Gastfreundlich ohne Vorbehalte?



(Predigt am 24.02.2019 zu  Apostelgeschichte16, 9-15)

Ihr Lieben,
der Name Lydia scheint Programm zu sein für Gastfreundlichkeit: Auch bei uns gibt es eine Lydia, die sehr gastfreundlich ist. Letztes Wochenende hat es einen Wohnungsbrand auf unserer Insel gegeben und eine Familie hat ihr Zuhause verloren. Lydia zögerte nicht und nahm gleich das Kind der Familie bei sich auf. Das Wichtige dabei ist, dass nicht nur dafür gesorgt wurde, dass das Kind ein Dach über dem Kopf hatte und ein Bett, in dem es schlafen konnte. Es wurde auch mit viel menschlicher Nähe, Wärme und Geborgenheit versorgt. Das ist es, was Gastfreundlichkeit ausmacht.

Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte: Das hätte jede und jeder von uns getan. Das Kind ist immerhin noch im Kindergartenalter und pflegeleicht. ;-)

Ich bin des weiteren davon überzeugt, dass nicht nur getaufte Christinnen und Christen so gastfreundlich gewesen wären und das Kind bei sich aufgenommen hätten. Das hätten auch Menschen anderer Glaubensrichtungen getan. Das hätten sogar religionslose getan. 

Ich bin mir allerdings nicht o sicher, ob wir alle, ohne Ausnahme, noch mit dabei gewesen wären, wenn es darum gegangen wäre, die ganze Familie unterzubringen. Mitleid hätten wir gehabt, klar. Aber wäre unsere Gastfreundlichkeit so groß gewesen, dass wir ohne zu Zögern alle drei - Vater, Mutter und das Kind -  aufgenommen hätten, wie schwierig das unter Umständen auch gewesen wäre? Oder hätten wir uns mit dem Argument versucht, aus der Affäre zu ziehen, dass die Gemeinde Helgoland (ich rede hier von der Kommunalgemeinde) doch sicher Wohnungen parat hat für solche Fälle. Hat sie übrigens nicht. Das nur als kleine Info nebenbei.
Oder hätten sich einige versucht, aus der Affäre zu ziehen mit dem Argument: Für sowas ist doch die Kirche da!

Ich lasse diese Frage einfach mal im Raum stehen und erzähle euch von einem anderen Vorfall, der sich vor vielen Jahren an der Haustür einer Freundin zugetragen hat.

Sie hatte damals gerade ihre erste Stelle als Pastorin angetreten, und bewohnte zusammen mit ihrem Mann ein Pastorat, das eigentlich viel zu groß war für die beiden, denn sie hatten keine Kinder. Meine Freundin war allein zu Hause, weil ihr Mann verreist war. Nachts um zwei klingelte es bei ihr an der Tür und draußen stand ein Mann, der nicht wusste, wo er hinsollte.

Ich erinnere mich noch, dass ich sie entsetzt gefragt hatte: Den hast du doch nicht etwa reingelassen?!

Doch, hatte sie. Sie hatte ihm auch zu dieser späten Stunde noch eine Suppe gekocht und ihn anschließend in ein warmes Bett gesteckt. Allerdings nicht bei sich zu Hause. Zum Glück hatte die Kirchengemeinde für solche Fälle eine kleine Wohnung neben dem Gemeindehaus.

Ich weiß noch, dass wir damals heiß darüber rumdiskutierten, was das Kirchenrecht denn dazu sagt: Ob Pastorinnen und Pastoren verpflichtet sind, solche Leute unterzubringen, wenn es denn Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Und ich weiß ebenfalls noch, dass ich sagte: Ist mir echt scheißegal, was das Kirchenrecht da sagt. Wenn ich alleine zu Hause bin und da klingelt mitten in der Nacht ein wildfremder Mensch an meiner Tür, mache ich nichtmal auf. Was ist denn mit meiner Sicherheit? Mir kann ja wer weiß was passieren!

An solch einer Situation kollidieren das Bedürfnis gastfreundlich zu sein und das Bedürfnis nach eigener Sicherheit ganz furchtbar miteinander.
Die Lydia, von der die Apostelgeschichte erzählt, war ähnlich gestrickt wie meine Freundin. Gott hatte es offensichtlich geschafft, ihr das Herz zu öffnen und dabei gleich jede Angst und Unsicherheit verschwinden zu lassen, denn Sie nahm Paulus und seine Begleiter (Timotheus und Silas) einfach mit nach Hause und ließ die drei bei sich wohnen. Das waren wildfremde Männer! Es war ja nicht so, dass Lydia, Paulus, Timotheus und Silas sich schon ewig kannten und dicke Freunde waren. Ich finde, Lydia ging damit schon ziemlich großes Risiko ein. Sie wären nicht die ersten, die sich als glaubensfürchtige Prediger tarnen, so das Vertrauen ihrer Opfer gewinnen um sie dann zu berauben und vielleicht sogar zu ermorden. (Und sagt mir jetzt nicht, ich hätte zu viel „Criminal Minds“ geguckt. So abwegig ist das nicht.)

