Wider den Shitstorm



(Predigt am 28.04.2019 zu 1.Petrus 1, 3-9)

Ihr Lieben,
ich hatte am Karsamstag auf einer Facebookseite zu unserem Gottesdienst am Ostersonntag eingeladen mit dem Bild eines Sonnenaufgangs und dem Text: „Christus ist auferstanden“. Dazu hatte ich geschrieben: „Wer heute Abend lieber zum Osterfeuer geht als in die Kirche, hat morgen noch eine Chance: Ostergottesdienst um 10:00 Uhr in St. Nicolai!“

Daraufhin gab es eine Flut von Kommentaren. Hier ist eine kleine Auswahl:
„Ich gehe lieber in den Wald als ins Himmelskomikerhaus“
„Oder die Kirche geht zum Osterfeuer“ Antwort darauf: „Dann wäre ich beim Osterfeuer weg.“
„Ich guck auch lieber in den Himmel als auf den Pfarrer.“
„Ich bin vom Glauben abgekommen..., pädophil Verein mehr ist es doch nicht...“

Facebook hat gezeigt, dass viele Menschen offensichtlich nichts mehr mit dem christlichen Glauben und mit der Kirche anfangen können. Schlimmer noch: Sie stehen der Kirche sogar ziemlich ablehnend gegenüber.

Es hat übrigens auch andere Kommentare gegeben, die nicht ablehnend waren:
😂herrje, jetzt geht's schon ab, wenn Werbung für einen Gottesdienst gemacht wird.“
„Warum müssen Menschen mit ihren Worten immer verletzen?“
„ich schüttel einfach nur mal mit dem Kopf und frage mich, warum man immer gleich beleidigend werden muss, wenn es um etwas geht, was einem nicht gefällt.“

Und dann gab es noch diesen hier:
„ ...du findest in der Kirche vielleicht Ruhe“

Die Kommentare zu meinem Beitrag, gerade die negativen, die ich da auf Facebook gelesen habe, haben mir zu denken gegeben. Na klar habe ich mir bei einigen Beiträgen auch gedacht: Das muss doch jetzt nicht sein. Wenn du mit der Kirche und dem christlichen Glauben nichts am Hut hast, denk dir deinen Teil und gut. Es zwingt dich ja niemand in die Kirche.
Aber ich habe mich dann auch gefragt, woher diese negative Haltung kommt.

Ich kann mir vorstellen, dass solche Reaktionen damit zu tun haben, dass die Inhalte des christlichen Glaubens für manche Menschen sehr weit weg sind. Ist ja auch kein Wunder, wenn ich mir ansehe, mit was für Texten wir es teilweise zu tun haben:
Letzten Montag bei der Jubelkonfirmation habe ich während des Psalmgebets gedacht: Wer kann denn mit diesem Text heute noch etwas anfangen? Wer weiß denn noch, was die „Hörner des Altars“ sind?
Wenn ich den Leuten mal eben die „Hörner des Altars“ um die Ohren haue, dann muss ich mich auch nicht wundern, wenn ich Unverständnis ernte. Oder sogar Ablehnung.

Kleine Anmerkung am Rande: In der Zeit, als dieser Psalm verfasst wurde, hatten die Altäre der Israeliten an allen vier Ecken Aufsätze. Diese wurden mit dem Blut von Opfertieren bestrichen, was zur Reinigung von Sünden dienen sollte. Warum man die Altäre ursprünglich überhaupt mit Hörnern versehen hat, weiß man heute nicht mehr.

Ich weiß jetzt allerdings nicht, ob wir nach dieser Erläuterung mehr mit dem Psalmtext anfangen können. Auch Blut von Opfertieren ist für uns sehr, sehr weit weg.

Ich will damit jetzt aber nicht sagen, dass die Inhalte der biblischen Texte schlecht oder falsch sind. Aber sie sind in jedem Fall für viele Menschen unverständlich. Also müssen wir sie verständlich machen. Nicht nur ich. Ihr auch. 

