Selbstwahrnehmung

 

Predigt am 23.08.2020 zu Lukas 18, 9-14


 

Ihr Lieben,

es gibt da diese amerikanische Serie, die ich mir im Moment sehr gerne ansehe. Sie trägt den Titel „Greenleaf“ und handelt von einer Familie in Memphis / Tennessee, die eine sogenannte Mega Church leitet, also eine sehr, sehr große Kirchengemeinde. Der Vater ist Bischof, die Ehefrau leitet als „First Lady“ die Frauenarbeit in der Gemeinde und fördert bedürftige junge Mädchen, eine Tochter ist Pastorin, ein Sohn ist Pastor, die andere Tochter ist Kirchenmusikerin und leitet das Musikprogramm der Gemeinde, die Enkelin schmeißt den Kindergottesdienst. Die Menschen sind so begeistert von diesem christlichen Familienunternehmen, dass sie in Massen in die Kirche strömen. Man könnte meinen, Familie Greenleaf eine richtig heilige Familie ist.

Und manchmal hat man schon den Eindruck, dass sie sagen möchten: Schaut mal, wie toll wir doch sind! Schaut mal, was für tolle Christinnen und Christen wir doch sind!

 

Aber der Schein trügt: Der Bischof steht unter dem Verdacht, für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein und er hat Steuern hinterzogen. Seine Frau hatte eine Affäre und die eine Tochter ist nicht Tochter des Bischofs. Der Pastorensohn betrügt seine Frau, die Pastorentochter verleugnet ihren Sohn, den sie zur Adoption freigegeben hatte. Die halbe Familie diskriminiert den homosexuellen Schwiegersohn. Die Tochter, die Kirchenmusikerin ist, verrät ihre Familie und am Ende sogar die ganze Kirchengemeinde. Die Enkeltochter lässt sich zum Drogenkonsum verführen und dass der Onkel diverse junge Mädchen missbraucht hat, wird von vielen in der Familie unter den Teppich gekehrt.

 

Ihr seht: Es gibt hier alles, was eine gute Seifenoper braucht!

Diese Serie ist übrigens gar nicht so weit weg von der Realität. Gut, hier kommt alles in einer einzigen Familie zusammen, während es im wahren Leben eher einzelne Dinge sind, die die „heiligen“ Menschen vereinzelt ins Straucheln bringen. So wie eine Bischöfin, die unter Alkoholeinfluss noch Auto fährt, ein verheirateter Pastor, der eine außereheliche Affäre hat, eine kirchliche Mitarbeiterin, die Spendengelder in die eigene Tasche steckt. Und ja: Ich ahne, woran manche jetzt ebenfalls denken: An die Missbrauchsskandale innerhalb der Kirche.

 

Oft folgt auf solche Verfehlungen der Rücktritt oder ein Rauswurf, weil die Glaubwürdigkeit im Eimer ist. Gerade die Hauptamtlichen, also die bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in der Kirche sollten doch mit gutem Beispiel in Sachen Lebensführung vorangehen. Heilige mit einem heiligen Lebenswandel sozusagen.

 

Aber: Wir sind auch nur Menschen! Wir sind nicht perfekt. Wir machen Fehler. Und das gilt nicht nur für kirchliche Mitarbeitende. Das gilt für alle Menschen. Womit ich auf gar keinen Fall die Verfehlungen und Vergehen entschuldigen oder rechtfertigen will. Unsere Vergehen müssen Konsequenzen haben und dafür gibt es ja auch Gesetze bzw. das Kirchenrecht. Wenn jemand betrunken Auto fährt, bringt diese Person sich und andere in Gefahr und dann muss eben der Führerschein abgegeben werden. Wenn jemand Kinder misshandelt oder missbraucht, dann muss dieser Mensch hinter Gitter! Und ja: Natürlich gibt es auch Unterschiede in den Ausmaßen der Vergehen. Es gibt kleine Fehler und es gibt große Verbrechen, die entsprechend geahndet werden müssen.

 

Aber mir geht es gar nicht so sehr darum, wie das Gesetz mit unseren Verfehlungen umgeht. Mir geht es mehr darum, was das Wesen von uns Menschen ausmacht.

Deshalb lasst uns jetzt mal auf den Pharisäer und auf den Zolleinnehmer schauen.

 

Genauso wie diese „heilige“ Familie aus der von mir so geliebten Fernsehserie Fehler hat und Fehler macht, genauso wie die „heiligen“ Menschen im wahren Leben Fehler haben und Fehler machen, so hat auch der Pharisäer aus Jesus‘ Gleichnis seine Fehler. Genauso macht er seine Fehler. Davon bin ich fest überzeugt. Obwohl er als Pharisäer ein Jude ist, der die biblischen Gesetze unglaublich ernst nimmt und akribisch befolgt. Aber hundertprozentig ist das gar nicht möglich. Es gibt immer Situationen, in denen auch ein Pharisäer an der Befolgung von Gottes Geboten scheitert.

