Kind vermisst



Predigt am 03.01.2021 zu Lukas 2, 41-52


Ihr Lieben,

heute möchte ich euch mal erzählen, wie es war, als ich meine Mutter verloren hatte.

 

Nein, ich war kein kleines Kind mehr. Ich war schon eine erwachsene junge Frau, die gerade an der Uni in Kiel Theologie studierte. Mein Vater lag damals nach einem Schlaganfall im Krankenhaus in Kiel. Mama und ich hatten an diesem denkwürdigen Tag verabredet, dass ich mit dem Auto zur Uni fahren sollte, sie würde dann später nachkommen und wir könnten uns am Krankenhaus treffen und nach dem Besuch bei meinem Vater gemeinsam nach Hause fahren. Nach meinen Vorlesungen und Seminaren besuchte ich meinen Vater. Meine Mutter war noch nicht da gewesen. Nach ein paar Stunden war sie immer noch nicht aufgetaucht. Vielleicht hatte sie den Zug verpasst und würde später kommen. Es half aber nichts: Ich musste los, da ich abends noch einen Termin hatte.

Als ich wieder zuhause war, hörte ich als erstes den Anrufbeantworter in meiner Wohnung ab. Keine Nachricht von meiner Mutter. Jetzt machte sich doch Unruhe breit. Ich rief im Krankenhaus an und fragte auf der Station, auf der mein Vater lag, nach, ob meine Mutter inzwischen dagewesen sei. Das konnte mir niemand beantworten, da die Schicht inzwischen gewechselt hatte. Ich fuhr beim Haus meiner Eltern vorbei. Vielleicht war meine Mutter ja gar nicht losgefahren. Da war aber niemand. Die Unruhe hatte sich inzwischen zu einem festen Knoten in meinem Magen verdichtet. Wo steckte meine Mutter? Ich sagte meinen Termin ab und fuhr zum Bahnhof, denn ich rechnete damit, dass sie mit einem der nächsten Züge wieder zurückkommen müsste, wenn sie denn in Kiel gewesen war. Die Züge fuhren damals im Stundentakt. Also tauchte ich jede Stunde am Bahnhof auf, um zu sehen, ob meine Mutter aus einem der Züge stieg. Zwischendurch pendelte ich zwischen meiner Wohnung und dem Haus meiner Eltern, um die Anrufbeantworter abzuhören. Dabei erwischte mich ein Anruf meiner Patentante, die eigentlich nur wissen wollte, wie es meinem Vater geht. Als ich ihr erzählte, dass ich keine Ahnung hatte, wo meine Mutter steckt und mir große Sorgen mache, meinte sie: Oh Gott! Sie wird sich doch wohl nichts angetan haben?! Ich brach in Tränen aus.

 

Als ich mich wieder beruhigt hatte, stieg ich ins Auto und fuhr zum Bahnhof. Der vorletzte Zug aus Kiel würde in ein paar Minuten eintreffen. Und dieses Mal hatte ich Glück: Aus dem Zug stieg meine Mutter, die die Welt nicht mehr verstand, als ich sie mitten auf dem Bahnsteig zusammenfaltete: Wo bist du bloß gewesen? Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Du hättest ja wenigstens zwischendurch mal eine Nachricht hinterlassen können!

 

Im Grunde hatte ich ja auch schon den richtigen Gedanken gehabt: Meine Mutter war tatsächlich später losgekommen und hat dann erst noch ein paar Einkäufe erledigt bevor sie zum Krankenhaus gefahren ist, weshalb wir uns dort verpasst hatten. Anschließend hatte sie keine Lust, mit dem Abendessen zu warten, bis sie wieder zu Hause war, und ist in Kiel noch essen gegangen. Deshalb die späte Rückfahrt.

Auf die Idee, dass ich mir Sorgen machen könnte, ist sie gar nicht gekommen.

 

Seit diesem Ereignis weiß ich ganz genau, wie meine Mutter sich gefühlt hat, wenn ich als Kind beim Spielen mal wieder die Zeit vergessen hatte und mit mehreren Stunden Verspätung zum Abendessen auftauchte.

Seit diesem Ereignis kann ich mir gut vorstellen, was Maria und Josef durchgemacht haben, als Jesus plötzlich weg war.

 

Kleine Anmerkung zum Hintergrund:

Josef und Maria sind keine Rabeneltern!

Damals vor fast zweitausend Jahren war es übrigens völlig normal, dass sich in solch großen Familienverbänden auch mal andere Verwandte um die Kinder kümmerten. Maria und Josef hatten tatsächlich keinen Grund, sich Sorgen zu machen, weil sie Jesus länger nicht gesehen hatten.

