Gegen die Einsamkeit


(Predigt vom Ostersonntag, dem 21.04.2019 zu Johannes 20, 11-18)

Ihr Lieben,

In der „Zeit“ (Ausgabe 15/2019) gab es vor Kurzem einen Artikel mit der Überschrift: „Gegen die Einsamkeit“. 
Untertitel: „Das unfreiwillige Alleinsein ist eine Epidemie, die sich in der Gesellschaft ausbreitet und viele Menschen krank macht. Endlich unternehmen Politiker, Ärzte und Nachbarn etwas dagegen.

Daraus möchte ich euch einen Auszug vorlesen:
Zum Arzt müsse sie heute Nachmittag. Eigentlich ein Routinebesuch, sagt die Anruferin, aber man wisse ja nie, in ihrem Alter. Vorher will sie noch einkaufen gehen, einen neuen Duschvorhang braucht sie. Und dann sei da noch die Enkelin in München; die komme bald in die Schule, dabei sei sie doch noch so zart. Elke Schilling nickt, fragt nach: » Wie oft sehen Sie Ihre Enkelin denn?« und sagt mitfühlend: » Das kenne ich « – ganz so , als säße sie der Frau gegenüber . Tatsächlich sitzt Schilling mit einem Headset vor einem Telefon und spricht mit der älteren Dame am anderen Ende der Leitung. Diese wohnt in Berlin, das sieht Schilling auf einem Bildschirm, und das Gespräch dauert bislang 21 Minuten. Es ist das dritte an diesem Morgen. Silbernetz heißt die Gesprächshotline, Elke Schilling hat sie gegründet. Den Anstoß gab ein Vorfall in der Nachbarschaft: Über Wochen hatten sich vor einer Wohnungstür die Flyer der Lieferdienste gesammelt. Als die Polizei nach mehreren vergeblichen Anrufen schließlich die Wohnung aufbrach, kamen den Beamten die Fliegen entgegen. » Der Mann war seit zweieinhalb Monaten tot «, sagt Schilling. » Niemand hatte es bemerkt.

Aus dem Zeitungsartikel erfahren wir außerdem, dass sozial isolierte Menschen ein um 42 Prozent erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt haben, dass 42% der deutschen Bevölkerung in einem Singlehaushalt leben, dass ein Fünftel der Frauen und Männer kinderlos sind, das ein Drittel der Ehen in der Scheidung endet und dass es in Großbritannien inzwischen sogar eine Einsamkeitsministerin gibt.

Das klingt vielleicht lustig, manche mögen mit dem Kopf schütteln, aber es ist gut, dass es sie gibt, denn sie kann dafür sorgen, dass den einsamen Menschen geholfen wird.
Denn jeder zehnte Praxisbesucher im Königreich, so lauten Schätzungen, ist nicht krank, sondern einsam. Der Arzttermin ersetzt quasi die Plauderei am Frühstückstisch oder den Besuch bei Freunden. In Zukunft sollen die englischen Ärzte deshalb mehr Zeit haben für Gespräche und wenn nötig statt Pillen soziale Kontakte verschreiben. Social prescribing heißt der Ansatz, bei dem die Mediziner ihre Patienten etwa über Hilfsangebote im Stadtteil informieren oder konkret Besuchsdienste vermitteln.

Warum ich euch das heute am Ostersonntag erzähle? Weil ich denke, dass in einer Einsamkeitsministerin und in einem Silbernetz schon Auferstehung steckt! Auferstehung fängt schon jetzt und hier an, nicht erst, wenn wir gestorben sind und auf ein ewiges Leben bei Gott hoffen. Das ewige Leben hat längst angefangen, genauso wie Gottes Reich schon angefangen hat. Und: Auferstehung liegt oft auch in den kleinen Dingen. Das war schon beim allerersten Ostern so.