Aber der, von dem Jesus erzählt, zeigt es nicht. Er gesteht es sich selbst und anderen nicht ein. Er gesteht es Gott gegenüber nicht ein. Wobei Gott natürlich längst Bescheid weiß.

 

Worauf ich hinaus will, ist Demut. Wir alle, Pastorinnen wie Krankenpfleger, Mitarbeiter der Müllentsorgung wie Ärztinnen, Elektriker wie Bürokräfte, Politikerinnen wie Raumpfleger, KFZ Mechatroniker wie Reiseverkehrskaufleute, und viele mehr, leisten oft sehr gute Arbeit und engagieren sich dazu oft nebenbei noch ehrenamtlich. Und doch sind sie immer noch nicht perfekt. Sie tun viel für uns, für unsere Gesellschaft. Aber sie machen auch Fehler.

 

Und deshalb ist es so wichtig, sich nicht auf seinen Errungenschaften auszuruhen, sondern im Blick zu haben, dass wir alle immer noch Sünder sind. Das heißt: Dass wir uns in manchen Situationen von Gott, Gottes Geboten, der Nächstenliebe und der Gottesliebe abwenden.

 

Und dann gibt es natürlich auch die Menschen in unserer Gesellschaft, denen nicht nur ab und zu kleine Fehler unterlaufen, sondern die volle Kanne sündigen, wie der Zolleinnehmer im Gleichnis.

 

Zolleinnehmer waren zur Zeit Jesu ganz oft Betrüger.

Ihr Job war es zum Beispiel, an Stadttoren „im Auftrag der römischen Regierung auf Waren Zölle“ zu erheben und sie „wirtschafteten dabei auch in die eigene Tasche.“ (Basisbibel, Kommentar zu „Zolleinnehmer“).

 

Im Gleichnis aber beweist gerade dieser Betrüger Demut. Er weiß, dass er Menschen bestohlen hat, es tut ihm leid und er bittet Gott dafür um Vergebung.

Auch diesen Schlag Mensch gibt es in unserer Gesellschaft: Die die es wirklich vergeigt haben, die aber am Ende aber die Kurve kriegen und bereuen, dass sie vielleicht anderen Leid zugefügt haben, dass sie gestohlen, betrogen und verletzt haben. Sie haben die Größe, dafür um Vergebung zu bitten.

 

Das Bild, das Jesus da mit seinem Gleichnis zeichnet ist ziemlich schwarzweiß. Zu schwarzweiß für meinen Geschmack. Ich glaube nicht, dass es funktioniert, wenn wir nur versuchen, wie der Zolleinnehmer zu sein: Voller Schuld und demütig um Vergebung bittend.

 

Ich denke, dass in jedem von uns ein Pharisäer UND ein Zolleinnehmer stecken, wenn es um unser Verhalten geht.

Und ich denke, dass in jeder und jedem von uns ein Pharisäer UND ein Zolleinnehmer stecken sollten, wenn es um unsere Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung geht. Ja, wir dürfen uns schon unserer Fehler bewusst sein und versuchen, es besser zu machen, wenn uns etwas danebengegangen ist. Aber wir sollten auch nicht unser Licht unter den Scheffel stellen, wenn es darum geht, unsere Fähigkeiten und guten Eigenschaften zu zeigen.

Kleine Anmerkung am Rande: Ein Scheffel ist ein Behälter, mit dem man früher eine bestimmte Menge an Getreide abgemessen hat. Das Getreide wurde auch in diesem Behälter transportiert. Ein Licht unter einen Scheffel stellen bedeutet also, dass man das Licht nicht mit einem Behälter abdeckt, denn dann ist es ja dunkel. Hier die entsprechende Textstelle dazu:

 

Matthäus 5, 15: 

Es zündet ja auch niemand eine Öllampe an

und stellt sie dann unter einen Tontopf.

Im Gegenteil: Man stellt sie auf den Lampenständer,

damit sie allen im Haus Licht gibt.

16 So soll euer Licht vor den Menschen leuchten.

Sie sollen eure guten Taten sehen.

 

Also: Wir dürfen unser Licht ruhig scheinen lassen. Nicht blenden, wie der angeberische Pharisäer, aber leuchten dürfen wir. Wir dürfen ruhig zeigen, wenn es uns gelungen ist, Nächstenliebe zu praktizieren. Denn das animiert ja unter Umständen andere, es uns nachzumachen. Und ja, natürlich dürfen unsere guten Taten gewürdigt werden. Solange wir nicht vergessen, dass wir nicht perfekt sind, solange wir uns unserer Fehler und Vergehen bewusst sind, solange wir für unsere Sünden um Vergebung bitten.

 

In jedem und jeder von uns steckt ein Pharisäer, der vielleicht tief im Glauben verwurzelt ist und daraus Gutes bewirkt. Das dürfen wir auch zeigen. Aber in jeder und jedem steckt auch ein Zolleinnehmer, der einfach nicht widerstehen kann, nur an sich zu denken und das auf Kosten anderer. Das dürfen wir aber auch bereuen und mit der Bitte um Vergebung vor Gott bringen. Ich glaube, das ist der richtige Weg.

 


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