Priester




(Predigt am 10.03.2019 zu Hebräer 4, 14-16)

Ihr Lieben,

das Erste, was vielen einfällt, wenn sie das Wort „Priester“ hören, ist „Missbrauch“. Was auch kein Wunder ist, denn gerade erst hat der Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan stattgefunden. Das war Ende Februar. Durch die bekanntgewordenen Missbrauchsfälle hat das Ansehen des Priesteramtes schon ordentlich gelitten. Der Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan hat, glaube ich, nicht viel dazu beigetragen, das Ansehen des Priesteramtes zu verbessern. Man hatte gerade vom allerobersten katholischen Priester viel erwartet, aber die Menschen waren enttäuscht vom Papst, weil er ich zu vage geäußert habe. So geben es jedenfalls viele Reaktionen zu seiner Schlussrede wider.

In der evangelischen Kirche gibt es keine Priester und Priesterinnen mehr. Dafür hat Martin Luther gesorgt. Jedenfalls gibt es in der evangelischen Kirche keine Priesterinnen und Priester mehr, wenn man diese als Mittler zwischen den Menschen und Gott versteht. Luther hat nämlich festgestellt: Die Menschen brauchen keine Mittler. Sie können direkt selber mit Gott kommunizieren. So gesehen hat die evangelische Kirche keine Priesterinnen und Priester. Oder andersrum: Sie ist voll davon, denn das macht uns im Grunde alle zu Priesterinnen und Priestern. 

Aber so ganz als hohe Amtsinhaber*innen oder sogar Würdenträger*innen mit großem Ansehen kann ich uns damit nicht sehen. Dafür sind wir viel zu menschlich, begehen zu viele menschliche Fehler, haben zu viele menschliche Schwächen und tun genauso schlimme Dinge, wie Menschen in der katholischen Kirche. Da gibt es nicht wirklich Unterschiede, was die Masse oder die Größe der Sünden angeht. Auch in der evangelischen Kirche gibt es Missbrauch. Auch in der evangelischen Kirche wird gelogen, manipuliert, erpresst und unter Druck gesetzt. Von Priesterinnen und Priestern. Von uns.

Ja, das Ansehen der Priesterinnen und Priester hat stark gelitten in der heutigen Zeit. Zur Zeit Jesu war das vielleicht noch ein bisschen anders. Ein Oberster Priester (oder Hohepriester, wie er sonst noch genannt wird) war jemand. Einem Obersten Priester brachte man Respekt entgegen. Ein Oberster Priester wusste nämlich ganz viel über Gott und Glaubenslehren. Ein Oberster Priester hatte die Aufsicht über alles, was den Tempel, den Gottesdienst und den Dienst der Priester betraf. Ein Oberster Priesterhatte auch oberste politische Autorität unter den Juden. Ein Oberster Priester war aber auch der einzige, der beim Versöhnungsfest (Jom Kippur) das Allerheiligste im Tempel betreten durfte, um - und jetzt wird es interessant - stellvertretend für das ganz Volk die Vergebung Gottes zu empfangen. Ein Oberster Priester empfing für das ganze Volk die Vergebung.
Ein Oberster Priester war also ein sehr wichtiger Mann mit großer Würde. Aber auch ein Oberster Priester war natürlich nicht perfekt. Auch ein Oberster Priester war „nur“ ein Mensch.

Aber wenn die Menschen damals einen Obersten Priester vor Augen hatten, dann hatten sie eine gute Vorstellung davon, welche Eigenschaften Jesus hatte, wenn er mit einem solchen Obersten Priester verglichen wurde. Jesus war allerdings noch besser als ein Oberster Priester. Er hatte noch mehr Würde; er war noch effektiver, wenn es um Vergebung ging; er wusste noch mehr über Gott; er war in noch besserem Kontakt zu Gott. Und: Jesus hatte keine menschlichen Fehler. Er war ohne Sünde. Jesus war der perfekte Oberste Priester, also jemand ganz tolles. Wenn die Menschen das hörten, war klar, dass sie sich zu ihm bekannten. Sie konnten gar nicht anders.

Heute fällt uns das, glaube ich, nicht mehr so leicht, weil wir ein anderes Bild von einem Priester oder einer Priesterin haben, egal, welcher Konfession er oder sie angehört. Und ich erwähne hier ganz bewusst auch die Priesterinnen: Sie kommen zum Einen im „Priestertum aller Gläubigen“ in der evangelische Kirche vor. Es gibt sie aber auch als geweihte Priesterinnen zum Beispiel in der Anglikanische Kirche.

Und diese Priesterinnen und Priester sind oft kein gutes Beispiel mehr, um deutlich zu machen, welche Bedeutung Jesus hat. Ja, in der katholische Kirche wird zum Beispiel gesagt, dass ein Priester mit seiner Priesterweihe eine Wesensveränderung durchmacht, die ihn im Grunde erst dazu befähigt, als Mittler zwischen Gott und den Menschen zu fungieren. Dass passt dann aber überhaupt nicht zu der Tatsache, dass solche wesensveränderten Menschen anderen Menschen unendliches Leid zufügen. Bei uns ist der Anspruch vielleicht nicht so hoch, aber bei uns allen als Priesterinnen und Priestern ist er noch hoch genug, um ebenfalls immer wieder daran zu scheitern. Jemand, der / die direkt mit Gott kommuniziert, darf anderen Menschen genauso wenig Leid zufügen. Wie gesagt: Das Priesteramt ist heutzutage wenig geeignet, Jesus zu beschreiben.

