von Gott ansehen, für das wir eine große Verantwortung tragen. Also denke ich, dass es schon völlig okay ist, Gott auch einen Teil der Anerkennung zukommen zu lassen.

 

Ach ja, und dann hat Gott im letzten Jahr auch noch ganz viele Menschen motiviert, ihre lokalen Geschäfte zu unterstützen, damit diese in der Krise nicht komplett untergehen.

 

Ich habe die Kirche erlebt, wie sie Rückgrat bewiesen und Verantwortung übernommen hat, indem Gottesdienste abgesagt wurden, um die Gesundheit und das Leben von Menschen zu schützen. Oder indem Gottesdienste trotz aller Widrigkeiten mit wirklich guten Schutzkonzepten möglich gemacht wurden. Die Kirche ist auch richtig kreativ geworden, um für die Menschen da sein zu können. Ich bin tatsächlich mal voll stolz auf meine Kirche!

 

Es gibt eine weltweite Solidarität mit der Black Lives Matter Bewegung und unsere Regierung hat schon geäußert, dass sie den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz streichen will.

 

Menschen haben sich unglaublich reingehängt, um Impfstoffe gegen das Corona Virus zu entwickeln.

 

Viele Menschen haben sich getraut, lautstark und öffentlich und unermüdlich gegen Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch gegenan zu gehen.

 

Influencer auf Instagram haben mal eben zigtausend Follower zum Spenden motiviert und so dafür gesorgt, dass Kinder in Uganda auch unter Pandemiebedingungen wieder zur Schule gehen können. Jetzt ist nämlich genug Geld da, um das vorgeschriebene Schutzkonzept umzusetzen.

 

Ihr seht: So schrecklich war das letzte Jahr gar nicht. Da gab es vieles, was uns dazu bringen kann zu sagen: Ja, ich glaube.

 

Das Jahr 2020 geht nun aber zuende und damit lassen wir auch die Jahreslosung für dieses Jahr zurück.

Wir können diesen Vers natürlich immer wieder hervorholen, aber durch das Jahr 2021 soll uns ein anderer Vers begleiten:

Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! 

 

Es wäre schön, wenn Gott in 2021 barmherziger ist als im vergangenen Jahr. Manche von uns haben Gott vielleicht als ziemlich unbarmherzig empfunden und sich die Frage gestellt, wie Gott es überhaupt zulassen konnte, dass Menschen so sehr leiden mussten. Vielleicht hatten manche auch den Gedanken, dass Gott selbst für das Leid verantwortlich ist - als Strafe für unsere Selbstsucht, unsere Gier, unser Streben nach Macht und Anerkennung.

 

Aber so ist Gott nicht. Ich jedenfalls sehe Gott so nicht. 

Natürlich ist es auch für mich schwer auszuhalten, dass Gott nicht alle Gesetze des Universums auf den Kopf gestellt hat, damit mein Vater nicht an Krebs sterben musste. Gerade weil ich so fest davon überzeugt bin, dass Gott die Liebe ist. Aber hätte Gott das dann nicht auch für alle anderen todkranken Menschen tun müssen? Und für alle Hungernden. Und für die Armen? Und für die, die unschuldig im Gefängnis sitzen? Und die, die ungerecht behandelt werden. Die Gefolterten, die Gequälten, die Missbrauchten?

 

Ja, Gott lässt geschehen. Ja, Gott starrt manchmal auch nur ungläubig auf das, was hier passiert. Aber trotzdem ist Gott barmherzig.

 

Das Duden Herkunftswörterbuch sagt, das Wort „barmherzig“ stamme aus einer Lehnübersetzung der gotischen Kirchensprache. Es kommt von lateinisch misericors »mitleidig«, was eigentlich jemanden beschreibt, der oder die ein Herz für die Unglücklichen hat.

 

Ein Herz für die Unglücklichen hat Gott auf jeden Fall. Wäre Gott sonst Mensch geworden und hätte als Jesus von Nazareth Kranke geheilt, Verfehlungen vergeben, getröstet und sogar wieder lebendig gemacht? 

Jesus hat sich doch gerade den Unglücklichen zugewendet. Nicht allen, das gebe ich zu, aber immerhin so vielen, wie es ihm als Mensch mit seinen menschlichen Beschränkungen möglich war.

 

Seine Jüngerinnen und Jünger haben diese Barmherzigkeit dann weitergetragen. Sie haben sie weitergelebt. Bis heute. Auch heute gibt es Menschen, die von sich sagen: Ja, ich will dem Beispiel folgen, das Jesus von Nazareth uns vorgelebt hat. Und auch ich muss nicht für alle Unglücklichen auf der ganzen Welt da sein. Aber ich kann für ein paar da sein.

 

Lasst uns also barmherzig sein! Und wenn wir uns in dem ganzen kommenden Jahr nur einem einzigen unglücklichen Menschen zuwenden, dann gibt es aber schon ein bisschen weniger Unglück in diesem Jahr. Dann wird die Pandemie ein bisschen weniger schrecklich. Dann haben die Rechtsextremen ein bisschen weniger Einfluss. Dann haben die Machtgierigen ein bisschen weniger Erfolg. Dann wird die Welt ein bisschen besser. Und dann werden die Chancen ein bisschen besser, dass auch jemand barmherzig mit mir ist und ein Herz für mich hat, wenn ich unglücklich bin.

 

Wie gesagt: Ein bisschen Barmherzigkeit reicht völlig aus. Es muss nicht gleich für die ganze Welt reichen.

 

Und wer weiß: Vielleicht schaffe ich es ja auch, mich im kommenden Jahr mehr als nur einem Unglücklichen zuzuwenden ...


 

 

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Team Welt

Whistleblower

Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen