Den Heiligen Geist (be-) greifen



(Predigt am 09.06.2019 zu Johannes 14, 15-17.23b-25)

Ihr Lieben,
könnt ihr mir zeigen, wo der Heilige Geist gerade ist? 
An Pfingsten feiern wir ja, dass Gott uns den Heiligen Geist geschickt hat - als Vertretung für Jesus sozusagen. 
Aber wo ist er? Oder sie? Wie sieht der Heilige Geist aus? Woran erkenne ich den Heiligen Geist?

Das ist genau das Problem: Jesus war ein Mensch. Den konnte man sehen und sogar anfassen. Man konnte ihn auch hören, denn er hat viel über Gottes Reich erzählt.
Aber Jesus ist nicht mehr körperlich anwesend. Dafür hat Gott dann den Heiligen Geist geschickt. Ich glaube schon, dass wir davon ausgehen können, dass der Heilige Geist hier ist. 

Aber ich kann ihn weder sehen noch anfassen, denn der Heilige Geist ist eine Kraft, eine Energie. Und wir sehen oft erst auf den zweiten Blick, in welcher Weise sie wirkt.

Einen kleinen Hinweis auf den Heiligen Geist bekommen wir aus dem Johannesevangelium. Da müssen wir uns allerdings mit der Originalsprache, in der der Text des Johannesevangeliums verfasst wurde, auseinandersetzen: Altgriechisch. Da heißt der Heilige Geist nämlich Paraklet. Das Wort „Paraklet“ kann man auf unterschiedliche Weise übersetzen: Martin Luther übersetzt das Wort mit „Tröster“. Zu der Zeit, zu der das Johannesevangelium aufgeschrieben wurde, konnte man darunter aber auch etwas anderes verstehen. Wenn es nicht um Religion ging, sondern um rechtliche Dinge, dann war der Paraklet ein Vermittler oder ein Fürsprecher - ein Anwalt also.

Das Wort „Paraklet“ stammt von einem Verb ab (parakalleo), das u.a. bedeutet: herbeirufen, hinzurufen, zu Hilfe rufen, was ebenfalls zum Anwalt passen würde. Aber es kann auch übersetzt werden mit: auffordern, ermahnen. In diesem Zusammenhang macht es Sinn, dass der Evangelist Johannes den Paraklet als „Geist der Wahrheit“ bezeichnet. 

Gottes Geist vermittelt also und spricht für uns wie ein Anwalt vor Gericht. Gottes Geist ermahnt uns, bei der Wahrheit zu bleiben. Und Gottes Geist soll uns trösten, wie wir aus der Bibel erfahren.

Zu jeder dieser drei Eigenschaften habe ich eine kleine Geschichte für euch, um deutlich zu machen, wie genau der Heilige Geist wirkt, beziehungsweise warum wir ihn so nötig haben.

1. Der Heilige Geist als Rechtsbeistand
Als ich neulich mal wieder eine meiner frühmorgendlichen Joggingrunden über das Oberland drehte, sah ich zwei Menschen in Schlafsäcken im Gras liegen. Sie schliefen noch. Während ich weiterlief, machte ich mir so meine Gedanken über die beiden Outdoor-Schläfer. Ich konnte nachvollziehen, wie schön es sein musste, direkt unter dem Sternenhimmel einzuschlafen und dann morgens mit Blick auf das Meer aufzuwachen. Am besten sogar zum Sonnenaufgang. Dann dachte ich, dass das aber nicht ganz ungefährlich war, was die beiden da machten, denn sie lagen direkt am Klippenrand und wir wissen ja, dass ab und zu mal ein Stück von diesem Klippenrand abbricht und ins Meer stürzt. Deshalb stehen da ja auch Zäune. Ein Zaun an sich ist ja eigentlich schon deutlich genug. Er sagt: Stop! Hier geht es nicht weiter. Trotzdem gibt es zusätzlich noch Schilder, auf denen steht: Vorsicht am Klippenrand! Übersteigen der Zäune verboten! Okay, es könnte gut sein, dass die beiden Outdoor-Schläfer dieses Schild nicht gesehen haben. Aber ein Zaun an sich ist ja schon Aussage genug.
Ich finde, dass das ein gutes Beispiel dafür ist, dass wir alle immer mal wieder gegen Gebote, Gesetze, Regeln oder Richtlinien verstoßen. Ganz oft einfach aus Gedankenlosigkeit und gar nicht in böser Absicht. Wenn es um Gottes Gebote, Regeln und Richtlinien geht, gegen die wir verstoßen, dann steht uns Gottes Geist als Verteidiger zur Seite. 

Gottes Anwalt übernimmt die Verteidigung, wenn wir mal wieder aus Gedankenlosigkeit gegen ein Gebot oder gegen eine Regel verstoßen haben. Gottes Anwalt tritt für uns ein und erinnert Gott daran: Sei gnädig! Dieser Mensch hier ist schließlich dein geliebtes Kind!

