Man muss auch gönnen können


Predigt am 09.02.2020 zu Matthäus 20, 1-16


Ihr Lieben,

als ich vorletzte Woche mit Freunden Doppelkopf gespielt habe, ist mir etwas sehr Schönes passiert. Um das zu erzählen, muss ich ein kleines bisschen ausholen und kurz auf die Regeln dieses Kartenspiels eingehen. Ähnlich wie beim Skat werden sogenannte Stiche gemacht. Das heißt: Wer die höherwertigste Karte hat, bekommt alle Karten, die in der Mitte liegen und damit alle Punkte. Nun ist es so, dass bei zwei gleichwertigen Karten, die zählt, die zuerst gelegt wird. Finden sich in einem Stich zum Beispiel zwei Asse, dann bekommt derjenige den Stich, der das erste As gelegt hat. Ausnahme: Die Herz-Zehn. Für die Herz-Zehn gibt es eine Sonderregel: Die zweite sticht hier nämlich die erste, wie es im Fachjargon heißt. Die Herz-Zehn ist in der Regel der höchste Trumpf und gewinnt immer. Aber: Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man sie spielt und da noch Leute nach einem dran sind. Denn die könnten die zweite Herz-Zehn haben und die erste ausstechen.
Einer unserer Mitspieler war von Anfang an gegen diese Sonderregel, hat sich dann aber nach demokratischer Abstimmung der Mehrheit gefügt. Es nervt ihn allerdings schon ziemlich, wenn er einen Stich verliert, weil jemand seine Herz-Zehn mit der zweiten übersticht. 

Wir saßen da nun also gemütlich zusammen und legten unsere Karten in die Mitte. Mein Mitspieler spielte seine Herz-Zehn und rechnete schon damit, dass der Stich an ihn gehen würde. Aber ich war nach ihm noch dran. Und legte meine Herz-Zehn. Und gewann damit den Stich. Aber nicht nur das: Ich hatte es sogar geschafft, einen Doppelkopf zu machen, also einen Stich der 30 oder mehr Punkte bringt. Und dafür gibt es sogar noch einen Sonderpunkt bei der Endabrechnung.

Die Reaktion meines Mitspielers war folgende: „Man muss auch jönne könne!“ Man muss auch gönnen können.

Und das war wirklich ernst gemeint. Es kam weder ironisch rüber noch genervt. Sondern völlig gelassen. Er gönnte mir meinen Stich und die Punkte. Und freute sich sogar ein bisschen für mich. Kein Ärger darüber, dass er mal wieder durch diese blöde Sonderregel leer ausgegangen war.

Ich muss zugeben, dass mich diese Reaktion total beeindruckt hat. Vermutlich, weil das so selten vorkommt. Jedenfalls erlebe ich das Gönnenkönnen nicht oft. Viel öfter erlebe ich Menschen, die sich verhalten wie die Arbeiter im Weinberg, von denen Jesus in seinem Gleichnis erzählt.

Die Arbeiter, die den ganzen Tag gearbeitet haben, und trotzdem nicht mehr bekommen als die, die nur eine Stunde gearbeitet haben, sagen leider nicht: Man muss auch gönnen können. Im Gegenteil. Sie beschweren sich beim Grundbesitzer über die ungerechte Behandlung.

Und das obwohl ihnen doch gar nichts weggenommen wird. Sie bekommen ja den Lohn, den sie mit dem Grundbesitzer vereinbart hatten. Sie bekommen den Lohn, den sie dringend brauchen, um sich und ihre Familien einen Tag lang ernähren zu können. Denn dafür reichte ein Silberstück damals gerade.
Die anderen, die weniger gearbeitet haben, bekommen auch das, was sie brauchen, um sich und ihre Familien einen Tag lang ernähren zu können. Der Grundbesitzer ist also sehr großherzig, indem er dafür sorgt, dass auch die Arbeiter versorgt sind, die vorher niemand einstellen wollte.
Nun muss ich allerdings zugeben, dass die Arbeiter, die den ganzen Tag gearbeitet haben, den anderen nicht das Silberstück missgönnen. Aber sie gehen schon davon aus, dass sie selbst mehr bekommen, weil sie auch mehr geleistet haben.

Mit den Gleichnissen, die Jesus erzählt, ist es ja so, dass sie für etwas stehen. Gleichnisse sind Erzählungen, die sinnbildlich etwas darstellen sollen. In diesem Fall ist mit dem Grundbesitzer Gott gemeint und die Arbeiter sind wir Menschen.

Die Geschichte beschreibt jetzt verschiedene Dinge:

Einerseits steht sie dafür, dass wir Menschen auch oft ungerecht behandelt fühlen. Dass wir meinen, uns stünde mehr zu, weil wir mehr geleistet haben als andere. 
Dann steht die Geschichte natürlich auch für all die Menschen, die auf die Großherzigkeit eines anderen angewiesen sind, um ihre Existenz zu sichern. 
Zu denen könnten wir auch gehören.
Diese Geschichte sagt mir in diesem Zusammenhang: Lerne das Gönnenkönnen!

Das ist übrigens auf unserer Insel ein brandaktuelles Thema. Gerade hier erlebe ich an vielen Stellen, dass andere nicht gönnen können.
Ich habe schon oft gehört: Wer hier arbeitet, dürfte gar nicht so viel verdienen wie jemand in demselben Beruf auf dem Festland, denn hier ist ja alles viel kleiner und damit gibt es viel weniger zu tun: Die Ärzte haben weniger Patienten und arbeiten deshalb nicht so viel wie Ärzte auf dem Festland; der Bürgermeister hat eine kleinere Gemeinde und es dürfte deshalb hier gar keinen hauptamtlichen (also bezahlten) Bürgermeister geben; eine Kindergärtnerin hat weniger Kinder zu betreuen und kann deshalb nicht die volle Stundenzahl bekommen; die Schulleiterin hat sich um eine viel kleinere Schule zu kümmern; und so weiter; ich selber werde auch ab und zu gefragt, ob ich bei einer so kleinen Gemeinde denn überhaupt eine volle Pfarrstelle habe. 
Zum einen ist es so, dass die Gleichung gar nicht stimmt. Nur weil hier alles kleiner ist und weil hier weniger Menschen leben, bedeutet das nicht automatisch, dass auch die Arbeit für uns alle weniger ist. Und dann ist es ja so, dass auch die Menschen auf dieser Insel ein Einkommen brauchen, das groß genug ist, um sie und ihre Familien zu versorgen. Ich für meinen Teil kann nicht nachvollziehen, warum man uns ein Einkommen nicht gönnen würde, das unsere Existenz sichert. Sollen wir lieber um unsere Existenz fürchten, nur damit der Gerechtigkeit Genüge getan ist? Unserer Gerechtigkeit wohlgemerkt.

Unser Empfinden von Gerechtigkeit ist es übrigens auch, das immer wieder die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen anheizt. 
Auch heute in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft gibt es Menschen, die niemand einstellt. Sollen sie deshalb hungern? Sollen sie deshalb frieren? Sollen sie deshalb auf Zeitungen unter Brücken schlafen? Ich finde nicht! Ich finde, diese Menschen sollten genauso versorgt sein, wie andere auch. Auch diese Menschen sollten bekommen, was sie zum Leben brauchen. 

Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte dabei helfen.
Würde das durchgesetzt, dann bekäme jeder Bürger die gleiche Menge Geld vom Staat ausgezahlt, ohne dass das an Bedingungen geknüpft wäre, die der Begriff schon sagt. Das bedeutet, die Bürger bekämen, was sie zum Leben brauchen, völlig unabhängig davon, wie viele Stunden sie dafür täglich in einem Weinberg oder hinter der Käsetheke schuften. Vielen von uns erscheint das ungerecht. 

Dabei ist das aber sehr gerecht. Jedenfalls wenn wir von Gottes Gerechtigkeit ausgehen. 

Gottes Gerechtigkeit hat ihren Grund in vorbehaltloser Güte. Egal wieviel jemand zu leisten imstande ist, Gott sorgt für diesen Menschen und will, dass es ihm oder ihr gut geht. Und das betrifft nicht nur unser irdisches Dasein. Da schwingt auch schon unsere Existenz nach dem Tod mit, denn die ist durch Gottes Großherzigkeit ebenfalls gesichert. Auch für diejenigen, die in ihrem Leben wenig leisten. Wir können uns Gottes Liebe und Gnade eben nicht erkaufen, egal wie sehr wir uns anstrengen. Wenn es um Gottes Liebe und auch um das Leben nach dem Tod geht, dann sind wir auf Gottes Großherzigkeit angewiesen und darauf, dass diese Großherzigkeit nicht an Bedingungen geknüpft ist. Und das ist sie nicht.

Außerdem: Wer gibt uns das Recht, Gott für ihre Großherzigkeit zu kritisieren? Gott kann schließlich tun und lassen, was sie will. Und wenn sie mit ihrer Großherzigkeit um sich schmeißt, dann ist das doch nur gut, denn dann haben wir alle was davon. Warum sollte ein anderer Mensch es nicht genauso gut haben wie ich?

Die Ansagen durch das Gleichnis sind deutlich:
Gott meint es gut mit uns, egal was wir leisten oder nicht zu leisten imstande sind. Und: Wir müssen es Gott im Grunde nur nachmachen und gönnen können. Und wenn wir es nicht können, dann müssen wir es eben lernen. So einfach ist das. Fangen wir beim nächsten Spieleabend doch gleich damit an. Es muss ja nicht gleich Doppelkopf sein. Ein anderes Spiel, das sich sogar viel besser dafür eignet, ist „Mensch ärgere dich nicht“.


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