Raus aus der Wohlfühlzone!



Predigt am 29.03.2020 zu Hebräer 13, 12-14


Ihr Lieben,

ich bin ja immer dafür, dass die Kirche, also wir Christinnen und Christen, in der Öffentlichkeit präsent ist. Wir haben schließlich sehr gute Werte zu vermitteln und wichtige Dinge mitzuteilen. Allerdings ist das nicht immer so ganz einfach, denn da kriegt man schon ordentlich Gegenwind.

Ich hatte mal in einer Facebookgruppe unsere Gottesdienste gepostet, um Insulaner, Insulanerinnen und Touris gleichermaßen auf dem Laufenden zu halten. Ich weiß nicht mehr genau, ob es zu Ostern oder zu Weihnachten war. Jedenfalls gab es einerseits diverse Likes, aber auch Kommentare, von Leuten, die schon immer mal ihren ganzen Frust über die Kirche loswerden wollten. Diese Kommentare bestanden nicht unbedingt aus konstruktiver Kritik. Das Ganze endete zwar zum Glück nicht gleich in einem Shitstorm, brachte mich aber durchaus dazu, zu überlegen, ob ich unsere Gottesdienste in dieser Facebookgruppe überhaupt noch ankündigen sollte. Bequemer wäre es ja, sich gar nicht mit sowas auseinander zu setzen. Also am besten gar nicht erst was lostreten. Die Tatsache, dass ich es trotzdem weiter tue, bedeutet für mich, dass ich aus meiner Wohlfühlzone raus muss. Das tue ich, weil ich es wichtig finde, dass die Kirche in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird. Sie hat ja schließlich viel Gutes zu bieten. Aber damit setzt sie sich und setze ich mich natürlich auch der Kritik aus - konstruktiver und weniger konstruktiver Kritik.

Ende Januar hatte ich in besagter Facebook Gruppe darüber informiert, dass unsere Glocken nicht funktionieren. Das war wichtig, weil es tatsächlich Menschen auf diesem Eiland gibt, die denken, es findet kein Gottesdienst statt, wenn die Glocken nicht läuten. Deshalb musste die Info unter die Leute. Ich hatte geschrieben 
(in der Gruppe mit dem Namen „Wenn du Helgoland kennst ...“):

„ ... hast du vielleicht schon gemerkt, dass die Kirchenglocken zur Zeit sehr schweigsam sind. Aufgrund eines technischen Defekts können wir leider zu den Gottesdiensten und zu 18:00 Uhr nicht läuten. (Wir hoffen, die Kinder sind trotzdem rechtzeitig zum Abendbrot zu Hause.)
Auch ringeln können wir derzeit nicht.
Die Gottesdienste finden natürlich wie gewohnt statt. Wir versuchen, das Problem so schnell wie möglich zu beheben."

Und gleich unkte wieder jemand rum: „Diese Ruhe sei den Anwohnern gegönnt. Amen!“
Ein anderer Kommentar dazu: „Versteh ich das richtig? Es gibt am Sonntag kein Glockenleuten zum Gottesdienst am Morgen?“ Meine Antwort darauf: „Genau.“ Er: „Halleluja... so schade, dass ich es diesen Sonntag nicht erleben kann.“

Es geht aber auch noch schlimmer, wie die Erfahrung eines Journalisten zeigt. Sebastian Pertsch schrieb mal auf Twitter:
Ich lese diesen Absatz in der ZEIT (zeit.de/amp/kultur/201…), als gerade eine Frau in der U6 drei ausländische Touristinnen rassistisch anpöbelt. Ich gehe dazwischen, weise sie zurecht. Ein anderer Fahrgast sagt zu mir: ‚Bringt doch nichts.‘ Und damit fängt es an.

Eine Antwort auf diesen Tweet lautete: "Ausländische Touristinnen’ ist ein dehnbarer Begriff. Ich bringe es auf den Punkt. Es waren wahrscheinlich "Burkas". Und ja, diese Unkulturen aus dem Mittelalter machen aggressiv. 😡
Auch dieses Beispiel ist, wie mein eigenes, noch ziemlich moderat. Es gibt aber auch Fälle, in denen mit wüstesten Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen kommentiert wird.

Und trotzdem lassen sich, zum Glück, viele Menschen nicht einschüchtern, sondern wagen sich immer und immer wieder aus ihrer Wohlfühlzone heraus, um das richtige zu sagen und zu tun.

Das ist voll und ganz auf der Linie unseres Predigttextes. In dem steht nämlich, dass Jesus außerhalb des Stadttores gelitten hat und dass wir es auch so machen sollen.

Dazu muss ich euch jetzt ein paar Dinge erklären. Eine Stadt zur Zeit Jesu im heutigen Israel beziehungsweise Palästina hatte in der Regel eine Stadtmauer, die das Innere der Stadt vor Angriffen schützen sollte. Die Mauer hatte natürlich Stadttore. Das waren Torgebäude in der Mauer, durch die man Zugang zur Stadt hatte. Aber nicht nur das. Diese Torgebäude samt Vorplatz dienten auch als Marktplatz oder Versammlungsort für Gerichtsverhandlungen.

Jesus hat außerhalb des Stadttores gelitten, sagt uns der Hebräerbrief. Das bedeutet, dass Jesus sich außerhalb des Ortes befand, an dem Recht gesprochen wurde. Ein rechtsfreier Raum sozusagen oder ein Ort an dem es vielleicht sogar ungerecht zugeht. Das passt sehr gut, wenn wir uns ansehen, wie man mit Jesus umgesprungen ist. Man hat ihn zu Unrecht angeklagt, weil die Pharisäer ihn aus dem Weg haben wollten und die Römer haben fröhlich mitgemacht, obwohl Jesus gar kein politischer Aufrührer war, sondern nur jemand, der Kranke geheilt, Sünden vergeben und von Gottes Reich erzählt hat. Und von dem man sagte, er sei Gottes Sohn. 

Jesus war kein politischer Aktivist, der versuchte, die römische Oberherrschaft zu stürzen und trotzdem hat man ihn verurteilt und hingerichtet. Total ungerecht!

Und doch war diese Ungerechtigkeit notwendig, denn Gott musste schließlich auf sich aufmerksam machen. Gott musste Liebe, Gnade und Leben in die Welt bringen - gegen jeden Widerstand. Und das ging eben nur so.

Rausgehen an den Ort, wo Ungerechtigkeit herrscht, das galt nicht nur für Jesus. Das gilt auch für uns, denn es heißt ja nicht umsonst, dass wir zu Jesus hinausgehen sollen und die Schande tragen, die er getragen hat. Für mich heißt das: Mach es wie Jesus. Geh raus und zeige den Menschen, was richtig ist und was falsch. Geh raus und zeige den Menschen wie Christentum und wie Kirche geht und wie gut das ist.
Raus aus dem Stadttor heißt: Raus aus der Wohlfühlzone!

Gerade jetzt ist das so unglaublich wichtig. Mitten in der weltweiten Corona Krise sind viele Menschen unsicher oder haben sogar richtig Angst. Einige entwickeln darüber Depressionen und andere werden aggressiv, wie ich selber gerade erst wieder hier auf Facebook zu sehen bekam. Mit Entsetzen sehe ich Kommentare, die sich mit viel Häme darüber äußern, dass unsere Bundeskanzlerin sich nun auch in Quarantäne begeben musste. Ja, es gibt Menschen, die freuen sich darüber. Ich sehe, wie bösartig über die Handwerker geschrieben wird, die vom Festland zu uns auf die Insel kommen und denen man unterstellt, sie würden uns hier alle anstecken.

Das ist falsch und das ist ungerecht. Und deshalb müssen wir da raus und den Leuten sagen: So geht das nicht. Wir müssen da raus und für das Richtige und das Gute einstehen. Wir müssen da raus und mit gutem Beispeil vorangehen, wenn es darum geht, Mitgefühl und Respekt zu zeigen und ein friedliches Miteinander zu leben. Wir müssen raus aus dem Stadttor – so wie Jesus. Damit werden wir uns aber auch eine Menge Kritik einfangen.

Deshalb wünsche ich uns, dass wir das Rückgrat haben, trotz Kritik und Abwertung standhaft zu bleiben.

Ich weiß, dass es uns allen nicht leichtfällt, uns durchs Stadttor zu trauen, und draußen in der Welt offen unseren christlichen Glauben zu leben und unsere christlichen Werte und das, was gut und richtig ist. Deshalb wünsche ich uns zusätzlich zum Rückgrat auch Mut. Ich wünsche uns, dass wir den Mut haben, da draußen in der Öffentlichkeit zu bleiben und zu sagen: Ja, ich gehe gerne in den Gottesdienst. Ja, ich bin gerne in der Kirche. Ja, ich glaube an Gott. Ja, ich finde die christliche Botschaft gut. Ja, ich finde es gut, dass Kirchenglocken läuten. Ja, ich helfe denen, die ungerecht behandelt werden. Ja, ich stelle mich dem Hass entgegen und lebe die Liebe. 

Und bitte Gott, lass mich bloß nicht alleine da draußen!

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