Wenn ich euch also vermitteln möchte, wie klasse Jesus eigentlich ist, dann muss ich ein anderes Bild nehmen. Und das ist schwer, weil ich nicht weiß, wem ihr großen Respekt entgegenbringen würdet, wen ihr bewundert, wem ihr nacheifern wollt. Ich weiß nicht mal, wer da für mich selbst in Frage käme.

Den derzeitigen Papst finde ich schon toll, aber auch er macht zu viele menschliche Fehler, als dass ich eine perfekte Version vom Papst als Beispiel dafür verwenden würde, wie Jesus drauf ist. Nicht viel anders geht es mir mit einem Nelson Mandela, einer Johanna von Orleans, einem Dietrich Bonhoeffer, einer Mutter Theresa, einem Mahatma Gandhi oder einer Malala Yousafzai. (Malala Yousafzai bekam 2014 den Friedensnobelpreis.)

Vielleicht funktioniert es, wenn wir all diese Menschen, die uns in irgendeiner Form beeindrucken,  zusammennehmen, und die besten Eigenschaften aus ihnen herauspicken. Dann haben wir eine ziemlich gute Vorstellung von dem, was Jesus Christus ist: Ein Retter, der mit Leidenschaft für das Leben der Menschen kämpft. Einer, der erbittert Widerstand leistet, wenn es um den Tod geht. Einer, der sich einfach nicht vom Weg des Friedens abbringen lässt. Einer der jede Gewalt ablehnt und lieber noch die andere Wange hinhält. Einer der die personifizierte Nächstenliebe ist. Einer, der heilt. Einer, der für Gerechtigkeit eintritt. Einer, der vergibt.

Kann ich mich zu so einem Jesus Christus bekennen? Ja, klar!
Bis hierher fällt es vermutlich allen von uns recht leicht, zu sagen: Zu so einem Christus bekenne ich mich gerne.

Jetzt kommt der schwere Teil. Denn im Text aus dem Hebräerbrief heißt es auch: „Lasst uns also voller Zuversicht vor den Gnadenthron treten.
Dort werden wir Mitleid empfangen und Gnade finden.“

Jesus Christus ist nicht nur ein tolles Vorbild, dem wir nacheifern können. Er ist tatsächlich auch ein Mittler zwischen uns und Gott. So gesehen ist er der einzige Priester überhaupt. Nur durch ihn ist es möglich, dass wir Gnade erfahren für den ganzen Bockmist, den wir Menschen bauen. Und jetzt kommt’s: Das schließt diejenigen mit ein, die andere töten, missbrauchen, vergewaltigen, belügen, manipulieren, erpressen, quälen. Auch sie haben grundsätzlich die Chance vor den Gnadenthron zu treten, aufrichtig um Vergebung zu bitten und Gnade zu erfahren. Das ist heftig, ich weiß. Das ist schwer anzunehmen. Für mich ist das schon schwer anzunehmen, die nie wirklich Gewalt oder Missbrauch erfahren hat. Wie mag es da erst denen gehen, die genau das erlebt haben? 
(Anmerkung: Ich möchte sie nicht als Opfer bezeichnen, denn das sind sie nicht. Andere versuchen nur, sie dazu zu machen.)

Die Frage ist jetzt: Können wir uns auch zu dem Christus bekennen, der das möglich macht? Können wir uns zu dem Christus bekennen, durch den Mörder und Vergewaltiger auch die Chance auf Gnade bekommen?
Wir müssen! Auch wenn uns das sehr, sehr schwerfällt. 

Das macht den perfekten Priester aus: Durch ihn ist Gnade möglich – für alle, ohne Ausnahme. Jesus Christus ist der wahre Oberste Priester, der einzige Oberste Priester. Ein katholischer Priester oder eine anglikanische Priesterin können für uns keine Gnade erwirken. Wir evangelischen Priester und Priesterinnen können das ebenfalls nicht. Wir können uns selbst keine Gnade verschaffen. Da kann nur Christus. Und er kann sie für alle möglich machen.

Womit ich nicht sagen will, dass es kein Gericht gibt. Aber grundsätzlich ist Gottes Gnade erstmal ALLEN Menschen zugesagt.

Für uns ist es jetzt wichtig nicht aufzugeben, sondern immer noch am Bekenntnis zu Christus festzuhalten. Auch wenn vieles für uns unbegreiflich ist.

Festhalten am Bekenntnis heißt nämlich festhalten an der Hoffnung, dass, Christus nicht nur für alle Menschen Gnade erwirken kann, sondern dass sich die Welt verändern kann. Wenn wir am Bekenntnis zu diesem Christus festhalten, dann halten an der Hoffnung fest, dass es irgendwann im Hinblick auf Missbrauch nicht nur viele Worte geben wird, sondern, dass Taten folgen. 
Wir halten dann an der Hoffnung fest, dass die Gemeinschaft der Glaubenden, also die Kirche, wieder ein Ort wird, an dem Wahrheit, Annahme, Liebe, Frieden, Respekt und Würde zuhause sind. Wir halten dann an Hoffnung fest, dass von der Kirche wieder eine Veränderung der Welt ausgeht: hin zum Guten.

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