 

Aber auf Maria und Josef möchte ich heute gar nicht gucken. Ich möchte mir Gott angucken, denn der oder die ist ja auch ein Elternteil, das Kinder hat.

 

Da ist zum einen natürlich Jesus, der ganz genau weiß, dass er in das Haus seines Vaters gehört und es sich deshalb im Tempel in Jerusalem gemütlich macht. Jesus ist sozusagen der Musterknabe, denn der macht es genau richtig: Er läuft seinem himmlischen Vater nicht weg. Er ist da, wo er hingehört: bei Gott. 

 

Gott hat aber nicht nur seinen Sohn Jesus, sondern noch einen ganzen Haufen anderer Kinder. Ziemlich verzogene Gören sind das, denn die laufen Gott immer wieder weg. Das wären dann wir.

 

Auch wir gehören zu Gott. Auch wir sind Gottes Kinder. Aber im Gegensatz zu Jesus, sind wir nicht immer da, wo Gott ist. Wir begeben uns auf eigene Wege und geraten dabei auf Abwege. Wir laufen Gefahr, verlorenzugehen, weil wir uns immer wieder von Gott abwenden und das tun, was wir nicht sollen.

 

Ich kann mir da gut vorstellen, dass Gott sich genauso große Sorgen um uns macht, wie Josef und Maria um Jesus oder ich um meine Mutter.

 

Habt ihr euch schonmal überlegt, dass Gott vielleicht auch so einen furchtbaren Knoten im Magen hat wie ich damals, als ich nicht wusste, wo meine Mutter steckt? Das passiert nämlich, wenn einem ein Mensch verlorengeht, den man sehr, sehr liebhat.

 

Gott ist so wie jedes menschliche Elternteil sein sollte: Sie liebt uns abgöttisch! Und sie setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um uns zurückzuholen, wenn wir auf Abwege geraten sind. Gott setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um zu verhindern, dass wir verlorengehen.

 

Einerseits ist das natürlich klasse, weil es zeigt, wie wichtig wir Gott sind. Andererseits klingt das aber auch ziemlich stressig. Denn es IST stressig, wenn einem die Kinder verlorengehen.

Aber wir können eine Menge dafür tun, dass das Verhältnis Gott-Mensch weniger stressig wird.

 

Was Gott angeht, müssen wir uns ja nicht wie verzogene Gören benehmen, die immer nur sagen: Ich will, ich will, ich will!

Ich will, dass du meine Oma wieder gesund machst! Ich will, dass du Corona verschwinden lässt! Ich will, dass du Katastrophen verhinderst! Ich will, dass du Frieden schaffst! Ich will, dass du die Bösen bestrafst! Und so weiter.

 

Statt immer nur zu fragen, was Gott für uns tun kann, können wir zur Abwechslung ja mal für Gott da sein.

 

Meine Mutter und ich schicken uns morgens ein kurzes Lebenszeichen aufs Handy und abends telefonieren wir. Einfach um die andere wissen zu lassen: Es ist alles in Ordnung, es geht mir gut. Und um zu fragen: Wie sieht es bei dir aus?

Mit Gott geht das ähnlich. Ein Dankgebet ist so ein Lebenszeichen. Es sagt: Hey, ich bin noch bei dir. Kein Grund sich Sorgen zu machen. 

Und zusätzlich zum Gebet können wir uns auch noch ein bisschen Mühe geben und eine Kerze anzünden oder für Gott ein Blümchen in die Vase stellen.

Gottesdienst ist auch eine weitere schöne Möglichkeit, um mit Gott in Verbindung zu bleiben und sie / ihn wissen zu lassen: Ich bin noch da. Ich bin dir nicht verloren gegangen.

 

Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir mal etwas für Gott tun, damit sie / er sich nicht so viele Sorgen um uns machen muss. Gottes Liebe ist zwar ein Geschenk, für das wir keine Gegenleistung erbringen müssen, aber sie ist nicht selbstverständlich. Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir mit dieser Liebe etwas achtsamer umgehen.

 

Deshalb: Lasst uns Gott immer mal wieder danke sagen, für das, was sie / er alles für uns tut. Und lasst uns Gott ein bisschen was von der Liebe zurückgeben, mit der sie uns so großzügig beschenkt. Damit wir alle uns am Ende weniger Sorgen machen müssen.

 

Amen

 

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Team Welt

Whistleblower

Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen