Spieglein, Spieglein ...

 

Predigt am 09.08.2020 zu Jeremia 1, 4-10



„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste im ganzen Land?“ 

 

Ihr Lieben,

diese Frage stammt, wie viele von uns wissen, aus dem Märchen „Schneewittchen“ von den Brüdern Grimm.

Anfangs antwortet der Spiegel auf die Frage noch: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.“ Aber später, als die Stieftochter älter wird, bekommt die Königin folgendes zu hören: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.“ 

 

Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie brutal ehrlich ein Spiegel ist. Ein Spiegel zeigt nämlich, was da ist. Er zeigt nicht, was wir sehen WOLLEN.

 

Was sehen wir wohl, wenn wir in einen Spiegel sehen? Ein Lächeln? Ein Grübchen in der Wange, das beim Lächeln entsteht? Vielleicht sehen wir einen schönen Mann oder eine schöne Frau. Oft aber sehen wir aber zuerst das, was wir nicht so schön finden: Die krumme Nase, die abstehenden Ohren, die dünnen Haare, das Doppelkinn. Ein Spiegel ist, wie gesagt, brutal ehrlich.

 

Versteht mich jetzt nicht falsch: Ich bin überhaupt nicht für Schönheits-OPs, damit wir einem bestimmten Schönheitsideal entsprechen. Ja, die Nase ist krumm. Ja, die Ohren stehen ab. Und ich kann lernen, das, was ich da sehe zu lieben. Es ändern zu wollen wäre der falsche Weg. Es gibt aber manchmal Dinge, die geändert werden müssen, wenn wir sie entdecken: Ein Melanom, also ein bösartiger schwarzer Hautkrebstumor, zum Beispiel muss unbedingt weg, weil er mich am Ende umbringt.

Die krumme Nase und auch das Melanom sind Äußerlichkeiten. Da sind aber auch noch die Dinge, die uns ein normaler Spiegel nicht zeigt, weil sie von außen gar nicht zu sehen sind: Die Dinge, die unser Wesen ausmachen.  Wobei man diese Dinge im Grunde schon von außen sehen kann: durch das was wir sagen und tun. 

Und auch dafür gibt es einen Spiegel. Das ist allerdings ein besonderer Spiegel. Ein Moral-Spiegel vielleicht oder ein Ethik-Spiegel. Ich als Christin würde diesen Spiegel als göttlichen Spiegel bezeichnen.

Würde man der bösen Königin einen solchen Spiegel vorhalten, dann würde der nicht nur sagen „Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.“ Sondern: „Frau Königin, Ihr seid richtig hässlich!“ Weil diese Königin einfach ein schlechter Mensch ist: voller Oberflächlichkeit, Gier nach Bewunderung und Neid und sogar bereit, einen anderen Menschen dafür zu töten, dass sie weiterhin die Schönste sein kann.

 

Genau das ist es, was Prophetinnen und Propheten machen: Sie halten den Menschen einen göttlichen Spiegel vor, um ihnen zu zeigen, was nicht stimmt. Sie halten ganzen Völkern einen Spiegel vor, um zu zeigen, dass da Krebsgeschwüre in der Gesellschaft wuchern. Sie halten uns einen Spiegel vor, damit wir das, was nicht stimmt, zum Besseren verändern können. Denn Prophetinnen und Propheten halten uns nicht nur einen Spiegel vor die Nase, sondern zeigen auch auf, was passiert, wenn wir das, was wir da sehen, nicht ändern. Sie machen uns auf die Konsequenzen aufmerksam.

 

Jeremia war ein solcher Prophet. Was wir aus den ersten Versen des Jeremiabuches erfahren, ist, wie Jeremia von Gott berufen wurde, wie er von Gott sozusagen den Spiegel in die Hand gedrückt bekam, mit dem Auftrag, ihn dem Volk Israel vorzuhalten und dem Volk Israel klar zu machen, was passiert, wenn es die Krebsgeschwüre nicht ausmerzt.

Was für eine Aufgabe! Kein Wunder, dass Jeremia daran zweifelt, ob er dieser Aufgabe überhaupt gewachsen ist.  Er sagt zu Gott: „Ich kann doch nicht reden, ich bin noch zu jung!“ Für mich schwingt in diesen Worten mit: „Ich bringe doch gar keine Lebenserfahrung mit. Ich habe das doch gar nicht gelernt. Ich habe doch gar keine Autorität. Wer soll mich denn da bitte ernstnehmen?!“ 

Und genau da haben wir auch schon den Unterschied zwischen einem Beruf und einer Berufung: 

 

Der Duden beschreibt den Beruf als eine erlernte Arbeit oder Tätigkeit, mit der jemand sein Geld verdient. Was Jeremia da tun soll, hat er weder gelernt, noch würde er damit seinen Lebensunterhalt sichern können. Im Gegenteil. Die Menschen sind nicht begeistert, von dem, was er ihnen da vorhält. Jeremia wird angefeindet und ihm schlägt viel Hass und Ablehnung entgegen.

Aber das Prophetsein ist ja auch kein Beruf, sondern eine Berufung, also eine „besondere Befähigung, die jemand als Auftrag in sich fühlt“, wie der Duden es definiert. Okay, Jeremia fühlt die Befähigung vielleicht nicht, aber er weiß definitiv, dass er einen Auftrag hat.

 

Und Gott lässt mit seinem Auftrag nicht locker, trotz der Bedenken, die Jeremia hat. Denn - ihr habt es schon von mir gehört: Gott beruft nicht die Qualifizierten, sondern Gott qualifiziert die Berufenen.