Wir können übrigens genauso gut fragen: Wer kann denn heute mit Jesus Christus noch etwas anfangen? Wer weiß denn noch, wer Jesus Christus eigentlich ist? 

Und da bin ich bei einem Auftrag, den ich aus dem heutigen Predigttext herauslese. Er ist ein bisschen versteckt, das gebe ich zu. Eigentlich ist es mehr ein Lob an einige der frühen Christen, aber für mich steckt da auch ein Auftrag drin.
Ich hatte ja gesagt, dass es unsere Aufgabe ist, Jesus Christus den Menschen verständlich zu machen. Es ist unsere Aufgabe, ihn den Menschen wieder nahe zu bringen. 

Auch der Verfasser des ersten Petrusbriefes hatte es auch schon mit Menschen zu tun, die mit Jesus Christus nichts anfangen konnten. Es gab in seinem Umfeld Menschen, die Jesus nicht persönlich kennengelernt hatten. Es gab Menschen, die nicht selbst Zeugen des leeren Grabes und des auferstandenen Christus geworden sind. Aber sie glauben trotzdem.
„Ihr liebt ihn, obwohl ihr ihn nicht gesehen habt.
Ihr glaubt an ihn, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht.“
So steht es im ersten Petrusbrief.

In genau diesen Worten sehe ich nicht nur Lob für aus seiner Sicht gutes christliches Verhalten. Ich sehe darin, wie gesagt, auch einen Auftrag: 
Es soll noch mehr Menschen geben, die Christus lieben, obwohl sie ihn nicht gesehen haben. Es soll noch mehr Menschen geben, die an ihn glauben, obwohl sie ihn jetzt nicht sehen.

Damals haben sie das hingekriegt. Obwohl sie es genauso schwer hatten wie wir heute. Die frühen Christinen und Christen hatten es zwar nicht mit einem Shitstorm auf Facebook zu tun, aber leicht hatten sie es wirklich nicht. Ihr Shitstorm sah nur etwas anders aus. Der erwischte sie im täglichen Miteinander. Die Menschen, die den christlichen Glauben verspotteten und die Christinnen und Christen sogar verfolgten, gab es nicht in sozialen Netzwerken, aber es gab sie an dem Ort, wo die Menschen lebten, im Bekanntenkreis, sogar unter Freunden und in der Familie. Die Einführung zum 1. Petrusbrief aus der BasisBibel zeichnet da ein ganz interessantes Bild.
„Der erste Petrusbrief wendet sich an Christen in Kleinasien. Er ermutigt sie dazu, in einer feindlichen Umwelt an ihrem Glauben festzuhalten. Sie werden zwar noch nicht von der Staatsmacht verfolgt, aber von ihren heidnischen Mitbürgern angefeindet. Als Christen haben sie sich von den alten Göttern abgekehrt und mit ihrem alten Lebensstil gebrochen. Das ruft bei ihren Mitbürgern Misstrauen und Verdächtigungen hervor. Es kommt zu Übergriffen und zu Verleumdungen bei den Behörden.“* 

Trotzdem haben diese Christinnen und Christen das irgendwie hingekriegt. Sonst wäre das Christentum heute keine Weltreligion.
„Ihr liebt ihn, obwohl ihr ihn nicht gesehen habt.
Ihr glaubt an ihn, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht.“
Einerseits liegt es, glaube ich, an solchen Sätzen, die Mut machen und Hoffnung geben. Diese beiden Sätze drücken aus, dass es wichtiger ist, überhaupt zu lieben und zu glauben - egal wie und egal warum. 

