Zuhause sein


(Predigt vom 21.10.2018 zu  Jeremia 29, 1.4-7.10-14)


Ihr Lieben,

ich kenne einen Menschen, der keine Bilder an den Wänden seines Hauses hat. Als Begründung bekam ich mal zu hören, dass dieser Mensch nicht damit rechnete, lange zu bleiben. Es würde sich also nicht lohnen, Bilder aufzuhängen. Dieser Mensch wohnt nun schon seit über zehn Jahren in dem Haus. Es hängen, glaube ich, immer noch keine Bilder an der Wand.

Für mich ist das schwer vorstellbar, denn das bedeutet ja, dass dieser Mensch nie wirklich angekommen ist. 

Ich selber kenne von mir ähnliche Situationen, wenn ich zum Beispiel in den Urlaub fahren will. Ich sitze dann auf gepackten Koffern, will eigentlich weg und kann nicht, weil das Schiff wegen Sturm nicht fährt oder der Flieger wegen Nebel nicht fliegt.
Allerdings ist das im Grunde nicht schlimm, denn das Sitzen auf gepackten Koffern dauert ja keine zehn Jahre. Meistens geht ja spätestens am nächsten Tag irgendwas. Ich muss also nicht lange warten, bis ich mich auf den Weg machen kann. 
Es wäre auch nicht schön, wenn ich lange warten müsste, denn ich bin nicht mehr wirklich zuhause. Gedanklich bin ich schon im Urlaub. Zuhause sind schon der Strom und das Wasser abgestellt, der Müll entsorgt, der Hund zum Hundesitter gebracht ...
Zuhause ist es dann irgendwie nicht mehr gemütlich und schön, kein Ort mehr, an dem man sich gerne aufhält. Zuhause ist dann irgendwie nicht mehr Zuhause. Weil ich ja weg will.

Wenn ich auf gepackten Koffern sitze, wenn ich weg will, dann kann ich mich nicht auf das Hier und Jetzt einlassen. Soll ich aber. Ich kann mein Leben nicht wirklich leben und mit Sinn füllen, wenn ich gedanklich schon weit voraus und ganz woanders bin.

Die Israeliten saßen damals zur Zeit des Propheten Jeremia ebenfalls auf gepackten Koffern. Innerlich jedenfalls, denn äußerlich konnten sie gar nicht weg. Sie waren ja Gefangene. Die Babylonier, eine politische Großmacht, hatten den Tempel in Jerusalem zerstört und einen Teil der Israeliten nach Babylon ins Exil abtransportiert. Das war eine ganz clevere Methode um ein Volk seiner Macht und seiner Identität zu berauben: Lehrer, Beamte, Ärzte, Gelehrte, religiöse Führer, usw. wurden in ein für sie fremdes Land verschleppt. Der Rest der Bevölkerung der da blieb hatte also niemanden mehr, der ihnen etwas beibrachte und sie führte. Die Deportierten waren in dem fremden Land einer fremden Kultur, Religion und Politik ausgesetzt. Für beide Teile dieses Volkes bedeutete das, dass die eigene Kultur, die Religion, die Identität unterging. Wie gesagt: Eine sehr clevere Methode, um ein Volk komplett seiner Macht zu berauben und es im Grunde zu zerstören.

Die Israeliten saßen also nun „an den Flüssen von Babylon“ und weinten, weil sie das nicht mehr leben konnten, was sie ausmachte und weil die fremden Einflüsse sie zu überschwemmen drohten.

Für die Israeliten war klar: Das ist Gottes Strafe für unseren Ungehorsam. Aber da war auch noch Hoffnung: Gott wird uns auch wieder befreien und nach Hause bringen! Deshalb saßen sie innerlich schon auf gepackten Koffern.

Der Prophet Jeremia schreibt ihnen nun aber in seinem Brief: Halt, halt, halt, nicht so schnell! Erstmal geht es noch nicht nach Hause. 
Das dauert noch, also richtet euch hier ein, schafft euch hier ein neues Zuhause, hängt Bilder an die Wand. Und vor allem: Lebt hier euren Glauben!

Hier sind wir bei dem zweiten Aspekt, der in Jeremias Brief eine Rolle spielt: Gott wird sich auch in der Fremde von den Israeliten finden lassen.
Gott findet man nicht nur im Tempel von Jerusalem, der sowieso zerstört ist. Dafür hatten die Babylonier gesorgt, nachdem sie Jerusalem eingenommen hatten.  Wie gesagt: Gott ist nicht an einen Ort gebunden. Gott kann man auch in der Fremde finden. Gott kann man sogar finden, wenn man mitten unter seinen Feinden lebt.

