Wir müssen umstrukturieren!



Predigt am 06.09.2020 zu Apostelgeschichte 6, 1-7


 

Ihr Lieben,

in der Septemberausgabe von „Werkstatt für Liturgie und Predigt“ findet sich folgender Bericht (Ausgabe September 2020, S. 262):

 

„Umgang mit Resourcen - als Pastorin

Etwa jeder achte der über 900 Beschäftigten in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) leidet an einem Burn-out. Das haben Greifswalder Wissenschaftler in einer Studie ermittelt. Es seien vor allem Verwaltungsaufgaben und berufsfremde Leistungen, die für übermäßigen Stress in den Pfarrhäusern sorgten, räumte der EKM-Personaldezernent Michael Lehmann am Montagabend ein. Mancher Pfarrer fühle sich manchmal wie ein Hausmeister, sagte er beim traditionellen Kamingespräch der Kirchenleitung zum Jahresbeginn in Erfurt. Sein Chef weiß um diese Sorgen. Die Pfarrer würden nicht darunter leiden, weil sie ‚zu viel‘ sondern wei sie ‚zu vieles‘ arbeiten, fasste Bischof Friedrich Kramer das Dilemma zusammen. Sein Credo lautet deshalb: Sich auf das Kerngeschäft besinnen. ‚Wir wollen eine besuchende, eine seelsorgende Kirche sein‘, forderte Kramer.“ (Nacherzählt von Henrike Müller)

 

Und eine Betende Kirche! Und eine das Wort Gottes verkündende Kirche! Das sind Dinge, die bei den Kernaufgaben ebenfalls nicht fehlen dürfen.

 

Jetzt ist es aber nicht so, dass Pastorinnen und Pastoren wirklich ALLES an Aufgaben selbst übernehmen. Viele der kirchlichen Aufgaben werden nämlich von der Diakonie geleistet. Und hier ist, was die Diakonie über sich selbst sagt:

 

„Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirchen. Wir verstehen unseren Auftrag als gelebte Nächstenliebe und setzen uns für Menschen ein, die am Rande der Gesellschaft stehen, die auf Hilfe angewiesen oder benachteiligt sind. Neben dieser Hilfe verstehen wir uns als Anwältin der Schwachen und benennen öffentlich die Ursachen von sozialer Not gegenüber Politik und Gesellschaft. Diese Aufgabe nehmen wir gemeinsam mit anderen Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege wahr. Dieses Selbstverständnis spiegelt sich auch in dem Wort „Diakonie“ wider: Im Altgriechischen versteht man unter diakonia alle Aspekte des Dienstes am Nächsten.„(Quelle: https://www.diakonie.de/auf-einen-blick )

 

Der Dienst am Nächsten kann wie folgt aussehen:

Familienhilfe, Jugendhilfe, Obdachlosenhilfe, Hospizarbeit, Behindertenhilfe, Hilfe bei Arbeit und Arbeitslosigkeit, Altenhilfe, Krankenpflege, Hilfe bei Migration, Flüchtlingshilfe, -Suchtberatung, Telefonseelsorge ... und, und, und. Es gibt ganz viele Bereiche, in denen die Diakonie tätig ist.

 

Der Text aus der Apostelgeschichte erzählt von der Geburtsstunde der Diakonie. Die Christinnen und Christen haben es damals durch Umstrukturierung geschafft, eine Überlastung der kirchlichen Mitarbeitenden zu vermeiden. Und wie wir sehen, setzen wir dies auch heute noch um.

 

Wobei ich sagen muss, dass es schon ein bisschen überheblich klingt, wenn die Jünger sagen: „Wir können doch nicht die Verkündigung vernachlässigen, um selbst an den Tischen das Essen auszuteilen.“

Das klingt so, als wären sich die Jünger zu schade, Essen an die Bedürftigen auszuteilen.

Ich finde ja: An den Tischen das Essen auszuteilen ist auch Verkündigung, allerdings nicht mit Worten, sondern mit Taten. Da wird den Menschen Gottes Liebe auf ganz praktische Weise vermittelt.

Allerdings waren damals eine Umstrukturierung und eine Aufgabenverteilung dringend nötig, denn wir hören ja aus dem Text, dass die Gemeinde ständig wuchs, was natürlich auch mehr Arbeit bedeutete. Und die musste eben auf mehrere Schultern verteilt werden. Ich bin ja der Ansicht, dass diese Zeilen aus der Apostelgeschichte DER Anti-Burnout Text schlechthin sind.

Der auch heute gehört werden muss und nach dem auch heute entsprechend gehandelt werden muss.

