Wer ist Jesus?



Predigt am 23.02.2020 zu Lukas 18, 31-43


Ihr Lieben,
Erik Flügge schreibt in seinem Buch „Nicht heulen, sondern handeln“:
„Nur eines kannte ich vor meiner Tour durch den Protestantismus wirklich nicht: Theologen, die nicht an die Auferstehung Christi glauben. 

Im vergangenen Jahr unternahm ich schließlich zwei Versuche, um herauszufinden, ob mich mein Eindruck täuscht. Ob ich zu sehr versucht bin, vom einzelnen Gespräch auf das große Ganze zu schließen. Bei einer Lesung, zu der so viele Theologinnen und Theologen kamen, dass der Saal so überfüllt war, dass der Ton nach draußen übertragen werden musste, trug ich eine These vor: „Niemand kann eine christliche Predigt halten, ohne an die Auferstehung zu glauben. Wer die Auferstehung nicht glaubt, hat als Predigerin oder Prediger den falschen Beruf.“

Für mich überraschend: Viele Unterstützerinnen und Unterstützer dieser These konnte ich nicht finden. Stattdessen erklärten mir Dutzende Leute in Wortbeiträgen, dass man die Auferstehung ja eher als philosophisches Konstrukt sehen müsse. Eine Theologiestudentin bat mich am Ende der Veranstaltung noch dringend zum persönlichen Gespräch, weil sie nicht akzeptieren wollte, dass sie laut meiner Aussage den falschen Beruf anstrebe. Es gäbe doch niemanden, der die Auferstehung glaube.

Am Abend zog ich noch mit einigen Theologinnen und Theologen um die Häuser. Wir unterhielten uns stundenlang. Einen Menschen, der an die Auferstehung glaubt, konnte ich nicht finden.“

Diese Erfahrung finde ich sehr interessant. Gerade die Theologinnen und Theologen sehen in Jesus nicht den Auferstandenen. Sind die genauso betriebsblind, wie die Jünger es damals waren? Jesus erzählt seinen Jüngern, dass man ihn foltern und umbringen wird, und dass er am dritten Tag vom Tod auferstehen wird.  Aber: Die Zwölf verstanden kein Wort. Der Sinn dieser Worte blieb ihnen verborgen. Sie begriffen nicht, wovon er sprach.
Ich sehe da durchaus eine Parallele zu den von Erik Flügge genannten Theologinnen und Theologen.

Es gibt noch eine weitere. Erik Flügge schreibt weiter: „Den zweiten Versuch, um herauszufinden, was in den Gemeinden geglaubt wird, unternahm ich am Reformationstag. Ich hielt eine Rede über die Wahrheit und fragte dabei immer wieder das Publikum, ob die Leute in der Kirche glauben, dass ein toter Körper einen Atemzug tat und zu neuem Leben erwachte. Glauben Sie, dass ein toter Körper in einem Grab plötzlich einen Atemzug tat? 

Ganz nebenbei - glauben Sie es?

Ein Mann kam nach der Rede zu mir und sagte mir, er hätte die ganze Zeit den Impuls gespürt, einfach mal laut reinzurufen: ‚Ja, natürlich glaube ich das!‘
Da zog mich eine ältere Dame beiseite, verdrehte die Augen und sagte mir, dass der Mann der Verrückte der Gemeinde sei.“

Das erinnert mich ganz stark an den Blinden, der rumschreit und Jesus um Hilfe bittet. (Ob die Leute da auch die Augen verdreht haben?)
Am Ende sieht er ganz genau, wen er da vor sich hat: den Christus, der göttliche Macht hat und der am dritten Tag auferstehen wird. 
Jesus hat den Bettler geheilt und dafür gesorgt, dass der wieder sehen kann - im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn. Der blinde Bettler ist nämlich in der Lage zu erkennen, wer Jesus wirklich ist. 
Es gibt also ganz unterschiedliche Sichtweisen, was Jesus angeht. Die einen verstehen nicht, erkennen nicht und andere wissen ganz genau, mit wem sie es zu tun haben. Interessant ist, dass gerade diejenigen, die mehr mit Jesus zu tun haben als andere, oft nicht zu sehen scheinen, wer er wirklich ist. Sie sind sozusagen betriebsblind.

In diesem Zusammenhang habe ich mir natürlich auch die Frage gestellt: Wer oder was ist Jesus für uns? Sehen wir ihn als den Auferstandenen? Sehen wir ihn als Gottes Sohn? Oder sehen wir ihn „nur“ als Vorbild, wenn es um Menschlichkeit, Liebe, Annahme, Frieden und Gerechtigkeit geht?

Ich war neugierig und habe mal ein bisschen Internet-Recherche betrieben.
Meine Twitter Umfrage zu „Wer oder was ist Jesus für dich?“ lieferte unter anderem folgende Ergebnisse:

„Einer, der weiß, wo‘s langgeht und auf den ich mich verlassen kann. Der nicht abtaucht, wenn’s ungemütlich wird …
Einer, der nicht seine Ideale verrät der eigenen Vorteile wegen …“

„Im Hinduismus ist Er Brahma der Schöpfer dieses Universums und gleichzeitig der direkt aus der Vater Gottheit Erstgeborene Sohn Gottes (Sanskrit VISHNU)“

„Mein verlässlichstes ‚Du‘-in ganz vielen Facetten“

„Eine Person aus einem Buch.“

„Gottes Sohn und mein Retter, Freund und Vertrauter“

„Mein Halt und Anker, meine Liebe und größte Sicherheit, mein bester Freund und mein Leben.“

„Mein Geliebter.“

Jesus ist „wahrhaftig Gott und der edelste Mensch, der je auf Erden gelebt hat“.

„Chef, Bruder, Kumpel und Vorbild“

„Immanuel – Gott mit uns“

„Gottes Sohn“

Auf Instagram hatte ich dann genau das aufgegriffen und gefragt: „Ist Jesus Gottes Sohn?“ 90 % haben mit „Ja“ gestimmt. 

So, jetzt habe ich euch ganz viele verschiedene Sichtweisen auf Jesus präsentiert. Was noch fehlt, ist meine eigene. Die will ich euch natürlich nicht vorenthalten. Nicht, um bei euch den Glauben zu wecken. Oder sogar den „richtigen“ Glauben zu wecken. Welcher Glaube richtig ist, kann am Ende sowieso nur Gott bestimmen. Fürs Glaubenwecken bin ich außerdem gar nicht zuständig. Das macht der Heilige Geist. 

Aber ich kann Zeugnis ablegen, wie es so schön heißt. Ich mag diesen Ausdruck tatsächlich sehr gerne, denn ich mache ja eine Zeugenaussage darüber, wie Gott in meinem Leben wirkt. In diesem Fall als Heiliger Geist, der irgendwann irgendwie meinen Glauben geweckt hat.

Also: Ich bin schon der Meinung, dass es im christlichen Glauben nicht ohne Jesus Christus geht!
Jesus muss sein, wenn es um seinen Vorbildcharakter geht, denn Jesus hat die Liebe gelebt wie kein anderer. Ja, ich glaube an den Menschen Jesus, dessen Beispiel ich folgen soll! 

Für mich ist Jesus aber nicht nur ein Mensch, der es echt draufhatte. Jesus ist auch Gott. Jesus ist Gott in Menschengestalt. Wenn ich darüber lese, was Jesus alles bewerkstelligt hat, die Heilung eines blinden Bettlers inklusive, dann bin ich mir sicher: Da war Gott selbst am Werk. Kann ich das beweisen? Nein. Aber ich weiß trotzdem, dass es so ist. Ich glaube es!

Was Jesus als Gottes Sohn betrifft, da wird es für mich schwierig. Was nicht bedeutet, dass ich das nicht glaube. Ich tue mich einfach nur schwer mit dieser Vorstellung, denn dieses ganze Familienszenario ist mir zu kompliziert. Das Konstrukt von Familienverhältnissen ist, denke ich, ein Versuch der Menschen, das zu erklären, was eigentlich gar nicht zu erklären ist. Ich stolpere dann spätestens an dem Punkt, an dem ich denke: Wenn Gott in Jesus Mensch geworden ist und Jesus Gottes Sohn ist, dann ist Gott sein eigner Sohn. Wie gesagt: Da wird es mir zu kompliziert. 

Ich persönlich kann einfach mehr mit Jesus als Gott in Menschengestalt anfangen. Für mich macht das total viel Sinn, dass Gott beschlossen hat, ein menschliches Leben zu leben und sich uns so als Mensch zu zeigen.

Ach so: Und weil ich fest daran glaube, dass Gott in Jesus menschliche Gestalt angenommen hat und dass Jesus damit göttliche Kraft hatte, glaube ich auch an die Auferstehung. Soviel zu dem, wie ich Jesus sehe. (Es gibt natürlich keine Garantie, dass ich nicht genauso betriebsblind bin wie die Jünger damals.)

Ich glaube übrigens noch was: Nämlich, dass Jesus mir auch heute noch immer wieder begegnet, und das nicht nur in biblischen Erzählungen. Jesus begegnet mir zum Beispiel in Menschen, die mich fragen: Was soll ich für dich tun? So wie Jesus das den blinden Bettler gefragt hat. Es ist mir übrigens tatsächlich gerade erst passiert, dass mich das jemand gefragt hat. Eine total schöne Erfahrung!

Jesus begegnet mir auch in Menschen, die mir vergeben, wenn ich voll danebengelangt habe - mit verletzenden Worten oder mit verletzendem Verhalten. Jesus begegnet mir in Menschen, die heilen, was gerade in mir kaputt ist – durch ein Lächeln, durch eine Umarmung, durch Zuhören und dadurch, dass sie mich so akzeptieren wie ich bin. Jesus begegnet mir eigentlich bei vielen Gelegenheiten. Jedenfalls glaube ich das.

Wir sehen: Die Menschen haben Jesus schon immer unterschiedlich wahrgenommen. Außerdem haben sich im Laufe der Zeit die Sichtweisen auf Jesus noch verändert. Und sie werden sich noch weiter verändern. Das dürfen sie auch, denn wir Menschen machen ja immer neue Erfahrungen. Erfahrungen im Allgemeinen und Glaubenserfahrungen im Besonderen. Wenn wir heute auf Jesus blicken, dann sehen wir ihn anders als seine Jünger damals oder als der Blinde, den er geheilt hat. Schon alleine deshalb, weil sich unsere ganze Gesellschaft verändert hat. Unsere Werte und Anschauungen haben sich verändert. Und dadurch sehen wir natürlich auch einen Jesus Christus in einem ganz anderen Licht. 



Wichtig ist, denke ich, dass wir ihn überhaupt sehen, 
dass wir erkennen, dass es ihn gibt,
dass wir wahrnehmen, wie er in unserem Leben wirkt
und dass uns klar ist, dass er das Ergebnis der vorbehaltlosen Liebe Gottes zu uns Menschen ist.
Aus dem christlichen Glauben ist Jesus nicht wegzudenken. Für mich gehört er unbedingt dazu: Als Mensch, als Gott, als Retter, als Heiler und als Auferstandener.

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Quellen:
Erik Flügge, Nicht heulen, sondern handeln, Kösel Verlag, 2019, S. 56 ff

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