Gottes Geist ist aber nicht nur der Beistand, der uns verteidigt. Gottes Geist vertritt auch die Wahrheit.

2. Der Heilige Geist als Geist der Wahrheit
Auch hierzu habe ich eine kleine Geschichte. Ich war damals im Grundschulalter und hatte tierisch Spaß daran, zu basteln und zu werkeln. So wollte ich mir aus einem alten Puppenwagengestell und einer Sperrholzplatte eine Art Handkarre bauen, die sich auch als Tretroller verwenden lassen würde. Da ich damals noch nicht so gut mit einem Akkuschrauber umgehen konnte, musste eben alles festgebunden werden. Ich wusste, dass sich in einer Schublade des Wohnzimmerschranks eine Rolle mit Schnur befand. Ich wusste auch, dass das Papas Rolle mit Schnur war und dass ich ihn eigentlich hätte fragen müssen, ob ich von der Schnur etwas haben konnte. Papa brauchte diese Schnur nämlich eigentlich selber, weil er daraus Anker knüpfte. Papa war aber gerade nicht da und ich wollte doch unbedingt meinen Handkarrenroller zusammenbauen. Also schnitt ich mir ein großes Stück Schnur ab.
Natürlich dauerte es nicht lange, bis Papa merkte, dass ihm Schnur fehlte, weil sie diese nicht mehr für einen Anker reichte. Er fragte mich: Hast du etwas von der Schnur abgeschnitten? Ich hatte auf einmal furchtbare Angst, richtig ordentlich Ärger zu bekommen und sagte deshalb: Nein. Ich habe keine Schnur genommen. Papa wusste natürlich, dass ich das gewesen war. Schließlich hatte er schon meinen Handwagenroller gesehen und gleich erkannt, mit welcher Schnur die Teile zusammengebunden waren. Ich hätte mir das Lügen also wirklich sparen können. Am Ende gab es sogar noch mehr Ärger, weil ich nicht nur Papas Schnur geklaut sondern auch noch gelogen hatte.

Wir Menschen neigen ja öfter dazu, mit „alternativen Fakten“ um uns zu werfen. Wir neigen dazu zu lügen. Wir neigen dazu, uns zu verstellen, wir neigen dazu, anderen etwas vorzumachen. Meistens, um uns vor den Konsequenzen zu schützen. Wir wollen gemocht, angenommen, akzeptiert werden oder etwas Bestimmtes erreichen und deshalb nehmen wir es manchmal mit der Wahrheit nicht so genau.

Ich habe aber irgendwann gelernt, das Lügen sein zu lassen, auch wenn ich etwas richtig vermasselt habe und zu Recht Angst vor Strafe haben muss. Gelernt habe ich das durch einen Menschen, der es mir einfach vorgemacht gemacht hat. Ich habe öfter erlebt, wie dieser Mensch in verschiedenen Situationen Fehler einfach zugegeben hat. Von ihm habe ich oft gehört: „Du hast Recht, da ist mir ein Fehler unterlaufen. Tut mir sehr leid.“ Das hat mich so beeindruckt, dass ich mir dachte: Das probiere ich auch mal. Und soll ich euch was sagen: Es ist ein richtig gutes Gefühl, etwas zuzugeben und die Wahrheit zu sagen. Und meistens passiert hinterher auch nichts Schlimmes. 

Ich bin fest davon überzeugt, dass durch das Beispiel dieses Menschen der Geist der Wahrheit in meinem Leben am Werk war und mir etwas beigebracht gebracht hat.
Aber das mit der Wahrheit ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite können wir die Wahrheit sagen - oder auch nicht. Auf der anderen Seite können wir die Wahrheit hören - oder auch nicht. 
Und da kann ich den Heiligen Geist immer nur wieder bitten, mich wissen zu lassen, ob eine Information, die ich bekomme, die Wahrheit ist, oder nicht. Ist es die Wahrheit, das Christus auferstanden ist und auch wir ewiges Leben haben werden? Ich sage da ganz klar: Ja! IEs gibt andere Menschen, die sagen: das kann gar nicht sein. Was stimmt denn jetzt?
Ist es die Wahrheit, dass homosexuelle Menschen in die Hölle kommen, wenn sie ihre Homosexualität ausleben? Ich sage ganz klar: Nein! Aber es gibt andere Christi*innen die ganz klar Ja! sagen. Beide Seiten können ihre Aussagen mit der Bibel begründen. Was ist nun also die Wahrheit?
Am Schlimmsten ist es tatsächlich, wenn jemand 200%ig von etwas überzeugt ist. Das macht die Aussage noch lange nicht wahr, aber es macht es auch verdammt schwer, die Unwahrheit zu entlarven.