Ich glaube, das ist Teil des Erfolgsrezeptes. Einfach vorleben, was ich glaube, auch mit meinen eigenen Fragen und Zweifeln. Sich einfach trauen davon zu erzählen, was einem der Glaube bedeutet, auch wenn wir uns dem Spott, der Kritik oder sogar einem Shitstorm aussetzen.
Ich habe mich neulich mit einer Frau unterhalten, die schlimme Erfahrungen in ihrem Leben hat machen müssen. Sie sagte: „Das klingt jetzt vielleicht pathetisch, weil die Pastorin daneben sitzt, aber ich hin damals in die Kirche gegangen. Das hat mir wirklich geholfen.“
Ich denke, dass wir genau diese Zeugnisse von Lebenserfahrungen brauchen. 
Mit einem „Ich bin damals in die Kirche gegangen, das hat mir wirklich geholfen“ kann jemand unter Umständen mehr anfangen als mit den „Hörnern des Altars“, glaube ich.

Und ja, natürlich gibt es auch viele Menschen, denen diese alten Texten ganz viel geben. Sie fühlen sich mit ihnen sicher und geborgen und gut aufgehoben wie unter einer alten schäddeligen Decke, die aber total gemütlich ist und Geborgenheit gibt. Oder wie einen „Himmel, wo ich drunter schlüpfen kann“, wie es in dem Monatslied für Juli heißt**. Aber es gibt eben auch andere Menschen, die eine andere Sprache brauchen.

Vielleicht hätte ich auf das Bild, das ich zu der Gottesdiensteinladung geposted habe nicht schreiben sollen „Christus ist auferstanden“. Vielleicht hätte ich etwas schreiben sollen, mit dem die Menschen mehr anfangen können wie „Das Licht hat die Dunkelheit besiegt“. 

Am Ende ist die Sprache, die am besten verstanden wird, unser Leben. Wenn wir vorleben, was wir glauben, dann kommt das auch an. Dann wird es auch verstanden, denke ich.
Ich kann mich bemühen, die Menschen so zu lieben, wie Gott mich liebt: vorbehaltlos. Und ich kann mich bemühen, deutlich zu machen, dass diese Art zu leben, aus meinem Glauben heraus passiert.

Und dann schlagen mir auch nicht unbedingt Hasskommentare entgegen, sondern ich erlebe Situationen wie diese hier:
Ich war im Kindergarten und wir hatten gerade die Palmzweige für den Palmsonntagsgottesdienst fertig gebastelt. Da fragt mich eines der Kinder: „Willst du jetzt rauchen gehen?“
Ich sagte: „Nein, ich will jetzt nicht rauchen gehen.“
Da fragte das Kind: „Warum nicht?“
Ich antwortete: Weil ich schon seit drei Jahren nicht mehr rauche.“
Darauf das Kind: „Warum rauchst du nicht mehr? Hat Gott dir das gesagt?“
Ich war zunächst sprachlos und habe dann aber gesagt: „Ja, das hat Gott mir gesagt.“

Natürlich zwinge ich den Kindern nichts auf. Aber ich erzähle ihnen schon, dass ich mit Gott rede, dass überzeugt davon bin, dass Gott mich liebhat und dass Gott immer bei mir ist, was mir echt hilft, gerade wenn ich traurig bin oder mich einsam fühle. Ich lebe meinen Glauben, und deshalb hätte mich die Frage überhaupt nicht überraschen dürfen.

Und es ist mir überhaupt nicht peinlich zu sagen:
Ja, ich liebe ihn, obwohl ich ihn nicht gesehen habe! Ja, ich glaube an ihn, obwohl ich ihn jetzt nicht sehe! Und ja, ich weiß, dass Gott mir auf seine Weise gesagt hat, dass ich verdammt nochmal mit dem Rauchen aufhören soll!
Amen
*BasisBibel – das Neue Testament, Deutsche Bibelgeselschaft, Stuttgart, 4. Aufl. 2011, S. 1069

**Monatslied – 12 neue Lieder für die Gemeinde, Lutherische Verlagsgesellschaft, Kiel, 1. Auflage, 2017

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