Maria aus Magdala kommt zum Grab und stellte fest, dass es leer ist. Sie nimmt an, jemand habe den Leichnam Jesus gestohlen und das lässt sie völlig verzweifeln. Maria hatte Petrus und einen anderen Jünger geholt, als sie entdeckte, dass das Grab leer ist. Die beiden sind aber inzwischen wieder nach Hause gegangen. Maria bleibt alleine zurück. Ich wage mal zu behaupten, dass Maria sich da gerade ziemlich einsam fühlt. 
Ein Mensch, den sie sehr geliebt hat, ist gestorben und hat sie alleine zurückgelassen. Die gemeinsamen Reisen, die Gespräche, die Mahlzeiten, die sie zusammen eingenommen haben, die Gesten der Zuneigung und der Freundschaft, das Sich-Anvertrauen-Können, der Trost, die Umarmungen, das Gefühl, der Nähe, all diese Dinge sind für immer vorbei. Maria muss lernen, ihr Leben ohne Jesus zu leben.
Vielen Menschen in unserer Gesellschaft geht es ähnlich. Wenn der Partner stirbt, dann erfahren sie Einsamkeit. Und diese Einsamkeit kann sehr, sehr wehtun, kann depressiv machen, kann krank machen, kann tatsächlich auch den Tod bedeuten. Ich habe es schon erlebt, dass ein Ehepartner starb und es danach nicht lange dauerte, bis der andere hinterherging.

Maria bleibt allerdings nicht alleine. Da sind Engel, die sie ansprechen, die fragen, was los ist. Auch das lässt sich ganz wunderbar auf unser Leben heute beziehen. Auch wir können zu Engeln für andere Menschen werden. Wir können zu Boten Gottes werden, die andere wissen lassen: Du bist nicht alleine!

Und dann ist da natürlich Christus selber. Maria hält ihn erst für den Gärtner. Sie kommt gar nicht auf die Idee, dass ihr geliebter Jesus da vor ihr steht. Erst als er sie beim Namen nennt, erkennt sie ihn. Einen Menschen beim Namen zu nennen, hat etwas Vertrautes, etwas Intimes, etwas Familiäres, etwas Persönliches. Menschen, deren Namen wir nicht kennen, bleiben auf Distanz. Sie bleiben anonym. Wenn wir bei unserem Namen genannt werden, dann gibt es schon eine Art von Beziehung, und sei sie auch noch so unscheinbar.

Auch wir können Menschen beim Namen nennen. Auch wir können dafür sorgen, dass die Einsamen nicht einsam bleiben. Wir können dafür sorgen, dass sie nicht anonym bleiben. Wir können dafür sorgen, dass sie nicht auf Distanz bleiben. Beziehungsweise, dass WIR nicht auf Distanz bleiben. Wir können auf die Einsamen zugehen. Zwei Beispiele, wie so etwas gehen kann, haben wir ja schon in dem Zeitungsartikel genannt bekommen: Das „Silbernetz“ in Berlin und die Einsamkeitsministerin in Großbritannien. Das sind allerdings schon ziemlich große Aktionen wie ich finde. Ganz ehrlich: Die überfordern mich. 

Eine Telefonhotline wie das Silbernetz auf unserer Insel einzurichten, wäre sicher irgendwie möglich, aber immer noch schwierig, denke ich. Woher die Räumlichkeiten und die ganze Technik nehmen? Woher die ganzen Ehrenamtlichen nehmen, die das Telefon besetzen?

Einsamkeitsministerin würde ich nicht werden wollen. Ich würde mir das gar nicht zutrauen. Ich weiß ebenfalls nicht, ob ich es mir zutrauen würde, Einsamkeitspastorin zu sein. Obwohl das schon ziemlich cool wäre, wenn die Nordkirche solch eine Pfarrstelle einrichten würde. Schließlich gibt es in unserem Kirchenkreis auch eine Flüchtlingspastorin und weiter östlich in der Propstei Neustrelitz finden wir eine Pilgerpastorin. Warum dann also nicht einen Einsamkeitspastor oder eine Einsamkeitspastorin?

Aber es muss ja gar nicht so groß angelegt sein. Im Grunde reichen doch schon kleine Gesten, die von uns allen ganz leicht umgesetzt werden können. Einfach mal beim Haus oder der Wohnung nebenan klingeln und fragen, wie es geht. Und wer sich traut, lädt sich gleich auch noch zum Kaffee ein oder zu einem Kartenspiel.
Wenn wir das hinbekommen, dann werden wir nicht nur zu Engeln, wie ich finde. Dann werden wir vielleicht für diese Menschen zu Gott, der sie beim Namen nennt. Denn das ist es doch, was wir Christinnen und Christen am Ende sind: Gottes Hände in der Welt. Wir sind doch diejenigen, die das umsetzen, was Gott vorhat.

