Was uns trösten kann



                                   Predigt am 22.03.2020 zu Jesaja 66, 10-14

Ihr Lieben,
Gott sagt: „Ich, der Herr, verspreche: Ich schenke der Zionsstadt Frieden und Wohlstand; der Reichtum der Völker wird ihr zufließen wie ein nie versiegender Strom.“ (Jesaja 66, 12) So hat es der Prophet Jesaja um etwa 500 vor Christus wiedergegeben.

Die Westdeutsche Zeitung schreibt am 6. Februar 2020:
„Gut eine Woche nach Vorstellung des amerikanischen Nahost-Plans eskaliert der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern erneut. Bei zwei Anschlägen in Jerusalem wurden nach israelischen Angaben ein Polizist und zwölf israelische Soldaten verletzt, einer davon schwer. (...)
Mehrere Stunden nach einem Auto-Anschlag in Jerusalem konnten israelische Sicherheitskräfte den mutmaßlichen palästinensischen Täter fassen. Bei einem weiteren Anschlag in Jerusalem wurde der palästinensische Angreifer getötet, wie die israelische Polizei mitteilte. Ein Polizist sei verletzt worden. Ein Polizeisprecher sagte: „Ein Terrorist hat das Feuer auf einen Grenzpolizisten eröffnet.“ Andere Polizeibeamte hätten in der Altstadt nahe des Tempelbergs (Al-Haram al-Scharif/Edles Heiligtum) auf den Angreifer geschossen und ihn außer Gefecht gesetzt. Teile der Altstadt seien nach dem Anschlag gesperrt worden, teilte die Polizei mit.“

So viel zum Thema „Frieden für die Zionsstadt“. Viele von uns wissen auch, dass es schon lange keinen Frieden mehr in Jerusalem gegeben hat, weil Israelis und Palästinenser Jerusalem für sich als Hauptstadt beanspruchen und sich bis aufs Blut bekämpfen.
Gott sagt auch: „ihr werdet euch fühlen wie Kinder, die auf dem Arm getragen und auf den Knien gewiegt werden. Ich werde euch trösten, wie eine Mutter tröstet.“ (Jesaja 66, 12-13, Gute Nachricht). Auch das haben wir aus dem Jesajabuch gehört.

Der NDR berichtet: 
„Eine 44 Jahre alte Mutter aus Burgwedel (Region Hannover) ist wegen der Misshandlung ihrer Tochter zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. (…)
Der Anklage zufolge hat die 44-Jährige ihre inzwischen neunjährige Tochter schwer misshandelt. Zwischen August 2016 und September 2017 soll sie das Kind unter anderem mit einer Peitsche geschlagen haben. Zudem habe das Mädchen ein elektrisches Hundehalsband tragen müssen, bei dem die Mutter mindestens einmal Stromstöße ausgelöst habe.“

Soviel zum Thema „ihr werdet euch fühlen wie Kinder, die auf dem Arm getragen und auf den Knien gewiegt werden“. Von einer solchen Mutter möchte sicherlich niemand getröstet werden.

Aber genau das sollte den Menschen zur Zeit Jesajas vermittelt werden: Trost! Das ist der Sinn und Zweck dieser Rede.

Damals passten diese beiden Beispiele auch noch, denn nachdem Jerusalem von einer fremden Großmacht überrannt und zerstört worden war, und die Menschen in die Gefangenschaft verschleppt, waren sie nun aus dem Exil ins eigene Land zurückgekehrt und durften dort den Tempel wieder aufbauen. Da ist der Frieden natürlich eine sehr tröstliche Vorstellung.

Und dann wurden den Menschen damals auch nicht ständig Horrorgeschichten von Kindesmisshandlungen um die Ohren gehauen. Nicht, dass es das zu der Zeit nicht auch gegeben hätte, aber was es nicht gab, waren Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet, wo solche Geschichten um der Quoten willen mit allen furchtbaren Details breitgetreten werden.

Die Menschen zur Zeit Jesajas fühlten sich vermutlich schon getröstet durch solche Worte. Für uns heute ist das nicht unbedingt der Fall. Deshalb brauchen wir andere Beispiele, andere Vorstellungen von Trost.

Nun habe ich aber die Kämpfe in und um Jerusalem und die Kindesmisshandlung nicht nur herangezogen, um zu zeigen, dass Jesajas Trostgedanken bei uns heute nicht unbedingt greifen.

Ich habe sie besonders deshalb herangezogen, weil diese beiden Berichte zeigen, dass das Bedürfnis nach Getröstetwerden in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft immer noch ein Thema ist. Die Menschen im heutigen Jerusalem brauchen immer noch Trost bei all den Kämpfen um die Stadt. Und die Kinder, die von denen misshandelt werden, die sie eigentlich liebhaben und für sie sorgen sollen, brauchen auch ganz viel Trost. Und die Einsamen, die Verzweifelten, die Armen, die Gefangenen, die Fliehenden, die Arbeitslosen, die Kranken, die Sterbenden, die Streitenden, die Vernachlässigten,  ... ! Und die, die metertief in der Corona-Krise stecken – also wir alle.

Und ja, sie können auf Trost hoffen. Wir können auf Trost hoffen in allem, was uns traurig macht oder uns sogar verzweifeln lässt. Warum ich das denke, erzähle ich euch gleich. 
Erstmal möchte ich aber klären, was genau Trost eigentlich ist: Der Duden definiert Trost als „etwas, was jemanden in seinem Leid, seiner Niedergeschlagenheit aufrichtet“. 