Ich habe während meiner Studentenzeit als Kellnerin in einem Café am Plöner See gearbeitet und wurde von Gästen gefragt: Sind die Kuchen hier selbstgebacken? Ich antwortete voller Innbrunst: Ja, unsere Kuchen sind alle selbstgebacken. Schließlich hatte ich meine Chefin selbst gerade erst Pflaumen für einen Pflaumenkuchen entkernen sehen.

Nachdem ich meine Überzeugung kundgetan hatte, hörte ich das Gelächter der übrigen Belegschaft und meiner Chefs und fragte: Stimmt das etwa nicht? Nein, es stimmte nicht. Ein paar der Kuchen waren selbstgebacken, aber ein Teil war Tiefkühlware. Ich war aber so überzeugt von „meiner“ Wahrheit, dass jemand, der / die mich hörte, gar nicht auf die Idee gekommen wäre, dass ich da etwas völlig Falsches erzählte.

Umgekehrt kann es natürlich auch mir passieren, dass ich etwas für wahr halte, das gar nicht wahr ist. Umso mehr brauche ich den Beistand des Heiligen Geistes, der mich die Wahrheit erkennen lässt. Nicht nur, wenn es um Kuchen geht.

Wobei Kuchen wichtiger sein kann, als man denkt. Wenn es mit nämlich richtig schlecht geht, dann kann mich so ein Stück selbstgebackener Kuchen schon ganz gut trösten.

3. Der Heilige Geist als Trösterin
Trost kommt aber nicht nur in Form von Kuchen. Der Heilige Geist als schnappt sich auch hier wieder Menschen, die ihn beim Trösten unterstützen. Dazu gibt es einen ganz wunderbaren Text aus meiner Predigthilfe (Werkstatt für Liturgie und Praxis, Juni 2019, S. 145f).

Eigentlich ist es eine Nacherzählung aus einem Buch, die auf ganz wunderbare Weise deutlich macht, wie der Tröstergeist wirkt:
Im zweiten Band ihres Buches „Wunder“ lässt Raquel J. Palacio eine Großmutter zu Wort kommen, die ihrem Enkel von früher erzählt. 
Sie erzählt von ihrer Mutter, die sie innig liebte und immer wegen ihrer Schönheit bewunderte. Sie erzählt von einem Klassenkameraden in ihrer Pariser Schule, der durch Kinderlähmung an Krücken gefesselt war und von seinen Mitschülern – auch von ihr – spöttisch Tourteau, Krabbe, genannt wurde. Und sie erzählt von jenem Vormittag, an dem alle anderen jüdischen Kinder der Schule abgeholt wurden, während sie selbst sich auf dem Dachboden versteckte. Hier stöbert Tourteau, der eigentlich Julien heißt, sie schließlich auf und bringt sie auf einem nächtelangen Fußmarsch durch die Kanalisation zum Hof seiner Eltern. Juliens Eltern schauen die nasse, zitternde Sara an, und seine Mutter legt die Arme um sie. „Diese Umarmung war die wärmste Umarmung, die ich jemals gespürt hatte!“, erzählt die Großmutter weiter. „Ich weinte so sehr in den Armen dieser Frau, weil ich in diesem Augenblick genau wusste, dass ich niemals wieder in den Armen meiner eigenen Maman weinen würde. Und ich hatte recht“, fährt sie fort. „Sie hatten Maman am selben Tag noch abgeholt, zusammen mit allen anderen Juden in der Stadt. Ich sah sie niemals wieder. Meine wunderschöne Maman.“

Die wärmste Umarmung war die einer fremden Frau, nicht die der Mutter. Trost ist kein Ersatz für das, was man verloren hat. Trost ist die größtmögliche Zuwendung im Angesicht des Verlustes. So tröstet der Heilige Geist. Er macht nicht alles heil. Er ersetzt den Jüngern nicht ihren Rabbi und Herrn, Jesus von Nazaret. Aber er lässt die Nachfolger Christi auf andere Weise spüren, dass Gott sie nicht allein lässt. (nacherzählt von Gönke Eberhardt)

Damit lässt der Tröstergeist natürlich auch uns spüren, dass Gott uns nicht allein lässt, was auch immer wir gerade durchmachen im Leben. Und wirkt wieder mal durch andere Menschen – die wir sehen und anfassen können.

Der heilige Geist ist also sehr multitaskingfähig, wie ich finde. Sie kann, wie wir gesehen haben, nicht nur eine Sache, sondern gleich drei. Vermutlich kann sie sogar noch viel mehr. Und immer, wenn wir solch eine besondere Situation erleben, dann dürfen wir uns ruhig fragen, ob da nicht Gottes Geistkraft am Werk ist. So wird sie nämlich für uns sichtbar und greifbar.

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