Wir Menschen sind übrigens auch Gottes Hände in der Welt, wenn es darum geht, Notre Dame wieder aufzubauen. Ein Feuer hat am Montagabend einen großen Teil dieses Pariser Wahrzeichens zerstört. Notre Dame ist ja aber nicht nur ein Wahrzeichen. Es ist nicht nur eine Attraktion auf jeder Sightseeing Tour durch Paris. Notre Dame ist eine Kirche. Sie ist ein Ort, an dem schon seit vielen hundert Jahren Menschen zum Gebet und zum Gottesdienst zusammenkommen. Sie ist ein Ort der Gemeinschaft. Umso schlimmer war es, diese Kirche brennen zu sehen. Aber auch hier passiert Ostern. Die erste Spende von 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau war schon am Dienstag eingegangen. Aus Zerstörung erwächst Wiederaufbau. Auch darin geschieht schon Ostern. Und die Menschen, die hier auf Helgoland leben kennen das nur zu gut. Viele haben selbst die Zerstörung der Insel im Krieg miterleben müssen, haben die Zerstörung der Kirche miterleben müssen. Von der Kirche, die hier einmal stand, war nichts mehr übrig, mit dem man irgendetwas hätte wieder aufbauen können. Und doch steht an derselben Stellen wieder ein Gotteshaus. An derselben Stelle werden wieder Gottesdienste gefeiert, wird gesungen, wird gebetet, wird Gemeinschaft gelebt – wie vor vielen hundert Jahren schon. Das Kirchengebäude auf Helgoland konnte nicht wieder aufgebaut werden. Aber die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden konnte hier wieder aufgebaut werden. 

Wenn so etwas geschieht, dann geschieht Ostern. Wenn so etwas geschieht, dann geschieht Auferstehung. Natürlich ist mit der Auferstehung Christi der Anfang dafür gemacht, dass auch wir am Ende den Tod überwinden. Aber das kommt nicht erst, wenn unser Körper die Arbeit einstellt. Das hat längst angefangen. Das passiert schon: 
Immer dann, wenn wir uns als Gottes Hände in der Welt nach einer anderen Hand ausstrecken um zu führen, tragen zu helfen, wieder aufzubauen oder ganz neu zu bauen.
Machen wir uns nichts vor: Die Auferstehung hat längst angefangen.

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Was an dieser Stelle nicht fehlen darf ist das Osterlachen. Die schöne Tradition des Osterlachens geht bis auf das 14. Jahrhundert zurück, ist aber heute leider fast in Vergessenheit geraten. Mit dem Osterlachen hat es folgendes auf sich: Der Pastor oder die Pastorin erzählt im Ostergottesdienst lustige Geschichten oder Witze, um die Gemeinde zum Lachen zu bringen. Die Gottesdienstbesucher sollen so die Freude über die Auferstehung nachempfinden. Außerdem wird sich damit über den Teufel lustig gemacht, dem durch Ostern die Macht genommen ist.

Hier also zwei Witze, um hoffentlich ein bisschen Osterlachen herauszukitzeln:

Eine christliche und eine jüdische Frau treffen sich in einem Restaurant. Die christliche Frau erzählt voller Stolz, dass ihr Sohn gerade eine Ausbildung zum Priester absolviert.

„Wir setzen sehr viel Hoffnung auf ihn – er ist so talentiert“, sagt sie.

„Was genau meinst du?“ fragt die jüdische Frau.

„Na ja, wenn er wirklich gut ist, kann er Bischof werden.“

„Ist das das Höchste, was er werden kann?“ erwidert die jüdische Frau.

„Na ja, wenn er überdurchschnittlich gut ist, kann er auch Kardinal oder sogar Papst werden!“

„Und das ist dann das Höchste, was er werden kann?“ fragt die jüdische Frau weiter.

„Was willst du denn, was er wird? Etwa Gott?“ entgegnet die christliche Frau scharf.

„Warum denn nicht?“ fragt die jüdische Frau. „Einer von unseren Jungs hat es geschafft!“

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Ein Ehepaar im gesegneten Alter - der Mann ist 104, die Frau 103 Jahre alt - kommen in den Himmel und sind begeistert.
Nur Luxus überall, alle Wasserhähne sind vergoldet, fantastisches Essen usw. Doch der Mann wird ganz ärgerlich und raunzt seiner Frau zu: Du mit deinen dämlichen Knoblauchpillen. Das hätte wir alles schon 40 Jahre früher haben können.

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