Die Ansage, die Jeremia hier macht, ist also diese: Wenn du deinen Glauben leben willst, darf das nicht an einen einzigen festen Ort gebunden sein. Gott ist nicht nur im Tempel. Gott ist nicht nur in der Kirche. Gott sagt durch Jeremia: „Bete da, wo du gerade bist. Denn ich bin auch da. Auch da findest du mich. Wo auch immer du gerade bist.“ 

Es gibt Leute, die das natürlich wieder zu wörtlich nehmen und gar nicht mehr in die Kirche gehen, weil sie sagen: Ich kann auch im Wald beten. Oder am Klippenrand. Das ist aber nicht das, was Jeremia meint. Er will ja nicht, dass wir die Gemeinschaft aufgeben. Gemeinschaft leben: Ja. Glauben leben. Ja. Aber nicht nur an einem bestimmten Ort, sondern da, wo du gerade bist.

Ich bete zum Beispiel auch nicht nur in der Kirche. Eigentlich fällt mir die innere Einkehr an anderen Orten zu anderen Gelegenheiten meistens sogar leichter als in der Kirche, weil ich in einer Kirche immer bestaunen muss, was es da so gibt. Ja, auch in unserer hier, obwohl ich die schon sehr gut kenne. Dafür habe ich früher oft beim Autofahren gebetet. Angefangen hatte das aus purer Langeweile. Ich war oft mehrere Stunden unterwegs, die Lieblings CDs hatte ich irgendwann durch, das Radio ging mir auf den Keks und lesen beim Autofahren ist ja nicht drin. Okay, Hörbuch wäre noch eine Möglichkeit gewesen. Jedenfalls fiel mir die lange Liste mit Personen und Anliegen ein, die wir immer zu dem Gebetskreis in unserer Gemeinde an die Hand bekamen. Die ging ich im Geiste durch und betete. Stundenlang. Beim Autofahren. Heute bete ich regelmäßig beim Joggen. Das lenkt mich einerseits von der Anstrengung ab, aber die Voraussetzungen sind auch einfach perfekt. Ich bin für mich, das stetige Bewegen der Füße entspannt meinen Geist und so kann ich mich dann gut mit Gott unterhalten.

Jeremia nennt in seinem Brief an die Israeliten also zwei Themen: 
1. Lasst euch auf das Hier und Jetzt ein.
2. Sucht Gott da, wo ihr gerade seid.

Beides hat unbedingt miteinander zu tun: 
Da, wo ich richtig angekommen bin, da wo ich richtig zuhause bin, kann ich auch gut beten, kann ich gut meinen Glauben leben. Da stehen die Chancen gut, Gott zu finden.

Zuhause sein verstehe ich hier als eine innere Haltung. Ich kann in mir selbst und bei Gott zuhause sein, auch wenn ich mich gerade sonstwo befinde: In der Schule, auf dem Weg zur Arbeit, im Schwimmbad (beim Schwimmen bete ich übrigens auch), im Urlaub, auf der Flucht, im Exil, in der Fremde.

Wenn ich zum Beispiel morgens laufen gehe, dann bin ich zu Hause, obwohl ich gerade draußen unterwegs bin. Ich bin zu Hause, weil ich in mir selbst ruhe und in Gott. Deshalb kann ich beim Laufen so gut beten.

Deshalb ist das ein ziemlich guter Tipp von Jeremia, wenn er sagt: komm an, richte dich ein, fühl‘ dich zuhause - in dir und da wo du gerade bist. Denn dann hast du es viel leichter, Gott zu finden, mit Gott durch‘s Leben zu gehen und den steinigen Weg zu meistern, der noch vor dir liegt.

Übrigens scheint das so einigen Israeliten gelungen zu sein. Diverse Schriften des Alten Testaments sind nämlich im Exil entstanden. Es ist also Menschen dort gelungen, Gott zu finden und auch noch von ihren Glaubenserfahrungen zu berichten. Es funktioniert also.

Trotzdem brauchen wir immer wieder Gottes Hilfe, damit es funktioniert, damit wir es schaffen, da zu Hause zu sein, wo wir gerade sind und in dem, was wir gerade tun.

Deshalb möchte ich euch ein paar Segensworte von Hans Dieter Hüsch mit auf den Weg geben, in denen es um den Weg nach Hause und um das Zuhausesein geht:

Im Übrigen meine ich, dass Gott uns das Geleit geben möge immerdar auf unserem langen Weg zur Menschwerdung. Und er möge uns die vielen Streitigkeiten von morgens bis abends verzeihen. Das Hin- und Herlaufen zwischen den vielen Fronten, und all die Vorwürfe, die wir uns gegenseitig machen, möge er in herzhaftes Gelächter verwandeln und unsere Bosheiten in viele kleine Witze auflösen. Er möge in unsere Stube kommen und unsere Habseligkeiten segnen, unsere Tassen und Teller, die Kanne, die Zuckerdose und den Salzstreuer, die Essigflasche und den Brotkorb. Ja, er möge sich zu uns an den Tisch setzen und erkennen, wie sehr wir ihn alle brauchen, überall auf der ganzen Welt.

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