 

Ja, wir haben die Diakonie, die ganz viel von der praktischen Nächstenliebe leistet. Und trotzdem kommt es zur Überlastung von Mitarbeitenden, unter den Pastorinnen und Pastoren, aber auch unter den Diakoninnen und Diakonen. Und unter anderen kirchlichen Mitarbeitenden. Sonst würde nicht jeder achte der 900 Beschäftigen in der EKM an Burnout leiden.

 

Wir sind also wieder an einem Punkt, an dem dringend umstrukturiert werden muss, damit wir unserer Kernaufgaben gerecht werden können: Der Verkündigung von Gottes Liebe, dem Gebet, dem Leben von Gemeinschaft, der Seelsorge.

 

Allerdings ist das heute schwieriger als damals zur Zeit der frühen Christinnen und Christen.

 

Das Problem ist heute, dass sich innerhalb der Kirche die „sieben“ (oder mehr) nicht mehr so problemlos finden lassen wie damals zur Zeit der ersten Christinnen und Christen. Das ehrenamtliche Engagement sinkt, die Kirchenmitglieder werden weniger, Pastoren und Pastorinnen aber auch. Wie es mit den Mitarbeitenden in der Diakonie aussieht, dazu konnte ich leider nichts finden und kann euch nicht sagen, ob auch da die Zahlen rückläufig sind. Grundsätzlich aber besteht das Problem, dass wir zu wenige sind, um die viele Arbeit zu bewältigen. 

 

Denn die Arbeit ist ja noch da. Arbeitslose, Flüchtlinge, Suchtkranke, Menschen in Lebenskrisen, Obdachlose und andere hilfebedürftige Menschen werden ja nicht weniger. Und auch diejenigen, die von Gottes Liebe hören müssen, werden nicht weniger.

 

Die Kirche hat bloß nicht genügend Manpower und Womanpower, um die Arbeit leisten zu können. Und: das Geld ist nicht da, um diese Leute zu bezahlen. 

 

Das hängt natürlich unter anderem damit zusammen, dass wir heute einen ganz anderen Drive haben als damals. Damals haben die Menschen gesagt: Wow, das ist total klasse, was ihr Christinnen und Christen da macht. Da wollen wir mitmachen! Heute ist es an vielen Stellen umgekehrt. Da heißt es dann: Nee, lass mal. Die Kirchensteuer spare ich lieber und engagiere mich stattdessen in unserem Sportverein. Oder sogar: Ich würde mich ja gerne beteiligen, aber ich habe dafür neben Beruf und Familie einfach keine Kapazitäten mehr. 

 

Was also tun? Dem Beispiel aus der Apostelgeschichte folgen, können wir nicht, denn es sind einfach keine sieben da, an die wir Arbeit abgeben können.

 

Jetzt könnte man sagen, es muss ein Aufruf an die Kirche her, der deutlich macht: Wir müssen uns auf diesen Text besinnen und endlich umstrukturieren! 

Und es muss ein Aufruf an den Rest der Welt her, der alle wissen lässt: Wir brauchen eure Hilfe! Ohne euch geht es nicht, wenn wir die Sterbenden begleiten wollen, den Hungernden zu Essen geben, den Arbeitslosen helfen, ...

 

So funktioniert es aber leider auch nicht.

Ich denke das kann alles nur dann funktionieren, wenn wir unsere ganze Gesellschaft umstrukturieren und nicht nur die Kirche.

 

Mal im Ernst: Es ist doch krank, dass es Menschen gibt, die unglaublich gerne arbeiten wollen und einfach keinen Job finden. Und wenn, dann nur, um gerade so ihre Existenz zu sichern. Dass eine Arbeit auch erfüllt und Spaß macht, ist schon gar kein Kriterium mehr. Und dann sind da die anderen, die so viel an Arbeit aufgehalst bekommen, dass sie irgendwann zusammenbrechen. Obwohl es vielleicht sogar ihr Traumberuf ist, in dem sie arbeiten.

Da ist doch was total schief in unserer Gesellschaft!

 

Ich denke, wir müssen einen Weg finden, nicht nur die Kirche zu reformieren, sondern unsere ganze Gesellschaft. Vielleicht reicht auch inzwischen eine Reformation nicht mehr und es muss eine Revolution her, die all das Kranke über den Haufen schmeißt, damit wir in Ruhe neue, gute und gesunde Strukturen aufbauen können, wie es damals die ersten Christinnen und Christen getan haben.

 

Ich höre allerdings aus dem Text nicht nur die Aufforderung zur Umstrukturierung heraus. Was da auch mitschwingt ist dies: 

Fangt endlich damit an!

 

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