Was heißt das jetzt für uns?
Lieber auf Nummer Sicher gehen? Oder frei nach dem Motto „no risk no fun“ (Kein Risiko, kein Spaß), die Menschen einfach ins Haus holen?
Ich glaube, da können wir nur darauf vertrauen, dass uns der Heilige Geist leitet und uns wissen lässt, was in der jeweiligen Situation richtig ist. Und ja: Manchmal müssen wir auch ein Risiko eingehen, wenn wir wirklich gastfreundlich sein wollen. Ganz ohne geht es, glaube ich, nicht. 

Gastfreundschaft ist ja irgendwie immer mit einem Risiko verbunden, selbst wenn es nur um eine Einladung von Freunden zum Essen geht. Das Essen kann trotzdem zum Fiasko werden, auch wenn es unsere Freunde sind, Menschen, die wir kennen und mögen. Wir sind auch bei denen, die uns vertraut sind, nicht davor sicher, ausgenutzt zu werden. Wir sind nicht davor sicher, dass es Streit gibt. Wir sind nicht davor sicher, dass es ein abgrundtief langweiliger Abend wird.

Wenn wir allerdings ehrlich mit uns selbst sind, dann müssen wir zugeben, dass uns ganz oft nicht das Risiko davon abhält, gastfreundlich zu sein. Klar, das, was wir nicht kennen, macht uns erstmal Angst. 
Aber es gibt auch Dinge, die wir sehr gut kennen, und die wir trotzdem ablehnen. Es gibt Menschen, die wir sehr gut kennen und die wir trotzdem ablehnen. Vielleicht sogar WEIL wir sie gut kennen, laden wir sie nicht zu uns ein. Wir sind oft gast-unfreundlich, weil die Menschen anders sind, als wir sie haben wollen, weil sie nicht in unser Schema passen. Ein ungewaschener, abgerissener und womöglich nach Alkohol stinkender Mensch passt nicht in unsere Gästeschublade und wird deshalb nicht eingeladen.

Lydia hat mit ihrer Gastfreundlichkeit Paulus und seinen Begleitern gegenüber auch Gott in ihr Haus eingeladen. Auch wir laden Gott in unser Haus ein, wenn wir unsere Türen und noch viel mehr unsere Herzen für die Menschen um uns herum öffnen. Wir laden aber nur dann Gott zu uns ein, wenn wir dabei keine Abstriche machen, wenn wir die Menschen ohne Vorbehalteannehmen. Denke ich.

Dafür ist die Geschichte von Lydias Taufe und Gastfreundschaft ein gutes Beispiel. Nicht für überzogene Waghalsigkeit oder Risikofreude aber schon dafür, sich etwas zu trauen.

Lydias Geschichte sagt uns: Trau dich! Nimm die Menschen auf und nimm sie an, denn dann wohnt auch Gott bei dir.

Heute taufen wir zwei Kinder.
Noch sind sie zu klein, um andere Menschen zu sich nach Hause einzuladen, oder um Gott zu sich einzuladen. Das übernehmen ihre Eltern und Patinnen erstmal für sie. Und das übernehmen wir für sie. Aber irgendwann sind sie
groß genug, um zu verstehen, was Gastfreundlichkeit bedeutet.

Ich wünsche den beiden, dass sie selbst viel Gastfreundlichkeit in ihrem Leben erfahren, dass sie ohne Vorbehalte angenommen und aufgenommen werden, wo auch immer sie hinkommen. Wir alle können dafür sorgen, dass sie genau diese Erfahrung machen. Damit gehen wir gleichzeitig mit gutem Beispiel voran und bringen ihnen bei, selber gastfreundlich zu sein.
Und ich wünsche mir, dass sie diesem Beispiel folgen, dass sie auf den Heiligen Geist hören, der sie ihr Leben lang leitet, und später selber ihre Türen und Herzen aufmachen für andere Menschen. Ich wünsche mir, dass sie wie Lydia, Gott bei sich aufnehmen.


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