Kein Märchen!

 


Predigt zu Jona 1, 1-2; 2, 1-3b.11

 

Ihr Lieben,

 

Jona wird von einem großen Fisch verschluckt, betet in seiner Verzweiflung zu Gott und der Fisch spuckt ihn wieder aus.

Marlies wird von ihrem Partner schwer misshandelt, betet in ihrer Verzweiflung zu Gott und der gewalttätige Mensch verschwindet aus ihrem Leben.

 

Wenn das doch so einfach wäre!

 

Ja: Gott rettet. Aber diese Rettung ist viel komplizierter, als es die Jonageschichte aussehen lässt oder mein (erfundenes) Beispiel mit der häuslichen Gewalt.

 

Erstmal ist Jona natürlich nicht wirklich von einem großen Fisch verschluckt worden. Diese Begebenheit ist historisch nicht belegt und es ist äußerst zweifelhaft, dass sie sich so ereignet hat. Aber Jona war schon in einer sehr prekären Situation. Er sollte in Gottes Auftrag bösen Menschen die Vernichtung androhen und das wollte er nicht. Er fühlte sich in dieser Situation machtlos und hilflos - wie von einem großen Fisch verschluckt. Gott hat es dann irgendwie geschafft, Jona aus seiner Hilflosigkeit rauszuholen und wieder handlungsfähig zu machen. Am Ende war Jona in der Lage, seinen Auftrag auszuführen.

 

Solche Situationen gibt es heute natürlich auch noch.

Die großen Fische, die uns verschlucken sind vielleicht 

die Corona Pandemie, 

der Konflikt zwischen Israel und Palästina, 

die Übergriffe in und aus Belarus, 

die Depression, die das Leben zur Hölle macht,

die Suchterkrankung, die den Alltag beherrscht, 

die Ablehnung, die in der Schule oder am Arbeitsplatz erfahren wird, 

oder eben die häusliche Gewalt.

 

Wäre es da nicht schön, wenn wir einfach ein Verzweiflungsgebet zu Gott schicken könnten und ruckzuck wieder ausgespuckt werden aus Pandemie, politischem Konflikt, Diktatur, Krankheit, Mobbing oder Gewalt?

 

Leider funktioniert das so nicht. Oder nicht nur. Wir müssen schon eine Möglichkeit finden, den großen Fisch am Zäpfchen zu kitzeln und damit Brechreiz auszulösen. (Haben Fische überhaupt ein Zäpfchen im Rachen?)

 

Was ich sagen will: Ich muss selbst dafür sorgen, dass der Fisch mich ausspuckt. Oder ich finde jemanden, der oder die mir dabei helfen kann.

 

Aber was bringt uns dann das Gebet, wenn es damit nicht so funktioniert wie bei Jona?

 

Ich finde es ganz spannend, dass Jona nicht als erstes anfängt, nach einem Weg zu suchen, wie er dem Fisch entkommen kann. Er gerät nicht in blinden Aktionismus. Er bleibt aber auch nicht tatenlos. Er hätte ja einfach sein Schicksal hinnehmen und sich damit abfinden können, dass er da sowieso nicht rauskommt. Auch das tut Jona nicht, sondern er nimmt als erstes Kontakt mit Gott auf.

 

Auch für mich ist es wichtig, mit Gott zu kommunizieren, wenn ich von etwas Bedrohendem und Beängstigendem verschluckt worden bin.

 

Denn Gebete können in mehr als einer Hinsicht eine Hilfe sein:

Als erstes sind sie Rückversicherung, dass ich in einer schweren Situation nicht alleingelassen bin. Gott ist immer noch da und kann mir die Kraft geben, die brauche, um das durchzustehen. Das Gebet hilft mir außerdem, dass ich all das erstmal loswerden kann, was mich bedrückt und belastet. Das ist immer besser als alles in sich reinzufressen. Das, was mich bedroht oder was mir Angst macht, kann ich bei Gott abladen. Bei Jona hört sich das so an:

 

In die Tiefe hattest du mich geworfen,

mitten in den Strudel der Meere hinein.

Wasserströme umgaben mich.

Alle deine Wellen und Wogen –

sie schlugen über mir zusammen!

Da dachte ich: Jetzt bin ich verloren, ...

 

Nachdem man sowas losgeworden ist, ist einem schonmal leichter ums Herz. Wenn ich so etwas aussprechen kann, bei Gott abladen kann, dann bekomme ich den Kopf frei und kann wieder klar denken. 

Glaubt mir: Es funktioniert wirklich. Ich hab‘s ausprobiert.

 

Zusätzlich kann das Gebet helfen, über die schlimme Lage, in der ich mich befinde, zu reflektieren. Und wenn ich reflektiere, dann bereite ich schon den Boden für einen Lösungsansatz. Dann fallen mir auf einmal Dinge ein, die ich tun kann, um mich aus meiner misslichen Lage zu befreien.

 

Im Grunde stimmt das also schon so: Jona wird von einem großen Fisch verschluckt, betet in seiner Verzweiflung zu Gott und der Fisch spuckt ihn wieder aus. Es ist nur ultrakurz dargestellt.

 

Genauso ist es auch kein Märchen, wenn ich sage: Marlies wird von ihrem Partner schwer misshandelt, betet in ihrer Verzweiflung zu Gott und der gewalttätige Mensch verschwindet aus ihrem Leben. Auch bei dieser Darstellung fehlen die Zwischenschritte, aber deshalb ist sie nicht weniger möglich.

 

Das Gebet hilft Marlies vielleicht dabei, zu erkennen, dass Gott sie in der furchtbaren Sitauation nicht allein lässt. Das wiederum kann helfen, die lähmende Angst abzubauen, die sie daran hindert, klar zu denken. Und wenn sie Gott anfleht, ihr zu helfen, dann fällt ihr vielleicht eine Freundin ein, der sie sich anvertrauen kann und die sie in ein Frauenhaus bringt.

 

Wir sehen: Die Jonageschichte ist zwar kein historisches Ereignis, aber ein Märchen ist sie auch nicht. Sie gehört zur Gattung der Lehrgeschichten und was wir unter anderem von ihr lernen sollen, ist: Es ist möglich, zu Gott zu beten und gerettet zu werden.

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