Versöhnung? Unmöglich!

 

Predigt zu 1. Mose 50, 15-21

 


Ihr Lieben,

eine farbige Frau berichtet davon, dass sie in öffentlichen Verkehrsmitteln rassistischen Übergriffen ausgesetzt war -verbal und auch physisch. Und selbst bei den körperlichen Angriffen habe niemand von den Mitfahrenden den Mut gehabt, einzugreifen.

 

Ich frage mich jetzt: 

Ist hier zwischen dem Angreifer und der Frau Versöhnung möglich?

Ich frage mich auch: 

Ist zwischen den Mitfahrenden und der Frau Versöhnung möglich?

 

Dazu müssen wir erstmal klären, was Versöhnung überhaupt ist.

 

Versöhnung wird definiert als friedvolle Beilegung von Streitigkeiten oder Zerwürfnissen“ oder als eine „entgegenkommende Verständigung mit Gegnern oder Feinden“ (Quelle: https://www.dwds.de/wb/Versöhnung).

 

Das ist schon schwierig mit Entgegenkommen und Verständigung in so einer Situation.

 

Ich bin außerdem der Ansicht, dass bei einer Versöhnung nicht nur eine friedliche Tat eine Rolle spielt, sondern auch die innere Haltung. Echte Versöhnung ist, wie ich finde, nur dann möglich, wenn beide Seiten auch wirklich friedlich gesinnt sind und deshalb die Auseinandersetzung beenden wollen. 

 

Das bringt mich zu einer weiteren Frage:

Was braucht die farbige Frau, damit eine Versöhnung zwischen ihr und dem Rassisten möglich ist? (bzw. zwischen ihr und den Mitfahrenden)

 

Das kann ich natürlich nicht stellvertretend für sie beantworten. Ich kann da nur von mir selbst ausgehen: Ich würde wollen, dass die Person, die mir etwas angetan hat, die Tat aus vollem Herzen bereut.

 

Das, was die die Brüder von Josef in der Bibelgeschichte tun, würde mir für eine Versöhnung nicht reichen.

 

Kleine Hintergrundinfo: Die Brüder hatten Josef eigentlich umbringen wollen. Sie waren neidisch, dass der Vater Josef bevorzugte. Statt ihn zu töten verkauften sie ihn „nur“ in die Sklaverei, weil es ihnen zu mühselig war, einen Mord verheimlichen zu müssen.

Am Ende gibt es aber eine Versöhnung zwischen Josef und seinen Brüdern, wie uns die Bibel erzählt.

 

Was mich daran stört: Die Brüder bitten Josef nur deshalb um Vergebung, weil sie Angst haben, dass er ihnen all das Böse heimzahlt, das sie ihm angetan haben. Und dann schieben sie auch noch den armen Vater vor, der vor seinem Tod den Brüdern aufgetragen hat, Josef um Vergebung zu bitten.

Tut mir leid, aber das hört sich für mich nicht nach echter Reue an.

Das hört sich für mich nicht danach an, als hätten die Brüder festgestellt, dass sie ein furchtbares Unrecht begangen haben. Es hört sich nicht so an, als täte ihnen leid, wie sie mit Josef umgesprungen sind.

 

Ich glaube, dass ich nicht wie Josef in der Lage wäre, diesen furchtbaren Menschen zu sagen „Fürchtet euch nicht“ und sie zu trösten und freundlich mit ihnen zu reden. 

Ich würde ihnen vermutlich um die Ohren hauen, dass sie sich ganz ordentlich vor mir fürchten müssten, denn ich würde für Gerechtigkeit sorgen wollen. Vielleicht wäre ich nicht auf Rache aus, aber ich würde schon wollen, dass ihre bösen Taten Konsequenzen haben.

 

Josef macht das nicht. Josef lässt alles beiseite, was in der Vergangenheit passiert ist, und sagt seinen Brüdern: „Fürchtet euch nicht! Ich werde für euch und eure Kinder sorgen.“

 

Wenn ich an die farbige Frau denke, dann würde mich schon interessieren, ob sie einfach so zur Versöhnung bereit wäre, oder erst, wenn der Rassist seinen Übergriff auch wirklich bereut, oder ob da vielleicht gar keine Versöhnung möglich ist, weil die körperlichen und seelischen Verletzungen einfach zu heftig sind, weil der Leidensdruck zu groß ist.

 

Ich weiß aber, dass Versöhnung grundsätzlich immer möglich ist, und dass sie manchmal sogar einfach so passiert, ohne dass vorher ein aufrichtiges „Es tut mir leid“ gefallen ist. Ich weiß das aus Erzählungen ehemaliger Kriegsgegner: Ein deutscher und ein englischer Soldat haben sich im Krieg gegenseitig beschossen, haben versucht den jeweils anderen umzubringen. Nach vielen Jahrzehnten trafen sie sich wieder und haben sich versöhnt, sind sogar Freunde geworden. Einfach so.

 

Ich weiß auch, dass wir Mensch sowas allein nicht schaffen. Dazu steht uns unsere Menschlichkeit zu sehr im Weg, unsere Befindlichkeiten. Mit Gottes Hilfe aber kriegen wir das hin.

 

Josef hat da einen ganz wichtigen Satz zu seinen Brüdern gesagt: 

„Ihr hattet Böses für mich geplant, aber Gott hat es zum Guten gewendet.“

Wir Menschen können noch so furchtbare Dinge anstellen, Gott wird immer in der Lage sein, diese zu etwas Gutem zu wenden. Unter anderem, indem er Menschen wie Josef mit einem unglaublich großen Herz ausstattet, in dem Raum ist für Vergebung, völlig unabhängig davon, ob die Reue seiner Brüder echt ist oder nicht.

 

Der Rassist hatte auch Böses geplant und auch hier wird Gott es zum Guten wenden können. Was den Übergriff ganz und gar nicht kleiner machen soll, als er ist. Es ist und bleibt eine furchtbare Tat. Und das Nichteingreifen der Mitfahrenden ist und bleibt auch eine furchtbare Tat. Aber vielleicht ist mit Gottes Hilfe doch irgendwann, irgendwie und irgendwo eine Art von Versöhnung zwischen Rassist und Opfer möglich.

 

Wenn ich mich also in einer Situation wiederfinde, in der ich als gute Christin eigentlich jemandem vergeben müsste und es nicht kann, weil ich zu sehr verletzt bin, dann darf ich das ruhig in Gottes Hand legen. Dann darf ich ruhig sagen: Ich bin noch nicht so weit wie Josef damals. 

Aber ich darf auch darauf vertrauen, dass Gott diese Versöhnung irgendwann möglich machen kann und sagen: Bitte Gott, schenke mir, was nötig ist für den Frieden zwischen uns.

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