 

Das war damals, vor ziemlich langer Zeit. Aber was heißt das jetzt für uns heute? Dass wir bereit sein müssen, uns den göttlichen Spiegel vorhalten zu lassen? Dass wir bereit sein müssen, das zu ändern, was wir da an hässlichen Dingen sehen? Auch. Aber nicht nur.

 

Ich sehe uns durchaus auch in der Rolle des Propheten oder der Prophetin. Damit meine ich jetzt aber nicht, dass jeder oder jede einzelne so drastisch ihr oder sein Leben umkrempeln muss, wie Jeremia es getan hat. Selbst ich als Pastorin fühle mich nicht zu dem berufen, was Jeremia auf sich genommen hat und hat aushalten müssen. Ich fühle mich überhaupt nicht dazu berufen Macht über Völker und Königreiche auszuüben, oder auszureißen und zu zerstören, zu vernichten und zu verheeren, aufzubauen und anzupflanzen. Ganz bestimmt nicht!

 

Ich als einzelne bin dazu nicht berufen, auch wenn ich durchaus der Meinung bin, dass das Pastorinsein nicht Beruf, sondern Berufung ist. Ihr als einzelne seid auch nicht dazu berufen. Aber die Kirche ist dazu berufen.

 

Ich bin der Meinung, die Kirche hat genau diesen Auftrag: den Menschen, den Völkern einen Spiegel vorzuhalten und ihnen die Krebsgeschwüre zu zeigen. Die Kirche hat dazu den Auftrag, den Menschen und den Völkern die Konsequenzen aufzuzeigen, wenn die Krebsgeschwüre nicht ausgemerzt werden.

 

Und ganz ähnlich wie Jeremia erlebe ich die Kirche oft als eine, der das Selbstvertrauen fehlt. Wobei die Kirche jetzt wirklich nicht mit dem Argument kommen kann, sie sei zu jung!

Ich erlebe die Kirche immer wieder als ein gescholtenes Kind, das sich wegduckt, und anfängt, sich zu rechtfertigen, wenn Kritik kommt.

Wenn der Kirche vorgeworfen wird, sie sei in der Corona Krise zu wenig sichtbar, dann wird erstmal aufgezählt, was die Kirche och alles getan hat. 

 

Dabei würde ich in diesen Zeiten von der Kirche etwas ganz anderes erwarten. Ich würde erwarten, dass sich die Kirche ihrer Berufung durch Gott bewusst ist, dass sie weiß, dass Gott ihre Lippen berührt und ihr das göttliche Wort in den Mund gelegt hat. Dass sie Rückgrat hat und selbstbewusst als göttliches Werkzeug in der Welt agiert.

 

Die Kirche muss sich trauen, den Menschen den Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, welche Konsequenzen es hat, wenn wir rücksichtslos miteinander, mit der Umwelt, mit diesem ganzen Planeten umgehen. Und ja: Viele werden das nicht hören wollen. Viele werden mit Anfeindungen und mit Hass antworten. Und die Kirche muss lernen, das auszuhalten und weiterzumachen.

 

Und das bedeutet: WIR müssen uns das trauen! Und das können wir, denn wir sind ja nicht wie Jeremia als einzelne Menschen berufen, sondern als Gemeinschaft. Das macht es viel, viel leichter, wie ich finde.

 

Wir sind dazu berufen, das zu tun, wozu Gott uns beauftragt hat: Frieden zu stiften und Nächstenliebe zu leben!

 

Die Schwierigkeit bei einer ganzen Gemeinschaft ist allerdings, dass wir uns dann gerne auf die anderen verlassen. Nach dem Motto: Ich muss das ja nicht selber machen. Sind ja genug andere da. Das wird manchmal so schön boshaft mit dem Akronym für das Wort TEAM ausgedrückt: Toll, Ein Anderer Macht’s.

 

Ja, die ganze Kirche ist berufen. Aber damit bin auch ich als einzelner Mensch berufen, meinen Teil zur Erfüllung des göttlichen Auftrags beizutragen. Und ich weiß auch dass das Überwindung kostet, denn nicht nur die Kirche als Gemeinschaft ist Anfeindungen ausgesetzt, sondern wir als Individuen sind es auch ganz schnell in einer Gesellschaft, in der die persönlichen Freiheiten wichtiger sind, als die Gesundheit und das Leben vieler Menschen. Ja, wir werden uns oft unbeliebt machen. Aber das muss auch so sein.

Die Kirche muss wie Jeremia das ausreißen und zerstören, was krank macht: den Egoismus und die Gier nach mehr zum Beispiel.

 

Das ist eine krasse Aufgabe und deshalb fehlt uns vielleicht auch der Mut, den Menschen und sogar Völkern den Spiegel vorzuhalten. Aber Gott lässt auch bei uns nicht locker. Gott lässt auch bei der Kirche nicht locker. So wie Gott bei Jeremia nicht lockergelassen hat, denn die Erfüllung des Auftrags ist unglaublich wichtig. Damit am Ende wieder aufgebaut und gepflanzt werden kann. Damit eine neue Welt entstehen kann, in der die Liebe austreibt, in der der Frieden wächst und in der gegenseitige Achtung und Wertschätzung blühen.

 

Und wir dann in den Spiegel schauen, bekommen wir zu hören: Meine Kinder, ihr seid die schönsten im Land!

 


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