Was auch bedeutet, dass Trost das Leid nicht ungeschehen macht. Trost sorgt auch nicht dafür, dass es in Zukunft kein Leid mehr gibt. Aber Trost hilft, mit dem Leid fertig zu werden. Aufrichten ist da ein schöner Begriff, wenn wir davon ausgehen, dass Leid uns niederdrückt. Wir können uns also nach dem Leid oder sogar noch im Leid wieder aufrichten und weitergehen. Trost also auch kein Medikament, das den Corona-Virus abtötet, aber mit Trost lässt sich diese Krise leichter bewältigen. Mit Trost können wir die Einschränkungen und die Isolation vielleicht leichter aushalten.

Wenn mir also gesagt wird, dass in der Zionsstadt der Frieden einzieht und ich überall Berichte von ganz viel Unfrieden in Jerusalem lese, dann richtet mich das natürlich nicht auf. Wenn mir gesagt wird, dass wir uns fühlen werden wie Kinder, die auf dem Arm getragen und auf den Knien gewiegt werden und ich ganz viel über Kindesmisshandlung mitbekomme, dann richtet mich das auch nicht auf. Im Gegenteil.

Was mich aber aufrichtet, wenn ich niedergeschlagen bin, ist wenn mich jemand in den Arm nimmt und mir über den Rücken streicht. Das tröstet mich wirklich und zum Glück habe ich so jemandem in meinem Leben. Ich hoffe natürlich und wünsche euch, dass auch ihr so jemanden habt. Einen Freund oder eine Freundin vielleicht oder einen Partner, eine Partnerin. Vielleicht tatsächlich die Mutter oder der Vater. Wenn ich also die Zeilen im Jesajabuch lese, dann lese ich zwar von der Stadt Jerusalem und von einer Mutter, aber das Bild, das ich im Kopf habe, ist ein anderes. Es ist das Bild eines Menschen, der mich im Arm hält und mir über den Rücken streicht.
Und ja: In den Arm nehmen oder über den Rücken streichen ist in der jetzigen Situation oft keine gute Idee, denn schließlich wollen wir dieses blöde Virus nicht weiterverbreiten. Aber man kann Menschen auch seelisch in den Arm nehmen. Durch einen Anruf zum Beispiel, mit dem wir sagen: ich denke an dich. Du bist nicht alleine. Wir können Briefe schreiben oder Emails schicken. Wir können uns in sozialen Netzwerken austauschen. Wir als Kirche können mit unseren Glocken mittags zum Gebet rufen und hoffentlich dadurch trösten.

Gott verspricht mir also, dass es bei allem Leid, das ich vielleicht erfahre, jemanden gibt, der mich in den Arm nimmt und mir über den Rücken streicht oder einfach nur an mich denkt.

Und für jede und jeden von euch gibt es vielleicht noch ganz andere Vorstellungen, andere Bilder im Kopf: eine Decke, in die ihr euch einkuschelt, ein Musikstück, das euch berührt, ein bestimmter Geruch, oder ein Ort, an dem ihr euch wohlfühlt. Das alles kann tröstlich sein. Und es ist völlig okay solche Bilder im Kopf zu haben, wenn Gott uns sagt, dass wir getröstet werden.

Gott verspricht uns also, dass wir wieder aufgerichtet werden, wenn das Leid uns niederdrückt. Sei es durch einen Menschen, der uns in den Arm nimmt und Mitgefühl mit uns hat, oder anruft und schreibt; oder sei es durch die liebevolle Mutter. 

Oder sei es durch Friedensbemühungen in einem zerstrittenen Jerusalem. Denn die gibt es. Deutschlandfunk Kultur hat darüber berichtet:

„Ich war 2005 dabei, als wir uns das erste Mal mit jenen Israelis trafen, die nicht mehr Teil der Gewaltspirale sein wollten. Das war hart. Es ist nicht einfach, dem Feind die Hand zu reichen.“

Als der Sozialarbeiter Riad Hallis zu den ersten Treffen geht, hat er bereits Freunde und einen Bruder im Konflikt verloren. Er gehört zu jenen, die „Combatants for Peace“ gründen – ein unvorstellbar großer Schritt für alle Beteiligten. Angst und Misstrauen dominieren kurz nach der zweiten Intifada auf beiden Seiten: Laufen wir in eine Falle? Werden wir entführt? Getötet?

„Es ist beängstigend. Und schmerzhaft: Du weißt ja nicht, was sie in der Armee gemacht haben – vielleicht hat einer früher einmal mein Haus angegriffen?“
(…)
Bei „Combatants for Peace“ gehe es darum, zu lernen und zu beweisen, dass man die Spirale der Gewalt durchbrechen könne, sagt Riad Hallis. Wer Mitglied ist, verweigert sich dem Dienst in den besetzten Gebieten und verpflichtet sich zum gewaltfreien Widerstand.

Für ihre Arbeit wurde die Gruppe 2017 und 2018 für den Friedensnobelpreis nominiert: Sie organisiert Theaterworkshops, baut zerstörte Olivenhaine und Spielplätze wieder auf, veranstaltet Treffen zwischen Israelis und Palästinensern. Alle bekommen dabei Gelegenheit, ihre Geschichten zu erzählen und vom Narrativ des Gegenübers zu hören; die individuellen Menschen zu sehen statt eine feindliche Masse.“ 

Die Gewalt in Jerusalem macht mich traurig. Aber Aktionen wie diese trösten mich. Sie richten mich wieder auf. Es stimmt also, was Gott durch den Propheten Jesaja sagen lässt: „Ich werde euch trösten.“
Und ganz oft macht Gott das durch uns Menschen!

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